Mal der Reihe nach
Wunderbare Freundschaften könnten entstehen: Bekennende Klassizisten erleben plötzlich Tom Waits und Michael Nyman als Offenbarung, Fans von Lenny Kravitz laufen zu Alfred Schnittke über.
Radio Brandenburg...
Gefahrlos ist diese Programmatik indes nicht. Präsentieren die neuen Magazinformate einen zu bunten Mix, dann endet die schicke Schrankenlosigkeit in heilloser Nivellierung.
Redet man da über das Programm aus der Kufsteiner Straße in Berlin...?
Angelika Bierbaum, Wellenchefin beim Hessischen Rundfunk, kündigt für September anspruchsvolle, teils offene, teils spartenspezifische Magazine an. Die Dominanz der Klassik auf hr2 wird beendet.
Häbitte? Man vergleiche mit dem
neuen Programmschema. Die Frage ist, welche Musikfarbe die künftig unter dem Sendetitel "Mikado" arbeitstäglich sechs Stunden ("Passagenzeiten" nennen sie das) kultivierte Magazinitis haben wird. Ansonsten findet man 10.05-12.00 Uhr die Klassik-Matinée, 13.15-14.00 Uhr den Klassik-Boulevard, 15.05-17.00 Uhr das Klassik-Panorama... wo, bitte, wird dort die "Dominanz der klassischen Musik beendet"?!
Man hat ja noch hr-Klassik!
Wo die Tendenz auch arg in Richtung der größten Hits des 17., 18. und 19. Jahrhunderts geht, wie man so hört.
Und die gefürchtete "Entwortung"? Sie könnte aufwändig erstellte, akademische Skriptsendungen treffen.
Zum Beispiel wurden bei hr2 auch die Mediensendungen mit dem Reisigbesen rausgekehrt, wenn ich nichts übersehe...
Die Öffentlich-rechtlichen wollen stärker das frei gesprochene Wort pflegen
Aaah-ja, so macht man das: Nicht mehr mit einen hypschen Manuskript zur Lesestunde ins Produktionsstudio, sondern gleich mit ein paar Wurschtzeddeln ins Sendestudio und sich dort dann richtig in die Hosen machen
Ist schon was dran, wenngleich mir scheint, daß man anderenorts damit, BmE's gleich ganz auf den Index zu setzen, das Kind mit dem Bade ausschüttet. Hier ist die Frage allerdings, ob es den Kulturprogrammen hilft, sich solche Herangehensweisen abzuschauen. Davon alleine wird's auch noch nicht grundsätzlich anders, behaupte ich da mal.
Meine private Meinung: mir geht es mit vielen Versuchen, Hochkulturprogramme für weitere Hörerkreise zu öffnen, ausgesprochen schlecht. Die Mischung aus "Edel-Pop" und Klassik-Häppchen ist schwer verdaulich für mich, da ihr die Glaubwürdigkeit fehlt.
Ja, und ich fürchte, das hat etwas mit der Prägung, der Sozialisierung der Verantwortlichen zu tun. Sie sehen voller Erschrecken auf ihr, wenn man so formulieren darf, vergreisendes Publikum, versuchen gegenzusteuern, bekommen es aber nicht hin, neue Hörerschichten anzusprechen. Tragisch ist dabei, daß ggf. das Potential vorhanden ist, daß sie im eigenen Haus Leute haben, die ohne irgendeine Verrenkung den Bogen von Klassik bis Techno spannen können, sie aber diese Leute nicht auf ihrem Sender haben wollen. Schade eigentlich.
bei den reformierten Klassikwellen finden, zumal dort zuweilen noch eine erschreckend yuppieske Ansprechhaltung an den Tag gelegt wird
Das ist die Folge aus dem vorher gesagten. Gerade die Ansprechhaltung war bei Radio Brandenburg eben eine ganz andere. Wer fragt, wie man einem Kulturprogramm völlig neue Hörerschichten erschließen kann, der braucht nur einmal die magnetischen Hinterlassenschaften dieses Senders zu studieren, denn man kann eigentlich kaum schildern, was für eine fesselnde Sendung z.B. ein Wissenschaftsredakteur machen kann, wenn nur die Herangehensweise eine gewissermaßen unklassische ist.
Am Rande bemerkt halte ich es für nur folgerichtig, daß sich bei Radio Brandenburg die DT64-Aristokratie versammelt hatte. Auf der Hörerseite sah das dann übrigens auch nicht anders aus; ich kenne Leute, die sind damals nahtlos gewechselt.
Was dabei herauskommt, wenn man z.B. Berater auf Kulturwellen losläßt, kann man beim DeutschLandRaDio BerLin im RDS lesen, zumindest liegt der Verdacht nahe...
Als ich hörte, daß die auf der Kundenliste von Kreklau&Fitzek stehen, dachte ich im ersten Moment, das ist der Untergang des Abendlandes... Aber letztlich ist auch das eigentlich nur folgerichtig, wie es auch weiter folgerichtig sein dürfte, daß der Deutschlandfunk fast viermal so viel Hörer hat.