Wie war das mit John Peel?

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Philclock

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Hallo Leute,
beim Stöbern bin ich auch eine interessante Dokumentation über John Peel gestolpert.


Mir war nicht bewusst, wo er überall tätig war.
Ist der denn jedes Mal für seine Sendungen geflogen oder hat
er alles mit einer Schaltung von seinem Studio aus gemacht?
Wie kam es, dass er auch in Deutschland aktiv wurde?

( Mein Englisch ist nicht so gut. )
 
Viel kann ich nicht spontan beitragen.

Peel reiste zu bestimmten Anlässen auch schon mal in ein anderes Land, um dort eine Sendung (mit) zu gestalten.

So verschlug es ihn anlässlich des "Europäischen Jugendradiotages" am 12. November 1993 in das wenige Tage zuvor in Betrieb genommene "Digitalstudio" (ich nenne es "Katastrophenstudio") von MDR Sputnik in Halle/Saale. Sputnik war tatsächlich erst wenige Tage vorher aus dem alten ostberliner Funkhaus nach Halle umgezogen, für alle war alles neu.

Die Raumakustik war unter aller Sau, die Mikrofone (MD421) plärrig, die Pegelanzeige strahlte Fiepen in die Mikrofonwege ein, das Processing komprimierte auf Brikett und pumpte wie ein Wasserwerk. Auf Astra spuckte es, ich ahne inzwischen, dass man den FM-Tonunterträgern keinen Transientenlimiter für 75(!)µs mit auf den Weg gegeben hatte. Das analoge ("Digitalstudio"!) Acousta-Pult (aus Komponenten dieser Serie zusammengestellt) war für ein Selbstfahrer-Sendepult völlig überfrachtet ("The desk I have to operate from is astonishing complicated and unlike anything that I have ever seen in my entire life before.")

Anhang anzeigen MDR Sputnik - European Radio Day - John Peel - 1993-11-12.mp3

Aber John Peel und Gastgeberin Hanno Kress schlugen sich tapfer und "unfallfrei". Die Sendung war witzigerweise dann über die BBC-Mittelwelle wieder im originalen Sendegebiet zu hören, während die reguläre Sputnik-Verbreitung seit Mittelwellenabschaltung im Frühsommer 1993 nur noch via Astra analog zu haben war (das muss man sich mal aus heutiger Sicht geben...). Auf diesem Wege nahm die BBC den kaputten Sound auch ab, um ihn bei sich zu verbreiten.

Auf Radio Eins hatte John Peel auch lange eine Sendung, aus der er sich einige Zeit vor seinem unerwartet frühen Tod wegen anderer Aufgaben zurückzog. Das wurde freilich nicht live gemacht, das wurde zugeschickt, möglicherweise sogar noch auf CD. Das dürfte John Peel bei sich daheim produziert haben. Letzte Sendung habe ich am anderen Wohnort und damit momentan nicht greifbar. An den letzten Titel erinnere ich mich aber genau:


Anmoderiert mit "quite emotional", soweit ich mich erinnere... seine letzten beiden Worte auf Radio Eins.

Peel hatte übrigens Flugangst. Also nach Möglichkeit Schiff und Fähre. Auch nach Halle/Saale damals, soweit ich mich erinnere. Er war mit dem Auto dort.

In den 80ern reiste er offenbar monatlich noch bis Bremen wegen Live-Sendungen: https://taz.de/Radio-Bremen-4-feuert-Indie-Guru-Peel/!1687910/ .

Bis kurz vor seinem Tod produzierte John Peel auch noch Sendungen für nichtkommerzielle Programme in Deutschland:

Seit einigen Jahren produzierte John für das (ähnlich RDL) Freie Hamburger Radio FSK (Freies Sender Kombinat) Sendungen, in denen keine Musikrichtung ausgelassen wurde - Drum + Bass, Reggae, Metal, Rock, Blues, afrikanische Musik, um nur ein paar wenige zu nennen. Grundidee dieser (bei ihm zu Hause aufgenommenen!) Produktionen war, dass auch andere Freie Radios in Deutschland in den Genuss der Sendungen kommen - eines davon ist Radio Dreyeckland.
(https://web.archive.org/web/20070220235855/http://www.rdl.de/musik/johnpeel.html)


Wie das mit seinen Sendungen in Skandinavien war, entzieht sich meiner Kenntnis. Aber die Sendungen gab es, wie dieser Schnipsel belegt, in dem Holger Luckas in der Nacht vom 23.12. auf den 24.12.1991 irgendwann zwischen 2 und 3 Uhr auf DT64 John Peel erwähnt im Zusammenhang mit Bands aus dem damals zur Sowjetunion gehörenden Baltikum, die "übers Wasser" was empfangen konnten und also wussten, was Punk ist.

Anhang anzeigen DT64 - Schall und Rauch 23.12.-24.12.1991 nach 2 Uhr - Holger Luckas ueber John Peel.mp3
 
In Ergänzung: die Bekanntheit von John Peel in Deutschland rührte wohl von seinen BFBS-Sendungen. Das war zumindest bei mir so etwa 1986 / 1987 herum, als es sozusagen per Mundpropaganda hieß "hey hör mal BFBS, da gibt es so 'ne schräge Sendung..." - gemeint war "John Peels Music".
Auch Burghard Rausch oder sonstige damalige "Independent"-Gurus referenzierten auf Peel, und - aber das weiß @lg74 sicherlich noch genauer - platzierte selbst Lutz Schramm - ich meine noch zu DDR-Zeiten oder zumindest in der Wendezeit - im "Parocktikum" John Peel mit den so genannten "Peel-Sessions". Das waren kurze Bandporträts bzw. -interviews mit etwa 4 Songs, die zunächst ausgestrahlt dann auch auf LP/CD gepresst wurden.


TAZ 9.1.1992:
Sommerfeld: „Die gleiche Art Musik spielen Deike und Rausch auch. Außerdem haben wir sowieso den größten Independent-Anteil aller ARD-Anstalten.“

Sorry, aber wenn ich dieses blöde und ignorante Gequatsche lese, wird mir übel. Ich mochte dieses Programm zwar nicht, aber als "stubenreine" (West-)ARD-Welle hatte Radio 4U vom SFB im Tagesprogramm etwa den gleichen Anteil an Independent wie Radio Bremen 4 (auch kein Wunder, da 4U Bremen 4 sozusagen als Vorbild innerhalb der ARD nahm...), dazu die abwechselungsreicheren abendlichen Spezialsendungen. Zeitgleich übrigens am Di "John Peel" auf 4U und Bremen 4.
Und DT 64 damit so derart auszugrenzen, ist auch nicht die feine Art (und natürlich wusste man auch in Bremen vom Rockradio B des ORB...).
Aber Hauptsache "Sommerfeld hat den größten..."
 
Zuletzt bearbeitet:
@lg74
Wow ich bin platt!
Da war das Internet in den Kinderschuhen und der Typ war über viele Länder hinweg aktiv,
das ist total krass!

Vielen Dank für deinen Beitrag und vor allem den Hörschnipseln!

@astereix
Ah ja das ist sehr interessant!
Also das finde ich bemerkenswert, dass er erstmal abgewertet wurde.
Meine Güte, wie Radio damals so einfach über Grenzen hinweg gefegt ist,
Ob er mit den Radiomachern von DT64 auch direkt Kontakt hatte?
 
@Philclock: die "unnötige" Abwertung hat Methode. Sie zieht sich eigentlich seit Beginn der 1990er durch die deutsche Medienlandschaft. Ich hörte gerade heute zufällig auf Deutschlandfunk Kultur einen Beitrag zur Verschiebung des "NDR-Nachtclub" (u.a. mit Paul Baskerville (auch so ein Indie-Guru)) von UKW NDR Info auf DAB+ NDR Blue. Der interviewte "Nachtclub"-Chef preiste den Wechsel auch in höchsten Tönen, obwohl wir eigentlich alle wissen, dass dies eine mediale Abschiebung war...(um es noch freundlich auszudrücken).

Noch etwas zu Peel (da es in den Weiten des WWW einfach so rumschwirrt).
Leute wie Martin Blumenau, Robert Rotifer, Eva Umbauer oder Martin Pieper agieren durchaus selbst heutzutage noch im"Peel"schen Sinne...
 
Ob er mit den Radiomachern von DT64 auch direkt Kontakt hatte?
Vermutlich. Ich erinnere mich, dass John Peel es einmal fertigbrachte, die eigentlich nur Parocktikum-Hörern bekannte Leipziger Band The Art Of The Legendary Tishvasings völlig ungerührt zu spielen. Die Ansage kam so knochentrocken rüber, dass ich sie wohl nicht vergessen werde...
Auch sonst lief, wenn ich mich recht erinnere, bei ihm durchaus schon mal die eine oder andere DDR-Szene-Band (z.B. Die Art). Ein Akt, den das "wiedervereinte" (West-)ARD-Radio im allgemeinen nicht zustande bekam.
 
Unter peel.fandom.com findet man einen link zu einem MooServer, von dem Tausende - und das ist ernst gemeint - Peel-Shows downloadbar sind. Viel Spaß damit,
 
aber das weiß @lg74 sicherlich noch genauer - platzierte selbst Lutz Schramm - ich meine noch zu DDR-Zeiten oder zumindest in der Wendezeit - im "Parocktikum" John Peel mit den so genannten "Peel-Sessions".
Puh, Du fragst mich Sachen... 1987 hörte ich z.B. noch als Standardprogramm RIAS 2 (DT64 gab es für "Duett" und für die anderen Mitschnitt-tauglichen Sendungen) und erst ein radikaler Wechsel des sozialen Umfeldes 1988 brachte mich der "Independent-Musik" im weitesten Sinne näher - aber auch erst 1989.

Aber wenn man mal beim Parocktikum schaut, findet man 7.7.1987 (!) einen Eintrag "Peel-Sessions": http://www.parocktikum.de/playlist.php?jahr=1987 . Da besteht natürlich nicht die gesamte Sendung aus diesen Sessions: http://www.parocktikum.de/playlist.php?Datum=1987-07-07 - AG Geige und sehr sicher auch DTH sind nicht aus Peel-Sessions. ;)

1988 findet man dann eine "Parocktikum-Session" von Zorn ("Touristen.... Touristen... Touristääään!"): http://www.parocktikum.de/playlist.php?jahr=1988 - der bekannteste Track dieser Session landete dann ja auf der "Parocktikum-LP". Das waren Schätze für uns!

Die Aufnahmen für Parocktikum-Sessions begannen 1987: http://podcast.parocktikum.de/sonderstufe-mit-konzertberechtigung/8-parocktikum-sessions/

Da war das Internet in den Kinderschuhen und der Typ war über viele Länder hinweg aktiv,
das ist total krass!
[×] Es gab Leben auf diesem Planeten vor dem Internet.

Ob er mit den Radiomachern von DT64 auch direkt Kontakt hatte?
Immerhin spielten Leute von DT64 und Leute vom SFB-Jugendfunk und der westberliner Clubszene schon 1 1/2 Jahre vor dem Mauerfall gemeinsam in Ostberlin Fußball:


Ich halte da - und wenn auf Umwegen - vieles für möglich.

Ich hörte gerade heute zufällig auf Deutschlandfunk Kultur einen Beitrag zur Verschiebung des "NDR-Nachtclub" (u.a. mit Paul Baskerville (auch so ein Indie-Guru)) von UKW NDR Info auf DAB+ NDR Blue.
Oh, danke... TonArt. Verpasst. Nicht online. Muss ich mir beschaffen, danke für den Hinweis!

Der interviewte "Nachtclub"-Chef preiste den Wechsel auch in höchsten Tönen, obwohl wir eigentlich alle wissen, dass dies eine mediale Abschiebung war...(um es noch freundlich auszudrücken).
Hat er auch die massive Kürzung der Sendezeit (mehr als 50%!) in höchsten Tönen gepriesen? Und war die große Erleichterung spürbar, nicht mehr auf diesem völlig veralteten UKW unterwegs sein zu müssen?

(Dem NDR-Kinderfunk versuchte man, die Abschiebung auf "NDR Info Spezial" mit der digitalen Vorreiterrolle schmackhaft zu machen. Warum macht die NDR-Intendanz dann nicht Nägel mit Köpfen und gibt den Massenprogrammen ausschließlich die digitalen Wege und lässt die Minderheitenprogramme auf diesem alten, obskuren UKW?)

Auch sonst lief, wenn ich mich recht erinnere, bei ihm durchaus schon mal die eine oder andere DDR-Szene-Band (z.B. Die Art). Ein Akt, den das "wiedervereinte" (West-)ARD-Radio im allgemeinen nicht zustande bekam.
Makarios war 28.9.1997 zu Gast im 1Live - Heimatkult bei Thomas Guntermann:
Anhang anzeigen 1Live - Heimatkult - Makarios (Die Art) - 28-09-1997.mp3

Die haben eine Stunde zusammen gesprochen, mit Musik dazwischen, die allerdings nicht komplett von Die Art.

Und am frühen Morgen des 20.12.2020 kurz nach 1 Uhr - jetzt schließt sich wieder ein Kreis - spielte Paul Baskerville Die Zucht im vorletzten Nachtclub auf NDR Info:
Anhang anzeigen NDR Info - Nachtclub - Paul Baskerville - Die Zucht - 20_12_2020.mp3

Die Sendezeit für regionale Musik ist ja nun beim NDR auf weniger als die Hälfte geschrumpft worden. Man muss halt Prioritäten setzen. Danke für nichts.
 
Unter peel.fandom.com findet man einen link zu einem MooServer, von dem Tausende - und das ist ernst gemeint - Peel-Shows downloadbar sind.
Danke! Mensch, ich habe doch nur ein Leben, mit 24 Stunden je Tag...

Spontane Fundstelle:


mit "Die Skeptiker: 'Dada In Berlin (Cassette-O.T.)' (not on label)" am 5. Mai 1989 (!).


Und: "Peel plays a track from an East German band called Die Skeptiker, which was given to him by Attila The Stockbroker."


Ohne jetzt den Kontext dieses Datenbankeintrages erfasst zu haben:


Ja, da war was...
 
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