Achtung: wordy text
Ich hab mir einen Monat lang angeschaut, was die Life Radio-Playlist so hergibt, immerhin hat man sich ja ein neues Sendeschema samt neuen Claims (‚Der neue Sound – ich hör‘ Life Radio‘) ausdenken lassen.
Neue Sendetitel sollen ohne Angliszismen auskommen, was angesichts der Wörter „Show“ und „Nightlife“ als nur teilweise gelungen betrachtet werden darf.
Die neuen Sendetitel:
· Hopp Hopp – die Aussi Aussi Show mit Silli und Andi
· Hier bei der Arbeit – Die Life Radio Hackelshow
· Von 3 bis Frei
· Finito" – die Feierabend-Show auf Life Radio
Kann man jetzt als originell empfinden – muss man aber nicht. Ich persönlich finde das eher peinlich. Mit diesen vier Sendungen füllt man die Zeit von 5 bis 21 Uhr.
Die früheren Kulthits heißen jetzt ‚Songs mit Geschichte‘ – sind aber die gleichen wie immer. Manches rotiert bestimmt ohne großartige Unterbrechungen seit Anbeginn der Life Radio-Tage.
Im Prinzip nähert man sich musiktechnisch wieder den früheren Tagen an. Es werden wieder vermehrt ältere Songs gespielt, aktuelle Songs aber durchaus mit Ö3-Taktung – dreimal zwischen 5 und 17 Uhr ist keine Seltenheit.
Eigene Handschrift ist absolut keine zu erkennen, man kann im Prinzip vier Kategorien an Songs erkennen:
1. Aktuelle Titel aus den Top 75
2. Mehrere Jahre alte (sehr viele von 2011, 2012) Titel, die mit erstaunlicher Häufigkeit rotieren
3. Songs, die bis zu den späten Achtzigern zurückgehen
4. Die klassischen 80er, die längst keiner mehr aktiv von einem Radiosender verlangt, aber offensichtlich so lange gespielt werden, bis die Zielgruppe restlos ausgestorben ist
Insgesamt mutet die Playlist deshalb wie eine Resteverwertung von Ö3-Titeln an, eine Art willhaben-Plattform dessen, was Ö3 einmal gespielt hat. Hört man dann einmal Bette Middler oder Heroes Del Silencio, weiß man im Grund auch ohne, dass ich die Titel hier nenne, welche gemeint sind, und – viel schlimmer – rotieren die auch so häufig, dass es nach 4 Wochen keine Highlights mehr sind. Da aber weder die Radiomacher, noch dessen Klientel großartigen Wert darauf legt, was überhaupt gespielt wird, dürfte das auch wieder nur bei Musik- und/oder Radioliebhabern auffallen. Wesentlich wichtiger scheint es heute zu sein, viertellustige Memes zum Themenkreis Wochenende/Montag/Arbeit auf Facebook zu verbreiten, die – wie alt oder abgedroschen auch immer – jedesmal auf’s Neue eine erstaunliche Anzahl von Likes generieren.
So, genug der Einleitung. Ich habe Folgendes gezählt (mit Zählungen müssen wir in Österreich in der Zwischenzeit ja sehr vorsichtig umgehen…):
Beobachtungszeitraum: 30 Tage
Tagesplaylist: 5 – 17 Uhr
Songs: 454, davon 32 von deutschen und 12 (!) von österreichischen Interpreten
Gespielte Songs: 4291, im Schnitt also 143 pro Tag oder 12 pro Stunde
Interpreten: 301, davon 23 deutsche und 7 (!) österreichische Interpreten
Von den 7 österreichischen Interpreten (ich hoffe, ich habe keinen vergessen…) lebt einer seit 20 Jahren nicht mehr, Zoe hatte nur ein Meet & Greet von genau 8 Tagen. Dann kommt noch die unvermeidliche Christina Stürmer, die sich durch unerschrockene Anbiederung an die bundesdeutsche Aussprache auszeichnet und praktisch die Hälfte aller österreichischen Plays ausmacht, Julian Le Play, Marque und Filous. Oh, und fast hätte ich Kangkarussell vergessen, die man auch 2016 noch jeden dritten Tag hört.
Österreichische Songs und Interpreten machen also ca. ZWEIEINHALB Prozent aus – das ist ärmlich. Auch, wenn man jetzt natürlich bei den Privaten nicht voraussetzen kann, sich nicht nur nach finanziellen Gesichtspunkten auszurichten, ist das meiner Meinung nach nicht akzeptabel. Von oberösterreichischen Interpreten reden wir da erst gar nicht – die Stürmer mal ausgenommen, weil die ist ja ein Star. Und die würden sie auch spielen, wenn sie aus Grönland oder von den Osterinseln kommen würde.
Nehmen wir jetzt also mal einen Moment an, die Playlist würde nicht durch Ö3 Copy & Paste oder beratergestützte und umfrage-untermauerte Umfragen entstehen – wie könnte so eine Playlist zustandekommen?
Wen will man überhaupt erreichen? Aktuell sieht es wieder mehr so aus, als würde man gesetztere Jahrgänge ansprechen wollen, was sich durch das „Du“ allerdings wieder relativiert. Insgesamt kann sich natürlich über die Jahre keine Linie einstellen, wenn man die Playlist an den Radiotest anpasst und nicht versucht, den Hörer mit Eigenständigkeit zu binden und damit den Radiotest zukünftig positiv beeinflusst – also reagiert, statt zu agieren.
Aktualität?
Das kann es nicht sein, etwa zwei Drittel der Top 75 finden in der Playlist nicht statt. Die mehrwöchtige Nummer 1 der Charts wird nicht gespielt, selbst aus den Top 10 spielt man nicht allzu viel. Sia war nur in homöopathischen Dosen vorhanden, bis man anscheinend ein Post It wiederentdeckt hat und draufgekommen ist, dass sie vier Wochen lang Nummer 1 war – oder wie auch immer…seit 8. Juni auf jeden Fall jeden Tag zwei- bzw. dreimal. Vieles passt offensichtlich nicht in die Playlist eines Radiosenders, der allerdings 7 x im Monat „We are the World“ und 5 x „The Last Unicorn“ spielt…
Titel, die schon raus aus den Charts sind oder längst im hinteren Viertel herumflacken, erfahren erstaunliches Airplay. Dadurch ensteht natürlich nicht gerade ein frischer Eindruck und was ganz und gar nicht der Fall ist, dass man in dem Fall von einem „neuen Sound“ oder gar „cool“ sprechen kann. Die aktuellen und nicht mehr so aktuellen Titel hauen sie dir um die Ohren, dazwischen wird alles, was Ö3 mal in den letzten 30 Jahren eh schon im Programm hatte, hineingemixt. So erfrischend wie die letzten Pfützen in einer afrikanischen Steppe, bevor die Regenzeit kommt.
Die aktuelle Single von Mark Forster wurde 4 x gespielt, Au Revoir (2014) dafür 15 x. Damit kann man kaum bei der Jugend punkten. Dann gibt es noch die Hörercharts. Da wünschen sich die Hörer Songs. Zum Beispiel ‚Wir sind groß‘ von Mark Forster…
Die Top-Titel wurden um die siebzig Mal gespielt (Topsong: 77x), die wenigsten davon hatten noch vordere Chartspositionen. Ein einziger davon hat einen einstelligen Chartsquotienten über die vier Wochen…
Ein Auszug von Songs ‚mit Geschichte‘:
Depeche Mode: die Band, die 100 Millionen Tonträger verkauft hat und irgendwann für Formatradiomacher auf die dunkle Seite gewechselt ist. Einziger Song „Enjoy the Silence“, dafür jeden zweiten Tag in der PL. Ohne Worte.
Die folgenden Titel lass ich jetzt mal weg, es weiß eh jeder, um welche Songs es geht!
· Rockwell: 8
· Murray Head: 9
· Jermaine Jackson: 8
· Fool’s Garden: 8
· Natalia Imbruglia: 10
· Haddaway (muaha…): 11
· Dr. Alban (muahaha…): 12
· Jimmy Cliff: 11
· Michael Sembello: 7
· Watershed – Indigo Girl: 8 (irgendwie ist der Song unkaputtbar, darauf haben sie anscheinend das weltweite Exklusiv-Nutzungsrecht…)
· Tina Turner gesamt: 25
· Michael Jackson gesamt: 52
· Anastacia: 27
Dabei verzichtet man fast vollständig auf Queen, und auch Genesis/Phil Collins und Joe Cocker wurden wohl zugunsten des Zweitnutzungsrechts der jüngeren Ö3-Playlist reduziert. Im US-Sport würde man von einem Tausch des Draftpick-Rechts sprechen
Bei dem Gerümpel, dass 30 Tage lang gespielt wurde, muss man natürlich ‚positiv‘ anmerken, dass zumindest Van Halen, Joan Jett, Feargal Sharkey und noch ein paar andere Radiofossilien gänzlich in der Playlist fehlten. Bestimmt sind sie aber schon in der Pipeline für die nächsten Monate…
Fazit:
· Was ist neu? Die Verpackung
· Repertoirewert der Playlist? Keiner
· Eigene Handschrift in der Playlist erkennbar? Nein
Also alles richtig gemacht. Man kann Geld gewinnen, offeriert dem Hörer eine neue Verpackung mit knackigen Plakaten und Claims, postet witzige Bildchen auf Facebook und die meisten werden das goutieren. Solange der Hörer noch dem traditionellen Medium treu bleibt und keine höheren Ansprüche stellt, wird das immer wieder irgendwie hinhauen.
Danke für die Aufmerksamkeit.