Das Problem: Das alles kostet Geld und erfordert kompetente Personen (die dann auch in der Regel wissen, was sie wert sind) an den richtigen Stellen. Um das zu umgehen, importiert man einfach Titel, die im Ausland schon Hits sind, und hat dadurch die Möglichkeit, mit einem Minimum an finanziellen Investitionen ein Maximum an Gewinn herauszuholen.
Ich glaube da folgt man bis zu einem gewissen Grad dem kommerziellen Chartdiktat der Majors, heute kommt es gar nicht mehr so sehr darauf an ob ein Titel viele Anhänger findet, Hauptsache man kann ihn bei einer jungen Zielgruppe effektiv vermarkten , will heißen in Albumverkäufe oder Downloads ummünzen. Was sich gut verkauft muss noch lange nicht beim Mehrheitspublikum verfangen, oft ist sogar das glatte Gegenteil der Fall, was ich aufgrund jahrzehntelanger Erfahrung mit dem amerikanischen Radiobetrieb aus vollem Herzen bestätigen kann. Viele Songs entwickelten sich zu wahren Kultsingles, obwohl weder Single noch Album sonderlich viel Geld einspielten. Moderne Rockmusik deckt ein Viertel der amerikaweiten Plattenverkäufe ab, im Radio fristet sie aber ein klägliches Nischendasein.
Bezüglich der Produktionsbedingungen im Schlagerbetrieb kann ich mir ein paar kurze Anmerkungen nicht verkneifen. Neben dem hinlänglich diskutierten Beraterfilz sind auch die Musikredakteure der Schlagerwellen voll in der Verantwortung, zumal sie seit Jahr und Tag mies produzierte und ärmlich arrangierte Bontempi-Nummern ins Programm heben, bei denen es einer Mehrheit der für den Schlager essentiellen Altersschichten die Zehennägel aufrollt und den kalten Schweiß auf die Stirn treibt. Würde man das vielfach exzellente Stimmmaterial musikalisch adäquat präsentieren (Studiomusiker, Percussion, handwerklich gediegene Arrangements) wäre deutsche Unterhaltungsmusik heute über die Maßen populär und selbst die unleidigen Beraterseilschaften könnten ihren Siegeszug nicht aufhalten.
Dabei ist es völlig egal, ob die Provenienz eines Musikstücks eher auf den klassischen Schlager oder Volksmusik hindeutet, auf Jazz, Blues, Classic Rock oder Soul, entscheidend sind die qualitativen Standards und die zeitgemäße Umsetzung. Und was das Geld betrifft ist weniger oft mehr, denn wenn wenige hochwertigen Produktionen in einem bewährten Umfeld schneller rotieren, spielen sie genug Geld ein, um das Genre gedeihen zu lassen. Doch dazu bedarf es einer bewussten Auslese, die minderwertige Ware bereits im Vorfeld aussiebt.
Richtig, diese politisch-korrekten Songs und Interpreten will kaum jemand wirklich hören, aber dadurch, daß sie sich bewußt vom konventionellen Schlager abgrenzen werden sie als Vorzeigeobjekte hergenommen. Ich habe noch keinen Menschen kennengelernt, der Xavier Naidoo mag, und auch die Fantastischen Vier spielen in der Masse nicht den Hauch einer Rolle, und trotzdem werden genau solche Künstler vom Fernsehen absolut hofiert. Political Correctness eben.
Die krankhafte Zurückweisung launiger, unbeschwerter Musik in deutscher Sprache ist eine Krankheit, die Deutschland schon seit Jahren unerbittlich heimsucht. Im internationalen Musikbereich läuft indessen jede Menge flachsinniger, ja teilweise sogar stupider Top-40-Pop und keiner stößt sich daran. Wenn man deutsche Depri-Musik, Top-40, 80er-Classics, Modern Rock, Alternative und ein paar AC-Songs zusammenrührt erhält man ein musikalisches Tohuwabohu, das sich schon seit längerem als reiner Hörerkiller erweist. Wie man das Radio nur so vor die Wand fahren kann!
Auch in Amerika bäckt man zwar schon seit langem kleinere Brötchen, aber das immer noch facettenreiche und vielgestaltige Radioangebot wird zumindest noch phasenweise mit Interesse genutzt, obgleich mit Pandora, Slacker /AOL, Spotify und Co. bereits weit über 100 Millionen Nutzer regelmäßig individualisierte Musikschleifen konsumieren. Der größte amerikanische Radiobetreiber Clear Channel unterhält mit seinem Online-Dienst "IHeartRadio" einen ähnlichen Dienst und fährt damit längst zweigleisig - verliert er im Äther Geld, versucht er es im Netz wieder reinzubekommen. So sieht bedachtsames, vernünftiges Wirtschaften aus.
In Deutschland zieht man es vor Zielgruppen zu hofieren, die das Radio mit Verachtung strafen und denjenigen, die es wirtschaftlich am Leben erhalten könnten, zeigt man respektlos die kalte Schulter. Mal sehen wie lange dieser Wahnwitz noch funktioniert. Xavier Naidoo hat sicher seine Anhänger, aber es gibt in Deutschland kein einziges Wellenangebot, das auch nur anteilsweise Hardcore-R&B spielt - da muss seine Musik zwangsläufig wie ein Fremdkörper wirken.