Viele Privatradios senden Notrufsignale
Anbieter leiden unter der Werbeflaute und der Konkurrenz der ARD-Sender / Klage über "Marktverstopfung"
Die Nervosität bei den privaten Hörfunkanbietern wächst. Die Werbeeinnahmen der Sender schrumpfen. Reformen sollen die Wende bringen, doch nicht in allen Forderungen sind sich die Privaten einig.
VON GUIDO SCHNEIDER
Frankfurt a. M. · 25. November · "In aller Stille hat der öffentlich-rechtliche Rundfunk die Zahl seiner Hörfunksender in den vergangenen Jahren stark vermehrt und eine gebührenfinanzierte Marktverstopfungspolitik betrieben", schimpft Ulrich Gathmann, Geschäftsführer der im Radiogeschäft engagierten Oldenburger Nordwest-Zeitung. Die Gebührenfunker der ARD hätten zudem Popwellen wie SWR 3 oder NDR 2 "entwortet", so der Manager. "Das führt dazu, dass diese Programme den Privatradios zum Verwechseln ähnlich werden." Mit der Folge, dass die öffentlich-rechtlichen Rivalen langfristig die Oberhand gewännen.
Kein Wunder, dass die privaten Hörfunkanbieter besonders aufmerksam die Diskussion über Rundfunkgebühren und Strukturreformen für die Anstalten verfolgen. Denn anders als im Fernsehen dürfen die ARD-Radios zur besten Sendezeit am Morgen und am späten Nachmittag ohne Einschränkungen Spots ausstrahlen. Hinzu kommt, dass sie pro Tag deutlich länger werben können - beim Hessischen und beim Bayerischen Rundfunk sind es beispielsweise bis zu 128 Minuten pro Tag - als die öffentlich-rechtlichen TV-Sender, denen täglich nur 20 Minuten vor 20 Uhr zur Verfügung stehen.
Zudem erreichen die ARD-Radios in der Summe mehr Hörer als die Privaten. Ein Trend, der sich durch die Werbeflaute verstärkt hat. Sie hat die Privaten hart getroffen und zu Einsparungen auch beim Programm gezwungen. Schalteten 2001 noch täglich 32,4 Millionen Menschen eine Welle aus dem ARD-Verbund ein, werden es dieses Jahr rund 33 Millionen sein. Gleichzeitig sinkt der Hörerzuspruch beim Privatradio: von 28,6 auf etwa 28 Millionen.
Die Netto-Werbeeinnahmen der ARD-Radios schrumpften 2002 nur um fünf Prozent auf rund 182 Millionen Euro. Die private Konkurrenz büßte 15 Prozent ein, musste sich mit 413 Millionen Euro bescheiden. In den ersten zehn Monaten 2003 erzielten die Privaten einen Brutto-Werbeumsatz von 525 Millionen Euro (minus 1,2 Prozent). Bei den ARD-Wellen mit Werbung waren es bei dieser Kennziffer Verluste von 2,6 Prozent auf 219 Millionen. Die Zahlen berücksichtigen allerdings nicht die Rabatte und die kostenlosen Spots. Und die Privaten, die zu 90 Prozent am Tropf der Werbung hängen, müssen in der Regel erheblich stärkere Nachlässe gewähren.
Die Nervosität im Lager der Kommerzsender steigt. Viele Manager fühlen sich der Übermacht der ARD schutzlos ausgeliefert. "Dieser ruinöse Wettbewerb ist ein ordnungspolitischer Skandal erster Güte und auf Dauer für einen einzelnen Privatsender nicht durchzuhalten", wettert Gathmann.
Dabei ist aber zu bedenken, dass die ARD stets auch populäre Programme anbieten muss, wenn sie die Legitimation für die Rundfunkgebühren nicht verlieren will. Ferner pochen die ARD-Verantwortlichen darauf, dass sie mit ihren Programmen maßgeblich zur Meinungsvielfalt beitrügen.
Die Kritik der Privaten findet dennoch in den Regierungskreisen einiger Bundesländer Gehör. Bayern, Sachsen und Nordrhein-Westfalen wollen die Zahl der ARD-Radioprogramme von 61 auf 45 verringern. Damit würde das Angebot auf den Stand von 1991 gestutzt. Doch dagegen wehrt sich nicht nur die ARD, auch einige Ministerpräsidenten sind nicht bereit, derart radikale Einschnitte mitzutragen.
Eine andere Forderung spaltet das Lager der Privaten. Der Verband Privater Rundfunk und Telekommunikation (VPRT) will ARD und ZDF seit Jahren jegliche Werbung verbieten lassen. Viele Privatradio-Chefs unterstützen die Forderung nicht und verweisen auf die Wünsche von Werbekunden und Agenturen. Sie begrüßen die Werbeangebote der ARD-Radios, weil sie nur mit ihnen ausreichend Werbedruck in den Regionen aufbauen können. Bei einem Verbot würden Werbegelder fürs Radio versiegen, prophezeit David Linn, Geschäftsführer der Wiesbadener Agentur Aegis Media. Gäbe es nämlich nur noch Werbung im Privatradio, würde das Medium insgesamt in den meisten Bundesländern nicht mehr genügend Menschen erreichen.