So hätte die ARD 2021 eigentlich auch arbeiten können. Aber nein, die haben gleich alles sofort abgeschaltet.
Hat sie nicht. Hier die grobe Zeitleiste:
7. Oktober 2020
Das IRT (2 Namen auf dem Schreiben) schreibt an die AG Sat der ARD und empfiehlt, LC-AAC zu verwenden, denn
"Ein AAC-LC Decoder sollte in nahezu allen HD-fähigen DVB-S- bzw. DVB-S2 Endgeräten enthalten sein."
Diese Aussage ist falsch, wie wir aus der Praxis bereits damals wussten und wie die ARD dann offenbar auch im Laufe des zweiten Halbjahres 2021 lernen musste (was ihr aber egal war). Auch ließ man bei der schlampigen Betrachtung Kopfstellentechnik und Kabelnetz-Empfangsgeräte gleich komplett außen vor (bzw. sah dafür die Netzbetreiber in der Verantwortung, was aber finanziell für kleinere Netzbetreiber unlösbar war).
Dezember 2020 - Februar 2021
Als ich Anfang 2021 bei den Geräteherstellern naiv tuend den AAC-Support abgefragt hatte, kam auch entsprechende Verneinung und in einem Fall die Bitte
"Wenn Sie jedoch einen Bedarf für diese Funktion sehen, würden wir uns über nähere Informationen freuen."
Ich konnte leider damals nichts entsprechendes antworten, weil ich freilich nichts wissen durfte. Hätte ich was blicken lassen und wäre das "eingeschlagen", um am Ende dann seitens der ARD doch nicht umgesetzt zu werden, wäre ich finanziell u.U. dran gewesen. Das berüchtigte Präventionsparadoxon. In diesem Fall musste ich also leider schweigen, obwohl laut Schreien das Angemessene gewesen wäre.
Ende April 2021
Angeblich durch ein Versehen / eine Indiskretion gelangten erste Informationen aus der ARD in Kreise der Kabelnetzbetreiber und damit auch zu mir. Für mich war es nicht neu, da ich ja bereits im Oktober 2020 über das Vorhaben der Umstellung auf AAC informiert worden war. Mir wurde da nur klar: sie meinen es ernst mit der Vernichtung der kompatiblen Verbreitung, sie ignorieren die Realität im Feld.
Aus Industriekreisen erfuhr ich dann, dass die offizielle Meldung der ARD an die ANGA am 27.4.2021 rausgegangen wäre - nur für B2B-Kunden.
Etwa zu dieser Zeit wurde die Industrie auch wach und stellte fest, dass ihre relevanten Geräte - auch die aktuell verkauften - kein AAC unterstützen.
14.6.2021
Publikation des AAC-Vorhabens in InfoSAT und DigitalFernsehen. Somit offiziell "für alle" draußen.
30.6.2021
Start der AAC-Programme. Massive Datenfehler, mit LaSAT-Geräten kaum was zu empfangen, mit vielen formal AAC-tauglichen TechniSat gar nichts. SR, SWR, WDR haben auf LaSAT Ton, verschlucken sich aber ständig. hr klingt auf LaSAT völlig obskur. Bedienung des Receivers wird zäh, der Datenstrom hebelt die CPUs aus. BR schweigt komplett.
Die funktionierenden, kompatiblen, qualitativ hochwertigen Programme in MP2 und teils AC-3 auf TP 93 bleiben on air und bekommen ein "alt_" vor den Namen, obwohl eher die neuen AAC-Programme ein "Test_" vor dem Namen verdient gehabt hätten.
Wenige Tage später Information aus ARD-Kreisen:
Massive Probleme mit den Encodern und den Muxern. Mehr Daten in den PES-Paketen, als im Header angekündigt. Deshalb Aussetzer / Fehlverhalten der Empfänger. Muxer mögen AAC-Streams nicht.
20.8.2021
Im HiFi-Forum wird eine Umstellung bei MDR Sachsen-Anhalt bekanntgegeben: testweise wurde der aac_type spezifiziert (und damit diese Stelle endlich spezifikationskonform gemacht worden). Digicorder ISIO S1 und TechniStar ISIO S3 spielen nun.
http://www.hifi-forum.de/viewthread-234-2121-3.html
24.8.2021
Antwort eines Geräteherstellers auf die Frage nach einer langfristigen Ankündigung von AAC durch die ARD: „Also ehrlich gesagt, wir haben dazu auch nichts. Daher würde ich das mit einem klaren NEIN beantworten.“
17.9.2021
Der hr testet auf hr2 zwischen 10 und 12 Uhr mit anderer AAC-Implementierung, da die Fraunhofer-Implementierung zu schallplattenähnlichem Knistern auf VU+-Receivern führt. Mit diesem Wissen dann eigenen Test mit VU+ eines Freundes durchgeführt: Audiofile in LC-AAC encodiert, einmal mit Fraunhofer-Codec (war einst dem Winamp 5.6x beigepackt), einmal mit lavf (FFmpeg). Ersteres knistert über die Dateiabspielfunktion, letzteres nicht.
25.9. / 26.9.2021
Eigene Laufzeitmessungen RBB Inforadio UKW Berlin 93,1 Scholzplatz vs. DVB-AAC vs. DVB-MP2. Zeitliche Drift AAC gegen UKW mit Schwankungen bis ca. +/- 5 ms innerhalb 45 Minuten Beobachtungszeit festgestellt. Alter Hörfunktransponder (MP2) bleibt hingegen perfekt synchron zu UKW und driftet nicht.
13.10.2021
Laut Foreneintrag auf rundfunkforum.de offenbar aac_type-Descriptoren nun ARD-weit aufgeschaltet. Einige TechniSat geben nun immerhin Ton aus.
16.11.2021
Vodafone stellt sein ex-KDG-Kabelnetz vom auf 192 kBit/s reduzierten MP2-Radio auf AAC um. Offenbar 1:1-Durchleitung bei AAC, Reencoding beim AC3 von NDR Kultur. Vistron VT855N und H60-Receiver von Bemondis knacken bei BR und NDR. NDR Kultur stottert (genau wie auf Satellit).
19.11.2021
Von einem Hobbyfreund vollständige TS-Dumps von TP 39 und TP 61 erhalten. Deutliche Unterschiede zwischen Ferncast (SWR/SR, WDR, hr) und Qbit (BR, MDR, rbb, NDR/RB). Ferncast hat äqidistante PCR-Stempel (ca. 30 ms), Qbit hat massive Schwankungen in der PCR Repetition Rate (5 – 30 ms). Ferncast hat 100 – 140 ms Zeit zwischen PCR und PTS, Qbit hat ca. 40 ms zwischen PCR und PTS.
14.12.2021
Abschaltung der Hörfunkprogramme auf TP 93 anstaltsweise zu unterschiedlichen Zeiten zwischen vormittag und mittag. Nur BR Klassik AC-3 und SWR 2 (MP2 und AC-3) hielten bis zum frühen Abend durch. Ansonsten überall hässliche Ansageschleife im Kasernenhofton, beim MDR nur auf einem Service, während alle anderen MDR-Services in der PMT auf diesen Service umreferenziert wurden, was zum Schweigen nicht dynamisch via PMT umschaltender Empfangsgeräte führte - also auf denen auch keine Ansageschleife. Betroffen davon u.a. Blankom-Kopfstellenumsetzr (UKW).
16.12.2021
BR Klassik läuft noch als letztes Programm über TP93 als AC-3.
21.12.2021
Antwort eines ARD-Technikers, der damals in einer Anstalt mit der technischen Kommunikation betraut war:
"Viele der genannten Fakten stimmen und wir haben große Probleme mit manchen Receivern. ... Das Problem gab es vorher nicht weil AAC nicht verbreitet war und die Software der Receiver deshalb nur im Labor getestet wurde Das rächt sich irgendwann selbst bei nachgeschobenen Updates.
...
Ich selber bin auch betroffen und kann nun auf meinem Kathrein Receiver, den ich vor allem wegen seiner wunderbaren Menüführung liebe, nur noch wenige meiner bevorzugten Radio-Programme hören"
Ende Dezember 2021
Eine ARD-Anstalt beobachtet seit einem Softwareupdate (auf eingebettetes RDS) in ihren Encodern eine zeitliche Drift, die bei Nutzung des AAC-Audios via Satellit zur UKW-Senderzuführung Probleme macht mit der Synchronizität im Sendernetz.
-> das alte System ist nun seit 2 Wochen abgeschaltet, das neue spielt weiterhin fehlerhaft.
11.1.2022
ARD-Projektgruppe arbeitet inzwischen mit Kontakt zur Geräteindustrie wegen der massiven Probleme (Pegel-/Dynamikfehlsteuerung durch das spezifikationswidrig eingefügte RDS in die ancillary data des AAC-Datenstromes. RDS in den ancillary data des AAC triggert Lautstärkeregelung).
-> das alte System ist nun seit einem Monat abgeschaltet, das neue spielt weiterhin fehlerhaft.
18.1.2022
Encoder-Update bei BR, MDR, RBB, NDR: Abstand PCR – PTS wird von 40 ms auf ca. 120 ms erhöht. Knacken auf LaSAT/Bemondis-Geräten bei BR und NDR ist damit weg. Kein Knacken gehört bei Bayern 1 und NDR Blue, 60 Minuten BR Klassik sind Bemondis-Decoding (S/PDIF) gegen Software-Decoding aus dem TS samplesynchron durchgelaufen.
Weiterhin Filter für bestimmte heikle Zeichenkombinationen im RDS via ancillary data gesetzt, um Dynamik-Fehlsteuerungen einiger Empfangsgeräte zu verhindern.
19.2.2022
Der NDR erkärt recht klar, dass AAC und Surround nicht wirklich zusammen passen:
"Der NDR hat sich bewusst für die hochqualitative AC3-Ausstrahlung von NDR Kultur auf dem Satellitenweg, den Ihr Kabelnetzbetreiber zur Signaleinspeisung nutzt, entschieden, um weiterhin Musikproduktionen im Mehrkanalton ausstrahlen zu können."
https://www.vodafonekabelforum.de/viewtopic.php?p=713880#p713880
21.2.2022
Klare Aussage der technischen Hotline des BR: AAC-Surround kaum möglich
"Leider gibt es momentan nur sehr wenige Geräte, die eine saubere Trennung der neuen AAC-Surround Daten zur 5.1-Anlage beherrschen. Erst wenn dies funktioniert bzw. wenn in den Empfängern eine Wandlung von AAC-LE nach AC3 vorgenommen wird ist dies wieder mit Ihrer bestehenden Anlage möglich. Bei einigen neuen Soundbars bzw. neuen LED-Fernsehern wird dies bereits umgesetzt.
Aktuell kann mit "normalen" Satempfängern über AAC-Surround nur ein Stereosignal gehört werden....
Die Transcodierung muss nach AC3 erfolgen weil sonst die Surroundanlagen nichts damit anfangen können. Dies wird aber momentan noch in keiner Box umgesetzt. Das ist ein reines Softwareproblem."
https://forum.digitalfernsehen.de/t...-sat-radio-gesucht.429491/page-6#post-9566129
Aus Technik-Kreisen weiß ich: es gibt auch heute noch, mehr als 3 Jahre nach Aufschaltung, ungeklärte Probleme, die aber vor allem für die ARD selbst hinderlich sind und "Normalmenschen", die ihre Geräte nicht 24/7/365 durchlaufen lassen, nicht auffallen.
Da ist also von Anfang an massiv viel schief gelaufen, die Umstellung auf AAC hätte unter den im Feld gegebenen Voraussetzungen nie erfolgen dürfen. Aber "gleich alles sofort abgeschaltet" haben sie nicht.
Der ORF zeigt jetzt wie es richtig gemacht wird
"Richtig" im Sinne der maximalen Kompatibilität wäre, OE1 in 256 MP2 und alle anderen Programme in 192 oder 224 MP2 aufzuschalten. Aber der Zug ist abgefahren, die ARD hat halt mit AAC vorgelegt und die Geräteentwertung eingeleitet - aber auch die nachträgliche Aufrüstung mancher Geräte und Kopfstellenumsetzer, worauf der ORF nun aufsetzen kann.
Man kann nur hoffen, dass sie die 128er LC-AAC sauber hinbekommen, damit wären die Landesprogramme in deutlich besserer Audioqualität als bislang (160 MP2) auf Satellit, auch FM4 (bislang 192 MP2) könnte dadurch noch gewinnen. Und selbst OE1 (bislang 256 MP2, nun 192 LC-AAC) klingt für mich auf AAC sauberer, das "ORF-Zischeln" ist weg.
OE3 in 128 LC-AAC - und sei es zusätzlich zum offenbar dem ORF-Notfallkonzept geschuldeten MP2-Angebot - wäre auch fein. Und RDS, erstmals beim ORF.
Aber zum Beginn würde es reichen, wenn sie die neuen Services fehlerfrei zum Laufen brächten.