Vorweg: Wer der Ansicht ist, Hetero-Männer, die das auch schon immer waren, dürften zu diesem Thema sowieso keine Meinung haben, kann sich diesen Beitrag schenken.
Hä? Was ist das den für eine pauschale Behauptung. Hast du Belege dafür?
Ich glaube, was er meint, ist ein Phänomen, das ich in meinem Freundes- und Bekanntenkreis auch immer wieder beobachten kann. Es gibt die Sammelbezeichnung "queer" und dann die ganzen einzelnen Gruppen (Schwule, Lesben, Tranzsexuelle, ...). Und gerade bei den erstgenannten Gruppen erlebe ich es häufig, dass diese sich eben nur als schwul, lesbisch und so weiter identifizieren, nicht aber als queer. Mit dem, was im Namen dieses Begriffs so alles gemacht und gesagt wird, können und wollen sich viele von ihnen nicht identifizieren. Und wenn ich so von außen draufschaue, dann verstehe ich das auch.
Zunächst einmal fand ich es schon immer und ganz generell etwas merkwürdig, sich vor allen Dingen mal darüber zu definieren, was man nicht ist, anstatt darüber, was man ist. Um es aufs Radio zu übertragen: "Bloß kein Mainstream" ist für mich keine zielführende Programmphilosophie, denn ich schalte einen Sender doch letztlich ein, weil er etwas bestimmtes sendet und nicht, weil er etwas bestimmtes nicht sendet. "Kein Mainstream" kann doch alles und nichts bedeuten. Viel zielführender ist es da, eindeutig zu formulieren, welche Art von Musik mich auf dem Sender zu erwarten hat.
Dieses "queer" ist doch eine Sammelbezeichnung für verschiedenste Identitäten oder sexuelle Präferenzen, die doch teils weiter nichts miteinander zu tun haben, als dass sie alle nicht heteronormativ sind. Das, denke ich, meinte
@TS2010 mit Abgrenzung. Es scheint vielen vor allen Dingen mal wichtig zu sein, was sie nicht sind, dabei wäre es doch zumeist viel interessanter, was sie denn nun tatsächlich sind.
Hier kann ich dann etwas dazu sagen, wie unterschiedlich ich beide Gruppen wahrnehme. Wenn jemand offen kommuniziert und zum Beispiel sagt: "Ich bin schwul", dann strahlt das eine gewisse Souveränität aus. Da sagt jemand eindeutig, was Sache ist, ich kann mich wunderbar darauf einstellen. Wer sich aber hinter dieser Sammelbezeichnung "queer" versteckt, strahlt in der Tat so etwas abgrenzendes aus. Er übermittelt mir nur, dass irgendetwas mit ihm anders ist und diese Tatsache, dass etwas anders ist, scheint wichtiger als die Tatsache zu sein, was denn nun eigentlich ist. Und dieses negative, dieses abgrenzende setzt sich dann auch weiter fort, indem viele derer, die für sich selbst die Sammelbezeichnung verwenden, sehr darum bemüht zu sein scheinen, allen, die nicht standardmäßig davon ausgehen, dass ihr Gegenüber wasweißichfürwelche Geschlechtsidentitäten haben könnte, mit viel Nachdruck und Impulsivität klar zu machen, was man selbst alles falsch macht, wie entsetzlich es doch sei, dass es heute noch Leute gebe, die sich so verhielten und was man in Zukunft alles anders zu machen und zu beachten habe, freilich immer für alle gleichzeitig sprechend, die auf irgendeine Art vom heteronormativen Standard abweichen. Was glaubst Du, welche der beiden von mir (freilich teils etwas überspitzt) dargestellten Gruppen wird im Allgemeinen besser akzeptiert?
Die Veränderung muss auch in den Köpfen der heteronormativ-sozialisierten Menschen beginnen.
Und auch hier fürchte ich, das Problem von
@TS2010 verstanden zu haben. Ja, es droht sich bei manchen (ausdrücklich nicht allen) dieser Menschen tatsächlich etwas im Kopf zu verändern, wenn sie anstatt selbstbewussten Menschen mitten im Leben immer mehr keifende Aktivisten aus einer Welt sehen, die sich von der eigenen in rasantem Thempo immer weiter zu entfernen scheint. Derlei Veränderungen dürften aber wohl kaum im Interesse derer sein, die eben noch Veränderungen forderten. Und das Schlimme ist: Diese Veränderungen würden dann auch die betreffen, die nicht belehren, nicht abgrenzen, sondern einfach nur als die, die sie sind, anerkannt sein möchten und das in den letzten Jahrzehnten an sich auch immer mehr geworden sind. Natürlich wäre es am besten, wir hätten dieses Problem nicht und niemand würde irgendwen wegen solcher ganz persönlicher Dinge, die man sich ja selbst nicht ausgesucht hat, Ablehnung erfahren oder auch nur schief angeguckt werden. Wäre das so, hätten selbst die eben beschriebenen Krawalschachteln keinen Grund mehr zum Schreien und alles wäre ganz friedlich. Leider ist es aber nun einmal nicht so und das wird man auch nicht mal eben ändern können, wenn man nur genug um sich tritt. Man muss, ob sie einem gefällt oder nicht, erst einmal die Situation zugrunde legen, wie sie aktuell ist. Und da führt das Gebahren vieler queerer Aktivisten eben nicht zu mehr Akzeptanz, sondern zu Abwehrreaktionen, dann oft gleich alles betreffend, was nicht heteronormativ ist und auch und gerade bei jenen, bei denen eigentlich noch der größte Bedarf an Akzeptanzarbeit besteht. Wer soll davon etwas haben?
Das ist leider ein gesamtgesellschaftliches Problem. Diese Themen hätten volle Akzeptanz, wenn sie in der Mitte der Gesellschaft stattfinden würden, wo sie nämlich eigentlich sein sollten und hingehören.
Menno! Die blöde Mehrheit soll gefälligst mal dafür sorgen, dass die Minderheit zur neuen Mehrheit wird. Da wird nichts hinterfragt, da werden keine Verhältnismäßigkeiten betrachtet, nein, "Ich hab recht, alle meine Forderungen sind völlig legitim und alle, die das anders sehen, sind doof, egal, warum sie es anders sehen".
Ich meine, ich bin ja selbst Angehöriger einer Minderheit. Als Blinder muss ich natürlich auch immer wieder darauf pochen, dass gute Teilhabechancen für mich geschaffen werden. Aber dabei kämen mir zwei Sachen nie in den Sinn. Ich würde mir erstens nicht anmaßen, für Menschen mit allen möglichen Behinderungen zu sprechen. Deren Belange und Ansichten sind einfach viel zu unterschiedlich, manchmal kommen sie sich sogar gegenseitig in die Quere. Wenn eine Straßenkante abgesenkt wird, freut sich der Rollstuhlfahrer, weil er nun erheblich leichter die Straße überqueren kann. Der Blinde, der an derselben Stelle überqueren will, flucht dagegen häftig, weil er nun viel eher Gefahr läuft, versehentlich auf die Straße zu laufen, weil er die Kante nicht mehr spüren kann. Und zweitens würde ich wohl nie auf die Idee kommen, alle Leute zu maßregeln, was sie in vorauseilendem Gehorsam alles zu tun und zu lassen hätten. Niemand muss für mich standardmäßig bei jedem Bild in einer WhatsApp-Gruppe gleich eine Bildbeschreibung mitschicken. Wenn ich eine haben will, frage ich einfach danach und sie wurde mir dann eigentlich noch nie verwehrt. Wenn ich finde, dass ein Dokument nicht hinreichend barrierefrei ist, wende ich mich an dessen Ersteller und frage ihn, ob er in Zukunft dies und jenes anders machen könnte, anstatt sofort ein Geschrei anzuheben, der Dokumentenersteller sei implizit behindertenfeindlich, da er sich nicht damit beschäftigt hatte, was denn eventuell mal passieren könnte, wenn dereinst mal jemand blindes das Dokument lesen wollte. Und siehe da: Viele sind dankbar um solche Hinweise und achten in der Zukunft darauf. So fahre ich mit dieser Haltung, die Mehrheit nicht an den Pranger zu stellen, sondern ihr eher zu helfen, es besser zu machen, eigentlich bereits seit Jahren sehr gut und bin damit ziemlich akzeptiert. Ich weiß nicht, ob ich das auch in dem Maße wäre, würde ich ständig vor mir hertragen, wie böse mich doch alle anderen benachteiligen.
Will heißen: Um von jemandem akzeptiert zu werden, gehört eigentlich auch immer Akzeptanz für die andere Seite dazu. Der Hund kann nicht erwarten, dass der, den er knurrend ins Bein gebissen hat, sich zu ihm runterbeugt und ihn hinterm Ohr krault.
Genau darauf wird hingearbeitet und lulu.fm, um den Bogen wieder zurückzuspannen, war genau Teil davon und bot Plattformen, die es für die jeweiligen Menschen in dieser Form so nicht mehr gegeben hätte und wenn, dann nur in abgeschotteter Form, wo sie quasi unter sich sind.
Und genau da soll es rausgehen, hinaus in eine Gesellschaft, wo das alles selbstverständlich ist und nichts mehr unterdrückt wird.
Da stellt sich für mich die Frage, in wie weit ein eigener Radiosender tatsächlich diesen gewünschten Effekt eines Sprachrohrs nach außen hat. Wäre mal interessant, wie viele Hörer von Lulu.FM nicht selbst zu denen gehören, für die der Sender sprechen möchte. Wieder ein Vergleich aus meiner Minderheitensituation: Ich bin seit fast einem Jahr bei einem Radioprojekt mit dabei, das hauptsächlich von Blinden und Sehbehinderten gestaltet wird. Es macht mir dort großen Spaß und ich fühle mich dort sehr gut aufgehoben, aber an eines der Ziele, das viele unserer Macher verfolgen, glaube ich eher nicht: dass unser Sender eine Art Stimme der Blinden und Sehbehinderten sei und als solche außerhalb der Szene wahrgenommen werde. Das mag ein schöner Gedanke sein, aber die Realität sieht so aus, dass unsere Hörerschaft ganz überwiegend selbst blind oder sehbehindert ist, von speziellen Themensendungen einmal abgesehen, die man gezielt dort bewerben kann, wo sich Leute für das jeweilige Thema interessieren. Die haben dann allerdings meist nichts zum Inhalt, was irgendwie mit Blindheit, Teilhabe oder ähnlichem zu tun hat. Der Effekt, den unser Sender auf die Außenwahrnehmung Blinder und Sehbehinderter hat, dürfte sich also in einem ziemlich eng abgegrenzten Bereich um null herum bewegen.
Wollte man nun tatsächlich mehr für eben diese Außenwahrnehmung tun, wäre es wohl eher sinnvoll, sich um entsprechende Möglichkeiten in den regulären Massenprogrammen zu bemühen, darum, dass häufiger Belange und Probleme von Blinden und Sehbehinderten dort thematisiert werden, wo sie eine große Hörerschaft erreichen können. Merke: Wir wollen die Sehenden informieren, nicht die Sehenden sollen sich gezielt über uns informieren.
In diesem Zusammenhang kommt mir ein altes Posting von
@OnkelOtto in den Sinn:
Sehen wir uns doch mal in der Radiolandschaft um. In den Sendern arbeiten unzählige Schwule und Lesben. Wenn es um das Thema "Schwul- oder Lesbischsein" geht, dann berichten auch homosexuelle RedakteurInnen eher ÜBER als FÜR Homosexuelle.
Wo sind die Beiträge, die gezielt Servicecharakter für Schwule und Lesben haben? Wie ausführlich wird zum Beispiel im Hörfunk dargestellt, was ein verpartnerter Schwuler exakt tun muss, um in den Genuss des Ehegattensplittings zu kommen? Wo sind die Servicethemen, die direkt Homosexuelle ansprechen, wenn sie eine Patientenverfügung erstellen wollen oder...
Klar, hier ging es ursprünglich einmal darum, dass auch die Belange von Homosexuellen im (öffentlich-rechtlichen) Hörfunk Berücksichtigung erfahren sollten, weil diese Menschen ja genauso Radio hören, aber das, was er hier anregte, hätte zugleich eben auch den Effekt, dass auch die heterosexuelle Mehrheitshörerschaft mit solchen Themen aus dem ganz normalen Alltag eines homosexuellen in Berührung kämen. Und ist das für die Akzeptanz nicht viel sinn- und wertvoller als irgendein Spartenkanal, bei dem man mal darauf hoffen kann, dass sich vielleicht auch mal jemand außerhalb der eigenen Szene dorthin verirrt?