Ein Mann kämpft gegen die Dudelei
Supermarktmusik: Wie ein Pinneberger Musiklehrer der Zwangsbeschallung entgegentritt.
Pinneberg - Harald Fiedler nennt es "akustische Umweltverschmutzung", "klebriger Klangbrei", "penetrante Zwangsbeschallung". Der 74 Jahre alte pensionierte Musiklehrer aus Appen-Etz bei Pinneberg schimpft: "Seit 30 Jahren stört mich das Gedudel an öffentlichen Plätzen." Im Supermarkt, im Restaurant, in der Arztpraxis, in der Hotellobby, im Fahrstuhl - überall Dauerbeschallung. Sie ist Fiedler ein Gräuel. "Jeder Mensch hat ein Recht auf Stille. Das muss man respektieren", sagt er. Und er kämpft dafür.
"Pipe down - Lautsprecher aus!" So heißt der Verein, den Fiedler nach englischem Vorbild gegründet hat. 1300 Mitglieder zählt "Pipe down" (englisch: halt dich zurück, halt die Klappe) in Deutschland bereits. Darunter sind bekannte Mitstreiter: Altkanzler Helmut Schmidt, Pianist Justus Frantz, Dirigent Sir Neville Marriner.
Mit Protestbriefen zum Beispiel ans Umweltbundesamt und die Vorstände großer Supermarktketten versucht der Verein auf sich aufmerksam zu machen. Aber Fiedler kämpft auch im Alltag. Betritt der grauhaarige Mann einen "beschallten Supermarkt", geht er direkt zum Marktleiter und bittet ihn, die Konservenmusik aus den Lautsprechern abzuschalten. "Immer gibt es Diskussionen", weiß Fiedler. "Dabei geht die Beschallung den meisten Kunden auf die Nerven. Sie sagen nur nichts."
Um dies zu beweisen, geht er gerne in einem "beschallten Restaurant" von Tisch zu Tisch und fragt die Gäste , ob die Musik sie störe. Das Ergebnis seiner Umfrage trägt er dann dem Wirt vor. "Meist stellt der die Musik dann aus", sagt Fiedler. "Zumindest so lange, bis ich weg bin."
"Pipe down" - auch in Kanada, Dänemark, Österreich und den Niederlanden haben Anhänger der Ruhe an öffentlichen Plätzen zusammengefunden. In England, dem Gründungsland des Vereins, wurden die größten Erfolge erzielt. Der Flughafen London-Heathrow stellte die Dauerberieselung ab. Britische Restaurantführer erwähnen ausdrücklich die Beschallung von Lokalen.
"Wir fordern akustische Freiräume ähnlich wie Nichtraucherzonen", sagt Fiedler. "Die Lautsprecher unter den Decken partiell abzuschalten, kann nicht so schwer sein!" Gesetzliche Bestimmungen gebe es dafür aber nicht. "Das Bundesumweltamt sieht keine Notwendigkeit", sagt Fiedler bedauernd. Er macht sich für ein "Gesetz zur akustischen Selbstbestimmung" stark.
Fiedler ein Musikhasser? "Nein!", betont der Musiklehrer. "Ich liebe Musik. Aber dann, wenn ich sie will. Ich muss wählen können." Oft setzt er sich nachts im Pyjama an seinen schwarzen Flügel. Chopin, Läufe von Bach und Harmonien von Brahms füllen dann die nächtliche Stille im Hause Fiedler. Einen Fernseher oder ein Radio hat das Ehepaar Fiedler nicht.
"Wir sind keine skurrilen Außenseiter", verteidigt Fiedler sich und seinen Verein. Nie würde er zum Beispiel in eine Diskothek gehen und verlangen, dass dort die Musik abgedreht wird. "An manchen Orten gehört Radau ja dazu", sagt er lächelnd. Aber wo das nicht so sei, da müsse man kämpfen. "Sonst wird die akustische Umweltverschmutzung immer schlimmer!"