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Aus Medienjournalismus:
DAB kontra Freies Radio?
Aktualisiert am 02.09.03
Zur Funkausstellung sind nun auch die letzten freien UKW-Frequenzen in Berlin besetzt
Weitgehend unbemerkt und vor allem unbehelligt von den Vertretern der freien oder nicht-kommerziellen Radioszene Berlins senden Marketinginitiativen für das Digitalradio-System "DAB" auf den letzten freien analogen UKW-Frequenzen 97,2 MHz und 104,1 MHz im Berliner Äther.
Letztere wird von der zuständigen Landesmedienanstalt für kurzzeitige Radioprojekte oder Veranstaltungsübertragungen wie zur jährlichen Loveparade freigehalten. Zur Funkausstellung wird dort nun im Wechsel eine der 40 DAB-Stationen gesendet, um den Berlinern ohne digitales Empfangsgerät DAB schmackhaft zu machen.
Das "IFA Radio 2003" auf der UKW-Frequenz 97,2 MHz und natürlich im DAB-System ist dagegen ein Messeradio mit äußerst professionellen Ansprüchen, die auch tatsächlich umgesetzt werden. Befürchtungen nach ersten vollmundigen Ankündigungen der DAB-Marketinginitiativen, die ausgewählten Nachwuchsjournalisten und Studenten der Uni Leipzig würden nur Hofberichterstattung abliefern, haben sich nicht erfüllt. Das Programm konnte doch in der Mehrzahl überzeugen.
Zum einen dank einer für den heiß umkämpften Berliner Radiomarkt recht ungewohnten, aber durchaus angenehmen Musikauswahl, bei der schon mal zwischen eher selten gespielter Popmusik auch Chansons oder gar Klassikstücke gespielt werden. Zum anderen aufgrund einer wohl noch unverbrauchten Beherztheit, was den Umgang mit Vorstandsvorsitzenden, Ministerpräsidenten oder ARD-Programmdirektoren angeht, die Jungjournalisten gegenüber bei Interviews manchmal schon recht herablassend auftreten können.
Der Ehrgeiz einer jungen Messeradio-Reporterin war dann sogar so groß, dass sie sich lauthals über "diese Frechheit" beschwerte, als am bis 23 Uhr geöffneten Messefreitag Mitarbeiter der großzügig ausgestatten Computerarbeitsplätze in der IFA-Pressestelle nach über zehn Stunden Dienst an den Pressevertretern um 18 Uhr auch ihren wohlverdienten Feierabend antreten wollten. Da nimmt wohl jemand "ihr" Messeradio sehr ernst.
Sehr ernst meinen es auch die Lobbyisten der "radiokampagne.de", einer Kampagne für ein Freies Radio in Berlin, die unter diesem Namen seit Januar 2002 die Bevölkerung und zuständige Politiker und Beamte informieren, was ein "Freies Radio" überhaupt ist und warum es so peinlich für die Hauptstadt ist, im Gegensatz zu deutschen Provinz keine solche Radiostation aufweisen zu können. In Berlin träumen gewisse Kreise ja seit einiger Zeit davon, eine richtige Metropole zu sein, eine "Stadt des Wissens", eine "junge Stadt", das "Tor nach Osteuropa", ja sogar die "Hauptstadt der Talente" und die "Medien- und Filmhauptstadt Deutschlands".
Alles hohle Phrasen und leere Versprechungen fern der Realität, so sehen es mittlerweile nicht nur die Aktivistinnen und Aktivisten der radiokampagne.de, sondern auch Vertreter einer Branche, die von Berliner Politikern und Mitarbeitern der Senatskanzlei und anderer Behörden besonders heftig umworben wird, sich aber trotzdem zu zwei Interessensvertretungen zusammengeschlossen hat, um den Worten der Herrschenden auch wirklich Taten folgen zu lassen. Gemeint ist die Musikindustrie, die so genannten "Labels".
Große Enttäuschung herrschte im letzten Jahr bei den Berliner Plattenfirmen, als mit "Universal Music" der größte deutsche Musikkonzern von hiesigen Offiziellen mit etwas Fördergeld und anderem Bezirze von Hamburg in die Hauptstadt "entführt" wurde. Diese Aufmerksamkeit wünschte man sich bei Labels wie Bungalow, K7, Kitty-yo, Firestation Tower oder Piranha schon lange, doch nur der Riese aus Hamburg konnte die Berliner Politiker für eine kurze Zeit aus ihrem Elfenbeinturm herauslocken, um sich dann im Ruhm dieser Aktion zu sonnen.
Die Gründung von "Marke B" sowie der "Label-Commission Berlin" im "Verein Unabhängiger Tonträgerhersteller" war da nur konsequent, nachdem die Clubbetreiber sich mit ihrer "Club-Commission" gegen die unfairen Vertreibungen durch Gentrification in den Berliner Kiezen und Behinderungen seitens der Berliner Behörden zur Wehr setzen wollten.
Während der Medienbeauftragte von Berlin und Brandenburg, der ehemalige Bertelsmann und jetzige Präsident von Hertha BSC Bernd Schiphorst, beim "Innovationsdialog 2002" im überfüllten Saal der Investitionsbank aufs peinlichste erkennen ließ, überhaupt keine Ahnung von den Strukturen des deutschen Mediensystems zu haben, erinnerte der frischgebackene Neu-Berliner und Chef von Universal Music, Timm Renner, die Berliner Behörden daran, wo die eigentliche Stärke dieser Stadt liegen müsste: Sie sollten bei auftauchen Piratensendern so lange wie möglich zögern, diese mit Funkpeilung aufzuspüren und auszuheben. Sie sollten die sich in Piratensendern darstellende Kreativität also möglichst lange dulden. Großer Beifall der anwesenden Manager, Juristen und Finanzexperten war ihm anschließend sicher.
Schlimm muss es also um die Zukunftsfähigkeit unserer Hauptstadt stehen, wenn selbst die "Deutschen Gründer- und Unternehmertage" sich im Mai dieses Jahres mit dem ehemaligen Piratensender "Twen FM" eine Art musikalisches Feigenblatt für die Nachtstrecke des "deGUT"-Radios ins Boot holen. Denn nicht die öffentlich-rechtlichen und schon gar nicht die privaten Radiostationen in Berlin verkörpern eben jene Kühnheit und Tatendrang, die die auf Aufbruchstimmung hoffenden Veranstalter so schmerzlich vermissen und schließlich u.a. dank der Vermittlung durch die Labelverbände beim DJ-Radio Twen FM fanden.
So gab es zehn Tage lang jeweils von 19 Uhr bis 7 Uhr am nächsten Morgen auf dem temporären Radiosender "deGUT" mit der Frequenz 97,2 MHz ein Programm zu hören, welches für viele Berliner eine Art Erlösung aus dem Wahnsinn des Dudelfunks gewesen sein muss, wenn man die zahlreichen E-Mails liest, die Twen FM in dieser Zeit erhalten hat. Die restliche Sendezeit unter der Führung der Werbeagentur "ariadneundwolf" übernahmen dann bekannte Privatradio-Stimmen mit überwiegend grauenhaft schlechten Moderationen und noch langweiliger Musikauswahl. Vor allem ein während der Sendung dauerfröhlich und dummlabernde Moderator, der zudem noch debil-wahnsinnig von in der Stadt angebrachten riesigen "DeGUT"-Plakatwänden grinste, ließ einen wünschen, dass es bald wieder 19 Uhr werde und Twen FM das Ruder übernehme.
Twen FM jedoch hat keine festangestellten Moderatoren oder Redakteure, sondern besteht aus einem Netzwerk von DJs, Musikern, Club-Betreibern und Vertretern kleinerer Plattenfirmen, die jeweils eigene Sendungen machen. Die Kontakte laufen dabei über den DJ und Medienkünstler Sacha Benedetti, der die Vergabe der Sendezeit koordiniert und alle Fäden in der Hand hält, um "seiner" Station einen speziellen Charakter zu verleihen.
Wie Politiker und Behörden die wahren Schätze Berlins mit Nicht-Beachtung strafen oder gar deren Nutzung absichtlich behindern, ist unbegreiflicherweise allen anderen außer diesen beiden sofort ersichtlich.
Kurzum, man fasst sich "an den Kopp", "dit is' doch allet nich wahr", man möchte es "janich glooben", welche Chancen jetzt in Berlin verspielt werden, weil gewissen Leuten in gewissen Positionen ihr Hemd näher ist als ihre Hose. Die geneigte Leserschaft weiß, was damit gemeint ist, dazu braucht es auch keine weitere Erinnerung an den Berliner Bankenskandal oder an andere Schweinereien. Leider taugt die Drohung mit der Wahlurne alle vier Jahre überhaupt nichts mehr. Die Kämpfer für ein Freies Radio in Berlin setzen daher auf andere Hebel und es ist dieser Stadt zu wünschen, dass sie damit bald erfolgreich sind.
(opi)