Hier ein Artikel aus der heutigen Süddeutschen, der zwar die ARD betrifft, aber auch zum Thema passt:
18.09.2003
Handstreich oder Geniestreich?
Programmstreit in der ARD: Die Chefs der politischen Magazine am Donnerstag sind über neue Sendezeiten erbost
Die weltpolitische Lage gibt derzeit wenig Anlass zu Optimismus. Zu den wenigen, die Grund haben, guter Dinge zu sein, müssten eigentlich die Redakteure der politischen Fernseh-Magazine gehören. Wenn Krieg und Terror herrschen, ist ihre Arbeit naturgemäß besonders gefragt. „Wir erleben einen Höhenflug, nicht dank gefälliger, sondern dank harter Themen“, sagt denn auch Monitor-Chefin Sonia Mikich vom WDR.
Wie die Kollegen von Panorama und Kontraste, profitieren die Kölner allerdings auch davon, dass sie seit Januar 2002 in der Regel nicht mehr wie früher um 21 Uhr, sondern bereits um 20.15 Uhr ihre Berichte in die Wohnzimmer geschickt haben. Der durchschnittliche Marktanteil der drei journalistischen Formate ist seitdem von 10 auf bis zu 13,4 Prozent gestiegen.
Pause, wenn . . .
Mit leichtem Argwohn blickten die Redakteure dieser Sendungen aber nun am
Dienstag nach Dresden. Dort tagten die Intendanten der ARD und verkündeten nach ihrem Kreiseln, dass sie zum Jahresbeginn nach quälend langen Diskussionen endlich eine zentrale Unterhaltungsredaktion installieren wollen. Drei Termine in der besten Abendzeit nach 20.15 Uhr, also nach dem Nachrichten-Klassiker Tagesschau, sind dafür vorgesehen – und auch der Donnerstag ist als Spielfeld für die neue Entertainment-Einheit ausgewählt worden.
Donnerstag? Das ist doch der Tag, an dem eben die politischen Magazine eine leichten Aufschwung erlebten.
Vollends misstrauisch wegen der neuen Ära im Öffentlich-Rechtlichen wurden die Magazinmacher von NDR, WDR und RBB, seitdem sie wissen, wie die ARD-Chefplaner bereits die Donnerstage in der Zeit zwischen Oktober und Mitte Januar gefüllt haben: Abgesehen von einer Monitor-Sendung am 9. Oktober ist für die politischen Magazine in den internen Sendeplänen nämlich kein Prime-Time-Termin mehr vorgesehen. Um 20.15 Uhr laufen statt dessen beispielsweise Geburtstagsevents wie 80 Jahre Loriot oder Johannes Heesters – Eine Legende wird 100, Dieter Hildebrandts Abschiedsshow, eine Folge des Willy-Brandt-Zweiteilers Schatten der Macht sowie ein Fußball-Spiel aus der ersten Runde des Uefa-Cups, einem zweitklassigen europäischen Sportwettbewerb.
Die Politmagazine aber, seit jeher eine Zierde des gebührenfinanzierten Fernseh-Programms, wurden für 21.45 Uhr programmiert oder gleich ersatzlos gestrichen: Wie an jenen zwei Donnerstagen, an denen der Tenor José Carreras singt oder in der Elb-Metropole Hamburg erstmals die Burda-Bambis verliehen werden.
Nur zufällig erfuhren die Politjournalisten der ARD von der geballten Entertainment-Offensive in ihrem Programm. Nun sind sie erbost. „Handstreichartig“ habe der ARD-Programmdirektor und derzeitige Unterhaltungskoordinator Günter Struve die Pläne umgesetzt, empört sich ein Betroffener: „Warum redet man nicht vorher miteinander?“
Auch einige ARD-Granden echauffierten sich intern über den Vorgang. Formal jedoch ist an den Umbauplänen wenig auszusetzen: Im Herbst 2001 haben sich die Intendanten und Programmdirektoren darauf verständigt, dass die politischen Magazine am Donnerstag generell zur Prime Time laufen sollen, also zur besten Sendezeit um 20.15 Uhr. Lediglich bei Events und so genannten Sonderanstrengungen der Unterhaltung, etwa Benefiz-Quizshows mit dem Moderator Jörg Pilawa, war ein Ausweichen auf 21.45 Uhr vorgesehen.
Merkwürdig ist indes, dass nun rund drei Monate lang ein Ausnahmezustand herrschen soll. Merkwürdig auch, dass bei den Strategen des öffentlich-rechtlichen Senderverbunds schon eine Schlagerparade der Volksmusik, die für den 6. November vorgesehen ist, als besonderer Event gilt. Die Folklore-Charts konkurrieren passenderweise mit volksmusikalischen Etüden im befreundeten ZDF.
Der einst ausgehandelte Gummiparagraf zur Sendeplatzierung, der das Kuddelmuddel möglich machte, sei „die schlechteste Lösung – noch schlechter als die, die politischen Magazine grundsätzlich um 21.45 Uhr starten zu lassen“, wettert ein hochrangiger ARD-Mann. Schließlich hänge der Erfolg der Fernsehsendungen auch davon ab, dass sich die Zuschauer an einen Sendeplatz gewöhnen können.
. . . José Carreras singt
Sind die politischen Magazine also zur freien Dispositionsmasse in der ARD erklärt worden? Der Sendeplatz als eine Art Verschiebebahnhof, je nachdem, wer schunkeln oder charmieren darf?
Offenbar erhofft sich Programmdirektor Struve vom neuen Konzept eine bessere Unterhaltung am Abend und steigende Marktanteile – im Kampf gegen amüsierfreudige Betriebe wie RTL will er womöglich nicht auf investigative Polit-Berichte setzen, sondern lieber auf massenwirksame Filme oder Shows, und später das einmal gewonnene Quotenniveau halten. Audience flow ist auch in der oft etwas technisch gehaltenen Terminologie der ARD zur bekannten Vokabel geworden.
Die Verfechter der Polit-Formate weisen demgegenüber daraufhin, dass die gesamte ARD vom derzeitigen Donnerstagskonzept profitiere. Vor zwei Jahren noch lag sie in der Zuschauergunst an diesem Abend auf dem fünften Platz, seit 2002 aber ist sie im Feld der Sender in führender Position.
Erwiesen ist auch, dass in diesem Jahr bei den Politmagazinen zu den Ausweichterminen um 21.45 Uhr eine halbe Million Menschen weniger dabei waren als zur günstigeren Zeit vorher – die Zahl der Zuschauer sank von 3,58 Millionen auf 2,99 Millionen.
Die Redaktionen empfänden es als besonders kontraproduktiv, wenn sie öfter gegen das heute-journal im ZDF antreten müssten, ist in den Fluren der ARD-Anstalten zu hören . „Dann wären die Magazine oft gezwungen, tagespolitisch brisante Themen aufzugreifen und den Auftrag der investigativen Berichterstattung zu vernachlässigen. Wir geraten dann in die Aktualitätsfalle“, erklärt Reinhard Borgmann, Redaktionsleiter von Kontraste.
Die richtige Mischung, das ist derzeit in allen Redaktionen der ARD-Politmagazine das große Thema: Inwieweit soll man mit Boulevard-Themen und menschelnden Geschichten den Quoten nachjagen? Wie schnell soll man auf Aktuelles reagieren? Bleibt genug Zeit für harte, aufwändige Recherche, die ohnehin viel Ärger bringt? Und: Was wollen eigentlich die ARD-Chefs, die oftmals politische Gruppierungen im Rücken haben?
Bei der Programmklausur und der Intendantensitzung im schönen Dresden kam die Platzierung der Politmagazine offiziell nicht einmal zur Sprache. Außerhalb des Protokolls aber soll das Schicksal von Monitor, Panorama und Kontraste sehr wohl ein erregendes Thema gewesen sein.
Den Betroffenen bleibt wenig mehr als Hoffnung. Ende November treffen sich die Großen der ARD wieder, diesmal zur Tagung in Stuttgart. Vielleicht wird dann Klarheit geschaffen.
RENÉ MARTENS