Ich hatte mal den Fall, dass jemand im O-Ton von "Radfahrerinnen und Radfahrern" sprach, und mir dann von der Kundschaft jemand in der Untertiteldatei daraus "Radfahrer*innen" gemacht hat. Da habe ich dann tatsächlich interveniert, weil ich davon ausgehe, dass derjenige ganz bewusst eben keinen Genderstern gesprochen hat. Also will ich ihm den auch nicht per Untertitelung in den Mund legen.
Da sprichst Du ein interessantes Thema an. Ich erlebte es leider immer wieder, wenn ich Artikel für unsere Schulzeitung schrieb, dass nachträglich dahingehend an diesen herumgebastelt wurde, ohne Rücksprache mit mir als Autor. Allerdings muss man dazu sagen, dass dieses Eingreifen der Redaktion leider generell zu beobachten war, nicht nur aufs Gendern bezogen.
Derweil eine Beobachtung von der Uni: Es ist erfreulicherweise nicht so schlimm, wie ich befürchtet habe. Das Lehrpersonal gendert überwiegend nicht, meine Kommilitonen auch kaum, jedenfalls die, die ich bisher schon häufiger habe reden hören. Es gibt freilich auch Ausnahmen. Regelmäßig lässt mich beispielsweise eine Dozentin aus den Politikwissenschaften verzweifeln, die ziemlich konsequent die weibliche Form als generische missbraucht. Das gipfelt dann in solchen Auswüchsen, dass sie uns erklärt, die fünf Wahlgrundsätze hätten bedingungslose Gültigkeit für alle Wählerinnen, gleich welcher Religion, Weltanschauung, Abstammung oder eben auch welchen Geschlechts. Ja, wenn das Geschlecht keine Rolle spielt, dann betrifft es doch nicht nur die Wählerinnen. Weibliche Wähler? Ja, die gibt es. Sie werden konkret Wählerinnen genannt. Aber männliche Wählerinnen?
In diesem Zusammenhang machte ich mir dann ein wenig Gedanken und kam dabei zu dem Schluss, dass diese ganze Idee von Gendersprache meiner Ansicht nach ganz maßgeblich auf einem kolossalem Missverständnis der Deutschen Sprache und ihres Aufbaus basiert. Es wird immer davon ausgegangen, dass man, weil ja alles, was nicht männlich ist, systematisch unterdrückt würde, die männliche Form auch gleich als generische genutzt hätte. Und natürlich ist es richtig, dass die generische Form meist maskulin ist. Das betrifft ja aber nicht nur Bezeichnungen, die sich auf Menschen beziehen, sondern lässt sich beispielsweise auch bei der Bezeichnung von Haushaltsgegenständen beobachten. Das Gerät, mit dem man Wasser kocht, ist ein Wasserkocher, das Behältnis, mit dem man sich Salz aufs Essen streuen kann, ein Salzstreuer, die Maschine, die die Wäsche trocknet, ein Wäschetrockner und so weiter. Das heißt für mich: Diese Art, aus Tätigkeiten Bezeichnungen für die sie ausführenden abzuleiten, ist völlig normal und hat in aller Regel nichts mit Geschlechtern, Rollenbildern und so weiter zu tun, weil es die bei diesen Gegenständen ja gar nicht gibt, nicht geben kann. Und wenn die Person, die Briefe zu mir trägt, der Briefträger, die Person, die ein Geschäft führt, ein Geschäftsführer und die Person, die eine Erfindung macht, ein Erfinder ist, hat das vielleicht auch gar nicht mal damit zu tun, dass all diese Tätigkeiten mehr oder weniger unterbewusst nur Männern zugeschrieben werden, sondern einfach damit, dass es nun einmal im Deutschen üblich ist, Worte auf diese Weise zu bilden. Und das ist es aus gutem Grund, denn es ist in aller Regel die kürzeste Form, von der sich dann weitere Bezeichnungen ableiten, beispielsweise Pluralformen oder eben auch die weibliche Form.
Vielleicht ist also das Problem, wenn man denn in der ganzen Thematik ein solches für sich ausgemacht hat, gar nicht mal, dass wir die männliche Form als generische Form verwenden, sondern umgekehrt, dass wir die generische Form gleichzeitig auch dann verwenden, wenn nur Männer gemeint sind. Möglicherweise wäre ein besserer Lösungsansatz ja, sich eher um eine Form zu bemühen, die immer dann verwendet werden kann, wenn tatsächlich ausschließlich Männer gemeint sind und dies für den Sachzusammenhang eine entscheidende Rolle spielt.
Ein Beispiel: Nehmen wir einmal an, eine solche Form würde immer so gebildet, dass am Ende einer explizit männlichen Bezeichnung ein "ich" (bei Worten, deren generische Form bereits auf "er" endet), beziehungsweise "erich" (bei allen anderen Endungen der Generischen Form) stünde. Ja, ich weiß, das liest sich jetzt erst einmal gewöhnungsbedürftig, dürften viele bei "erich" doch an einen Vornamen denken, zumal an einen politikhistorisch nicht ganz unbelasteten. Aber "innen" gibt es ja schließlich auch schon als eigenständiges Wort mit völlig anderer Bedeutung. Lasst uns also ruhig mal mit der Endung "erich" denken. Wenn wir nun beispielsweise über das Amt, die Rolle und die Aufgaben eines Bundeskanzlers sprächen, könnten wir im gesamten Text von Bundeskanzlern sprechen. Die Aufgaben eines männlichen und eines weiblichen Bundeskanzlers unterscheiden sich ja nicht. Wenn es dann tatsächlich um die Geschlechterverteilung der Amtsträger geht, könnte man nun beispielsweise schreiben: "Die Bundesrepublik Deutschland hatte bisher neun Bundeskanzler. Mit Angela Merkel gab es von 2005 bis 2021 erstmals eine Bundeskanzlerin, während es zuvor und danach immer ein Bundeskanzlerich war". Diese Lösung hätte gegenüber dem Gendern, wie es aktuell gemeinhin praktiziert wird, aus meiner Sicht einige Vorteile:
- Die Fälle, in denen es für den Zusammenhang wirklich entscheidend ist, welches Geschlecht die gemeinten Personen haben, ist in aller Regel um ein Vielfaches kleiner als die, in denen das keine Rolle spielt. Es wäre also eine weit weniger große Ummstellung, in diesen vergleichsweise seltenen Fällen anders zu sprechen, als wenn man dies bei konsequenter Umsetzung quasi andauernd tun müsste, sobald es um irgendwelche Personen geht, wie das ja aktuell beim Gendern der Fall ist.
- Es ist an sich doch nur logisch, dass die kürzeste Form, von der sich alle anderen Formen ableiten, auch die am wenigsten spezifische ist, dass ich also mit Studenten alle Studenten gleichermaßen meine. Wenn es dann im Zusammenhang wichtig ist, kann ich dann ja zwischen Studentinnen und eben meinetwegen Studenterichen unterscheiden. Und wer sich von beidem nicht abgeholt fühlt, der bleibt eben einfach bei der generischen Form und ist Student.
- Da die ich-Endung ja direkt ans Wort angehängt wird, analog zur weiblichen in-Endung, entstehen keine Sprechpausen, müssen keine Sonderzeichen oder Großbuchstaben mitten im Wort geschrieben werden und wird in den meisten Alltagssituationen das Sprechen und Schreiben erleichtert, weil eben die kurze, generische Form zumeist ausreichen würde. Diese Veränderung dürfte daher wahrscheinlich nicht als so massiver Eingriff in die Sprache wahrgenommen werden, da er behutsamer und weit seltener wäre. Bei vielen Worten würde ja sogar schon das Anhängen von "ich" ausreichen, wenn diese sowieso schon auf "er" enden.
- Es wäre auf diese Weise auch ganz komfortabel möglich, endlich einmal das Geschlecht überall dort, wo es keine Relevanz hat, in den Hintergrund treten zu lassen. Wenn beispielsweise Lokführer, gleich welchen Geschlechts, für eine höhere Bezahlung in den Streik treten, ist es doch völlig unerheblich, welches Geschlecht diese Menschen haben und man kann sie unter dem generischen Begriff Lokführer zusammenfassen. Geht es nun dagegen um eine Gender-Pay-Gap, wird das Geschlecht freilich durchaus sehr relevant. Und auch hier könnte diese Herangehensweise sehr hilfreich sein, um den Sachverhalt präzise ausdrücken zu können: "Die Lokführerinnen streiken für eine Angleichung ihrer Löhne an die der Lokführeriche. Ihr Ziel ist, dass alle Lokführer für dieselbe Arbeit denselben Lohn erhalten".
Ich persönlich glaube zwar, dass es, wenn man einfach mal damit aufhören würde, Gesagtes bewusst anders zu interpretieren als es vom Sagenden gemeint war, weder die üblichen Genderformen, noch diesen Ansatz von der anderen Seite bräuchte, aber wenn, könnte ich mir dieses System aus den genannten Gründen im Alltag besser vorstellen. Ich fände mal interessant, was Ihr hier im Forum über diesen Ansatz denkt.