Nun, wir könnten bald ein Psychologie-Forum aufmachen...
@radiosi
Daß sich Schwule und Lesben teilweise und zeitweise ihre eigenen Lebensräume suchen, ist nicht von der Hand zu weisen. Über das Warum ließe sich sicher an anderer Stelle gut diskutieren, denn auch ich mag da manche Sachen nicht so ganz nachvollziehen, die in dieser "Community" ablaufen. Manches erinnert gar an freiwillige Ghettoisierung, anderes ist hingegen völlig verständlich. Versuche dich mal in einen - sagen wir mal - 15-jährigen hineinzuversetzen, der gerade bemerkt, daß bei ihm einiges offenbar anders läuft als bei den übrigen Jungs in der Schulklasse. Schon hat er Probleme zu bewältigen, die die anderen nicht haben. Erstmal mit sich selbst, später dann auch mit der Umwelt. Bin ichs? Oder vielleicht doch nicht? Ist das nur 'ne Phase? Wer kann mir in dieser Situation helfen? Was werden meine bisherigen Freunde sagen? Was die Eltern? Kann ich es denen überhaupt erzählen? Werden sie mich vor die Tür setzen? Das sind alles Fragen und Probleme, die die heterosexuelle Mehrheit nicht hat. Kein Junge muß sich rechfertigen, wenn er die erste Freundin mit nach Hause bringt - es sei denn, die Eltern haben anderweitig Probleme mit ihr.
So ziehen sich vor allem junge Schwule oft zurück, ich kenne da selbst ein paar Fälle. Dann werden erste Kontakte gesucht, das läuft heute wohl meist im Web. Ist man sich dann seiner Sache sicher und gibt es kein Zurück mehr, weil für einen selbst alles sonnenklar ist, wagen eben manche, einfach wieder dazuzugehören. Wozu? Zu einer Gesellschaft, die Homosexualität oft noch für etwas krankes, abartiges hält. Die Konsequenzen sind vielgestaltig und sicher bei jedem Schwulen anders. So bleibt die Insel der schwulen Community als ein Ort, an dem man sich nicht rechtfertigen muß, an dem man so sein kann, wie man wirklich ist. Nicht wenige führen dieses Doppelleben, weil sie sich nicht unbedingt in der Gesellschaft mehr Probleme aufhalsen wollen als nötig.
Schwules Radio (oder zumindest eine schwule Radiosendung) ist deshalb nicht unbedingt überflüssig. Wer mal auf Astra 28.2° Ost durch die schwulen britischen Kanäle (ich glaube, es sind 3) gezappt hat, der weiß, daß da nur Party- und Discomusik nonstop kommt. Insofern nicht unbedingt einer thematischen Überprüfung standhaltend. Aber was ist mit wirklich wichtigen schwulen Infos, die in den "normalen" Medien nicht vorkommen? Das reicht von Coming Out - Ratgebern über Kürzungen in der HIV-Prävention (schöne Grüße an Herrn Schill) bis hin zur Bundespolitik (ok, da gabs in der letzten Legislaturperiode ja einiges in den gängigen Medien, schließlich konnte man Sensationsmeldungen liefern...). Solange das alles nicht in dem Maße in den vorhandenen Medien behandelt wird, solange ist die Forderung nach eigenen Wegen der Kommunikation nur zu verständlich. Erst wenn Schwulen wirklich ermöglicht wird, auch als Schwule "ganz normal dazuzugehören" (Dein Zitat), erübrigen sich solche Insellösungen.
Und zum Thema "Minderheiten": ich bin als - um auf das Radiothema zurückzukommen - Freund gutgemachter Musik-Spezialsendungen auch in einer Minderheit und muß hilflos zusehen, wie eine nach der anderen aus den Programmen gekippt wird, wie ganze Programme, die einst anhörbar waren, einfach plattgemacht werden (HOT*FM, DT64) oder Sendungen auf unmögliche zeiten verschoben werden (wie im Falle von NDR info ab Januar. Und ich sage: wer gegen Minderheitenprogramme (oder Programmelemente) ist, will den kleinsten gemeinsamen Nenner. Den haben wir bereits auf zig Kanälen tagtäglich als trauriges Beispiel dafür, wie Radio enden kann.
<small>[ 05-12-2002, 15:55: Beitrag editiert von Radiowaves ]</small>