Technik bei N-JOY in der Bebelallee

Hallo zusammen,

mein erster Beitrag in diesem Forum - ich hoffe, ich mache alles richtig! :)

Ich interessiere mich seit Jahr und Tag für die Studiotechnik, die seinerzeit bei N-Joy in der Bebelallee im Einsatz war. Speziell geht es mir um die IT, die man damals genutzt hat (Server- und PC-Systeme, Betriebssysteme, Speicher, Netzwerke, Dateiformate im Musikarchiv, etc.). Auch das Zusammenspiel der Rechner mit dem Pacific-Pult finde ich spannend. Ich war beim Anschauen der N-Joy-Morgencrew auf N3 immer fasziniert davon, dass mit einem Druck auf das Pult ohne jede "Gedenksekunde" Musik und sonstige Inhalte abgefahren werden konnten. Da muss ja für damalige Verhältnisse schon entsprechende Rechenpower im Hintergrund gewesen sein.

Was war dort damals IT-technisch grob im Einsatz? War dort eigentlich alles direkt im Studio verbaut oder teils in andere Räume ausgelagert? Ich freue mich sehr auf Input! :-)

Vielen Dank und Gruß
Dirk
 
Hallo Dirk,

zu den verwendeten Computern, welche sich in einem kleinen Technikraum im Erdgeschoss befanden, kann ich nur bedingt etwas sagen. Vielleicht ein wenig mehr Background zu der eigentlichen Studiotechnik, welche für Technikinteressierte nicht weniger spannend ist.

Im Studio vom Rundbau war ein Pacific AMX 34 Installiert. Es war zu seiner Zeit die Größte Ausführung mit einer Breite von 68 Zoll, welche von PR&E in Carlsbad ( Kalifornien ) gebaut wurde.

Ich war bereits öfters in den USA und konnte direkt mit dem Entwickler Michael Dosch sprechen. Für den US Markt war es damals üblich, dass in der oberen „Brücke“ vom Mischpult Analoge VU-Meter eingebaut wurden. Für Deutschland wurde die Brücke eigens für RTW Peakmeter ( 2-3 Stück ) angepasst und selbst die Skala für die RTWs in dem typischen "Pacific Beige" gedruckt. Von der Großen AMX Serie wurden nur wenige für unseren Markt produziert. Eines der Pulte, welches ich Restauriert habe hat z.B. die Serien Nr. 010. Ich habe es bis auf die zahlreichen Mikrofonkanäle, welche bei N-Joy im Einsatz waren gleich bestückt.

Distributor war Thum & Mahr, welcher auch die GPI/O Steuerungen gebaut hat. Diese befand sich im Studiorack links & rechts in 19“ 2HE Einschüben; welche u.a. an der schwarz getönten Plexiglasfront erkennbar ist. In den Einschüben befanden sich Relaiskarten; Timerkarten ; Logikkarten & Netzteile inkl. LED´s zur Kontrolle der Schaltfunktionen. Ich habe noch solche Steuereinschübe da. Wenn ich irgendwann Zeit finde, kann ich gerne ein Foto hochladen.

Die GPI/O Einschübe waren über Siemens Messerleiste mit Molex am Mischpult aufgelöst. Ebenso wie alle Audioverbindungen mit Molex + Jumper für die Fadereinschübe gesteckt waren.

Das N-Joy Pult hatte für die beiden TELOS-Delta Telefonkanäle eine EQ-Karten verbaut. Mindestens zwei der Mikrofonkanäle ( die Bestückung hat sich während der Betriebszeit etwas verändert ) hatten eine teure von PR&E entwickelte Voice Prozessor Karte verbaut, welche aber auf Bypass geschaltet war. Es wurden Hauptsächlich Yellowtec VIPs verwendet.

Im Mittelteil befand sich eine einfache Eigenentwicklung zur Steuerung der SAS:

2 Einschübe mit einem rot- / grün- und gelben RAFI Taster bzw. Signallampe. Unter den Einschüben waren die jeweiligen Ausspiel-Kanäle angeordnet. Für N-Joy wurde jeweils der Fader links und rechts der Skriptablage gewählt, was eher ungewöhnlich ist, da diese meist nebeneinander sitzen.

Rot: SAS Player spielt aus / Grün: Element Stand-Bye / Gelb als Taster ausgeführt für SAS PFL

Jingles wurden wie damals üblich, über eine Kassentastatur aus dem System abgefeuert.

Ein paar nette Eigenentwicklungen waren ein Peak Level Indikator, welcher eine Rundumleuchte angesteuert hat. Es gab auch zwei kleine LED-Text Displays, welche über GPI´s in EPROMs abgespeicherte Texte angezeigt haben. Wie z.B. „Mikrofon ON“ oder „NEWS“ wenn die Headsets der Newssprecher eingeschaltet wurden. Damals wollte man mit relativ wenig Geld etwas für die „Optik“ bieten, da die Ausstrahlung im Morgen-TV die Jugendwelle bekannt machen sollte.

Fun Fact: Über vielen Reglern am Mischpult wurden später Plexiglasabdeckungen angebracht, damit kein Moderator etwas verstellen konnte.

Zu der Computertechnik:

In der Anfangszeit waren ( auch wenn man es sich Heutzutage schwer vorstellen kann ) u.a. 486er DX Rechner üblich. Diese hatten SCSI Karten mit Verbindungen zu Festplattenlaufwerken, welche einst ein Vermögen gekostet haben. In den Rechnern werkelten Digigram Soundkarten mit ISA Anschluss im XXL Format als Sandwichbauweise, welche auch sehr heiß gelaufen sind. Einen Rechner mit „Dira“ aus den 90ern habe ich sogar noch Lauffähig hier. Ich mache bei Zeiten auch gerne Fotos davon, falls es für jemanden interessant sein sollte. Man hat eben das verbaut, was der Markt zu der damaligen Zeit hergegeben hat. ( sofern man das Geld dafür ausgeben wollte bzw. konnte )
 
Ich schließe mich an: herzlichen Dank für diesen Einblick!

Das mit den Digigram-Soundkarten wusste ich. Sind die bis "vorne durch" geschoben worden? Schon damals - PC-Selbstbau war 1994 absolut üblich - war vielen Menschen ja nicht bekannt, wofür diese komischen Kunststoffschienen ganz vorn hinter dem "Piepser" unter dem Laufwerkskäfig waren. Da fanden die Karten in voller Baulänge Halt:

ISA-Karte volle Baulaenge.jpg

Diese Digigram-Karten hatten doch Hardware-Decoding für MPEG 1 Layer II, oder? Mit einem damaligen PC und dessen CPU konnte man sowas in Echtzeit nicht bewerkstelligen.

Irre, welchen Aufwand man damals betrieb und was für ein inhaltlich erbärmliches, billiges, primitives Krawallprogramm dabei rauskam.

Ich hätte beinahe mal wenige Wochen vor Ende des Sendebetriebes aus der Bebelallee die Möglichkeit gehabt, mir das damals schon derbe abgerockte Studio anzuschauen. Blöderweise hatte der NDR da wegen "Terrorlage" eine erhöhte Sicherheitsparanoia ausgerufen, so dass ich nichtmal in Begleitung des technischen Mitarbeitenden des NDR, der in mein einstiges studentisches Umfeld eingeheiratet hatte, dort reinkam. Irrerweise standen mir darüber aber die Türen offen am Rothenbaum, ich war bei NDR Info im Studio, ich konnte auch durchs Fenster in den Neubau reinschauen, was ich aber auch nicht sonderlich interessant fand. Die Bude von N-Joy, Heimat des schlechtklingendsten (wie viele Prozessoren und Optimods hingen da eigentlich hintereinander?) ARD-Programms, das ich damals kannte, wäre schon spannend gewesen. So zum Gruseln.
 
Im Grunde ja wirklich ein für damalige Zeiten riesiger technischer Aufwand. Der Hinweis mit dem Hardware-Decoding erklärt natürlich einiges! :thumbsup:

Eine Frage, die sich mir förmlich aufdrängt: Wie "zuverlässig" war denn dieses Gesamtsystem in der Anfangszeit eigentlich? Hatte man damals schon Hot-Standby-Systeme zur Verfügung, z. B. für den Fall, dass der Rechner mit der Sendeablaufsteuerung hängt oder wurde in dem Fall einfach auf CDs zurückgegriffen? Über das Pacific-Pult und Peripherie musste man sich - wie ich hier im Forum schon vielfach gelesen habe - wohl wenig Sorgen machen, aber die damaligen Rechner?! 🤔
 

Warum durfte die Frau nicht dranrumspielen? "Bypass" drücken und alles ist gut. ;)

Der Moment der Umschaltung Ankündigungsschleife -> Studio Bebelallee war beeindruckend. Die Schleife absolut sauber und dynamisch, mit das beste, was ich auf Astra analog je gehört habe. Aus der Bebelallee (bereits vor 16:44 Uhr aufgeschaltet) widerlicher Klirr, grauenvoller Soundbrei. Klang wie "kaputt, such mal den Fehler". War aber halt Absicht.
 
Zuletzt bearbeitet:
Der Videoschnipsel ist wirklich spannend und ermöglicht zumindest einen kurzen Blick hinter die Kulissen. Vieles im Studio und auch in dem Technikraum kann ich - dank Euch - nun einordnen. :)

Seltsam finde ich die Frage der Moderatorin danach, was die sogenannte "Blackbox" hinten in der Ecke kostet. Da hätte stattdessen gern mal die Technik im Fokus sein dürfen! :D Am Beispiel des Videos: Ich sehe da ein Regal, das augenscheinlich jede Menge PC-Hardware enthält. Befinden sich darunter die Rechner für die Ausspielung? Also jene mit den oben beschriebenen Soundkarten und der dira!-Software sowie das System, das die Cartwall beinhaltete? Den Klotz in der Ecke hätte ich jetzt als Server mit den oben erwähnten SCSI-Platten interpretiert, auf dem dann effektiv alle Audioinhalte gespeichert waren, oder?

Bitte seht mir laienhafte Fragen nach. Ich versuche mir ein Gesamtbild zu machen, mit welchen technischen Mitteln das alles damals funktioniert hat.
 
Es freut mich, wenn ich ein paar Infos für die interessierte Technik-Gemeinde beitragen kann.

Mir fehlt momentan leider die nötige Zeit, um Bilder von der Hardware zu machen. Ich habe es aber auf dem Zettel...

In meinen, vor der Verschrottung geretteten Rechnern aus Anfang der 90er, sind Digigram PCX5 V2 Karten verbaut. Im Internet findet man kaum noch Fotos bzw. Infos zu diesen frühen Soundkarten.

Die Karten sind relativ lang, tragen aber vor allem in der Breite auf.

Als ich mich vor Jahren mit den alten "Kisten" beschäftigt habe, sind nach Netzteiltausch diverse Kondensatoren auf den Soundkarten abgebrannt.

Es sind zum Glück noch Große SMD Bauteile, welche ich selber austauschen konnte. Die Rechner liefen taatsächlich wieder und man konnte einen Einblick in die damalige SAS erhalten.

Auf der Rückseite sitzen auch Serielle Hardware Dongles, welche zum Betrieb der Software benötigt werden. ( wie ein Lizenzschlüssel )

Zu dem You-Tube Video:

Diese "Black Box" wird vermutlich ein Server sein. (NetWare / Novell)

NetWare war damals eine der wenigen Optionen, um x86 basierte Rechner zu vernetzen und damit Dateien über ein zentrales Verzeichnis auszutauschen. Dafür spricht auch, dass auf den im Video zu sehenden Monitor Hauptsächlich Textzeilen ablaufen. ( keine normale Benutzeroberfläche )

Im Schrank daneben, stehen ja auch normale Rechner aus der damaligen Zeit, welche vernetzt sein möchten.

Der ältere Techniker vom NDR steht mit der Reporterin vor dem Rack mit dem Soundprozessing.

Ein Lemosa-Feld mit steckbaren Brücken, welche einen Mittelabgriff besitzen, ermöglichten den Technikern mit passendne Kabeln die Signale abzugreifen ( Abhören / Messen ) und ggf. auch ein Routing.

Früher wurde der Signalweg auch mit schönen Blockschaltbildern auf dem Lemofeld dargestellt, so das man relativ genau wußte, wo in der Signalkette ein vermeintliches Problem besteht.

Ansonsten sieht man einen normalen 19" Abhörmonitor, einen Optimod 8200 und etwas darunter einen Stereomaxx. Die Experten aus dem Forum haben zu den Geräten in anderen Threads bereits viel geschrieben.
 
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P.S. Sorry - kleiner Fehlerteufel:

Linkes Rack ( v.O. )

- FM Tuner
- Abhöreinheit
- Lemo Feld
- Stereomaxx
- Optimod

Rechtes Rack:
- 360 Systems DigiCart
- HDD u.o. Zip 100 Laufwerk
( neben bzw. für Digicart )
- Codec
- 1 HE Anschlussfeld
- Rechner
 
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