Meinungsmacher "Bild"

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@ Lauscher:

Die 'Bild'-Hörigkeit der RTL-Redaktionen ist mir auch schon aufgefallen. Allerdings ist es in den letzten Monaten noch schlimmer geworden.

Hat RTL früher wegen einer 'Bild'-Schlagzeile noch ein Reporter-Team zu den betroffenen Protagonisten (ob nun Promi oder Otto-Normal) geschickt, um wenigstens eigene Bilder zu den Storys zu bekommen, wird darauf inzwischen verzichtet.

Stattdessen wird irgendein altes Foto eingeblendet und es wird per Lauftext des Original-Artikel aus der 'Bild' von einem Off-Sprecher verlesen!

Grottiger geht's nimmer!
 
Hallo liebes Grauen,

Die Masse "ansprechend" (-> äußere Aufmachung) ist die Bild wohl, aber nicht wirklich informativ. Die Qualität einer Tageszeitung bemisst sich nicht nach verkaufter Auflage. Das sind unterschiedliche Ebenen, die gerne vermischt werden. Qualitätsmerkmale sind nun einmal:
1.) eine gründliche Recherche (merkst du daran, wenn möglichst viele unterschiedliche Perspektiven in einem Artikel vorgestelllt werden, das bedeutet: der Reporter hat einige Interviews geführt)
2.) Hintergrundinformationen
3.) Vielfalt in den Beitragsformen
4.) Ansprechende Aufmachung (gute Fotos, Lesbarkeit)

Die Zeit und der Stern haben sich letzte Woche ebenfalls mit der Bild beschäftigt, wobei sich der Stern auf die Seite der Bild schlug (Rolf Kleine [Bild], Hans-Ulrich Jörges, Tilman Gerwien [Stern] duften nicht mit dem Kanzler in dessen Flugzeug in die USA jetten). Jörges zog in seinem Artikel die Verbindung zwischen "kontrollierten Interviews" und verpasstem Air-Bus.

Die Interview-Frage wurde ja schon vor einigen Wochen lebhaft von Journalisten diskutiert. Meiner Meinung nach geht es auch in dieser Diskussion nicht nur um die Bild alleine, sondern um journalistische Ethik in Zeiten der Medienkrise. Der Kampf um Auflage und Verkauf wird, wie in der Zeit letzte Woche geschrieben wurde, durch einen zunehmenden Medienpopulismus begleitet. Die Bild gilt hierbei (trotz sinkender Auflage) als neues "Leitmedium" und setzt viele Themen, mit denen sich andere Medien auch beschäftigen müssen, aber das bedeutet eben mehr als bloßes Nachplappern. Dabei darf man den gesellschaftlichen Einfluss der Bild nicht überschätzen: das Blatt hat keine Meinungsführerschaft. Oder um die Zeit zu zitieren (Die Angstmacher, 19.2.2004, S. 3):

"Auf wen wirken Bild, BaS und Glotze, das schreckliche Trio aus den beiden Boulevard-Riesen aus dem allgegenwärtigen Fernsehen, am meisten, auf die Wähler oder auf den Bundeskanzler und dessen Entourage? Eindeutig stärker auf das politische System als auf die Gesellschaft. [...] Die Akteure auf der Bühne seien von der Kritik viel mehr beeindruckt, als es die tatsächliche Stimmung im Land spiegele. Schlichter gesagt: Hans und Liese kümmern sich weniger drum als Gerd und Doris."

Meine Anmerkung: und sie wirken auf auf das Radio, das Meldungen zwar mit Quellenangabe, aber unreflektiert über den Äther schickt. Also: sowohl die Medien selbst als auch die Politiker verwechseln veröffentlichte Meinung mit öffentlicher Meinung. Das finde ich, ehrlich gesagt, höchst bedenklich. Verstärkt wird der Einfluss noch, wenn sogenannte Valenzanalysen zu Rate gezogen werden. Da möchte man nicht nur die Häufigkeit von Nennung eines Themas messen, sondern auch einen Trend von Bewertungen feststellen. Es wird also nicht nur ausgezählt, wie häufig die Gesundheitsreform genannt wird, sondern auch, ob darüber pro, contra oder neutral berichtet wurde. Wenn die Medien nur noch nachplappern statt selbst nachzurecherchieren wird die Ursprungsmeinung besonders häufig genannt. Aber: auch eine Valenzanalyse dokumentiert nur veröffentlichte Meinung und nicht öffentliche Meinung.

Gruß postit
 
postit, ich stimme dir zu, dass die Oberen vor der Bild Angst haben. Das ist manchmal gut, manchmal schlecht.

Zum Stichwort "Qualität einer Zeitung" hab ich aber eine etwas andere Meinung. Qualität ist nämlich subjektiv. Die Kriterien, die du genannt hast, sind Kriterien, nach denen wir Journalisten eine Zeitung beurteilen. Allerdings: Der Köder muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler.

Fabrikarbeiter Heinz kann mit der FAZ oder der Stuttgarter Zeitung unter Umständen nichts anfangen ("Det kapier ick nich, was da drin steht"). Das siehst du allein daran, dass in "normalen" Tageszeitungen kaum ein Leser einen Artikel ganz zu Ende liest (haben Studien ergeben).

Die Bild-Zeitung spricht Heinz dafür an. Schöne Bilder, leichter Text, kurze Artikel ohne "langweilige" Zusatzinformationen. Große Bilder. Boulevard - und trotzdem alle wichtigen politischen Themen. Keine "langweiligen" Wirtschaftsthemen, sonder Sex & Crime. Nicht diese korrekte, fast meinungsfreie Journalistensprache, sondern Frage- und Ausrufesätze. Unterhaltung. Und trotzdem weiß er grob über alles wichtige in der Welt bescheid.

Für Heinz hat die Bildzeitung daher ein höhere Qualität als die FAZ, und er findet sie auch informativer.

Viele Grüße
DasGrauen
 
LiebesGrauen,
meinem Eindruck nach wirfst du ein paar Dinge durcheinander. Die journalistische Qualität ist weit weniger subjektiv, als du es darstellst. Ein Kriterium ist sicher die Lesbarkeit. Da mögen FAZ, ZEIT und Süddeutsche hinter BILD bleiben, was allerdings allein eine Frage der Lesefähigkeit des Rezipienten ist. Mir - ganz subjektiv - fällt es wesentlich leichter, einen Artikel der Süddeutschen zu Ende zu lesen als einen BILD-Artikel, und ein ZEIT-Artikel liest sich für mich leichter als ein FAZ-Artikel. Wenn ich das mal so ganz grob sage.
"Journalistisch gut", das betrifft die von postit genannten Kriterien. Ob Leser mit dieser journalistischen Qualität etwas anfangen können und ob Journalisten in der Lage sind, ihre recherchierten Ergebnisse leserfreundlich zu formulieren/präsentieren, das ist zweierlei und lediglich ein Teilkriterium.
Journalistische Qualität unterliegt, wie jeder Qualitätsbegriff, nachvollziehbaren und damit überprüfbaren, was inkludiert: objektivierbaren Kriterien.
Den Journalisten als "4. Macht" in einer Demokratie kommt deshalb eine andere und verantwortungsvollere Aufgabe zu als die, Produkte zu erstellen, die "dem Fisch schmecken". Wer letzteres zu seinem Kernziel erklärt, macht - und genau das ist es, was du augenscheinlich meinst und bzgl. BILD auch selbst sagst - UNTERHALTUNG. Unterhaltung und Journalismus schließen sich nun nicht zwingend aus, scharf zu trennen sind sie dennoch. BILD fokussiert den Unterhaltungswert und sortiert Themen anscheinend nach eben diesem. Unter dieser Prämisse wird dort Journalismus betrieben. Journalistische Arbeit, die nicht unterhaltend/boulevardesk aufbereitet werden kann, kommt nicht ins Blatt.
Andere Zeitungen stellen sich unter die Prämisse des Journalismus und versuchen die Ergebnisse möglichst unterhaltend zu präsentieren. Aber es gilt die alte Regel: Das Thema gibt die Form vor - und schließt damit manchmal die unterhaltende Form aus.
Ob "Heinz" BILD informativer findet als die FAZ, das möchte ich bezweifeln, wenngleich treffend sein dürfte, dass er sich von BILD mehr informiert fühlt. Denn die FAZ liest er kaum, da kann sie ihn nicht informieren. "Das ist mir zu viel und zu hoch, auch wenn sicherlich mehr drin steht. Da lese ich lieber BILD, das geht wenigstens schneller." So darf man sich das wohl vorstellen.
Ob zudem ein BILD-Leser durch BILD "grob über alles wichtige in der Welt bescheid" weiß, auch das wage ich sehr zu bezweifeln. Diese Sicht der Dinge ist lediglich die des (reinen) BILD-Lesers. Um sich von dieser Sicht kurieren zu lassen, muss er mal die FAZ lesen oder die ZEIT oder die Süddeutsche, hin und wieder auch mal den Spiegel, gerne auch dir FR, Stuttgarter Zeitung, Neue Zürcher Zeitung etc.
Das zu lesen, mag für ihn viel, viel Arbeit sein, aber danach wird er wissen, dass die Welt mehr ist als BILD und diese ihn zwar unterhält, aber kaum informiert. db
 
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