Herr Röhl möchte also nicht mit Dingen konfontiert werden, die er für belanglos hält (Klimaerwärmung, Inhaltsstoffe in Lebensmitteln, Hermann Hesse) oder für Probleme der anderen (Verkehrsinfarkt in Südostasien, Neonazis, Kita-Gebühren). Aber er findet die Finanzkrise ein bisschen ein bisschen unterrepräsentiert in der aktuellen Berichterstattung. OK, das kann man so sehen, dafür gibt's Bloomberg und CNBC oder so ziemliche jede seriöse Nachrichtenseite der Republik oder der Welt, und wenn Wolfgang Röhl nicht so alleine wäre, gäbe es vermutlich sogar das F.A.Z.-Business-Radio noch. Finanzkrise ohne Ladenschlussgesetze oder Nachtzuschläge. Aber nein, er möchte das Thema nicht nur vorgeben, sondern auch die Narrative soll bitteschön seinem objektiv richtigen Weltbild entsprechen und nur die Meinungen verstärken, die er sowieso schon hat, und ja keine Argumente über arbeitslose spanische Jugendliche oder suppenküchenabhängige Griechen einbringen, schon gar kein "Die Finanzkrise ist keine Krise der Staaten, sondern eine der Banken und der Zocker"-Theorem, sondern ein allenfalls moderat moduliertes monotones "Wie die fleißigen und anständigen Deutschen löffeln den faulen Südländern die Suppe aus".
Nun, da die Bild-Zeitung das Livestreaming ihrer Redaktionskonferenz inzwischen wieder eingestellt hat, bleibt Herrn Röhl wohl als einziges Mittel dazu, sich anspruchsvoll hochgeistig ohne Argumente und fremde Einflüsse in seiner eigenen ideologischen Soße zu braten, sich während seiner Autofahrten mittels Selbstgesprächen selbst-zu-satificieren. Like a Rolling Stone!
In den 70er-Jahren, als Wolfgang Röhls Bruder Klaus-Rainer mit der konkret die Revolution herbeischreiben wollte und Solidarität mit jeder südamerikanischen Volksgruppe schwor, die es vom Joch des Imperialismus zu befreien galt, gab es mal einen prominenten konservativen Oppositionspolitiker aus Oggersheim, der sich unter anderem einen Namen damit machte, dass er die journalistische Verbrämtheit und vermeintliche Linkslastigkeit der öffentlich-rechtlichen Medien anprangerte, und kritisierte, dass im Rundfunk die dritte Welt so stark vertreten war und sogar in der Sportschau so komische journalistische Hintergrundbeiträge liefen, anstatt sich doch einfach über Tore und Erfolge zu zeigen und sich darüber zu freuen. Deswegen führte er auch, nachdem der 1982 Bundeskanzler geworden war, den Privatfunk in Deutschland ein, von dem er sich eine Berichterstattung erhoffte, die er für "ausgewogener" hielt. Der späte "Erfolg" davon ist die die Dummfunkerei auf 80% der UKW-Skala und auf den meisten Fernsehkanälen. Diese erfüllen zumindest zu größeren Teil die Anforderungen des Wolfgang Röhl, nämlich mit Problemen der Dritten Welt oder der Welt als Ganzes unbeleckt zu bleiben und ja keinen Beitrag zum kritischen Denken zu leisten. Und doch erfüllen sie anscheinend die Anforderungen des Wolfgang Röhl nicht, sonst hätte er sich eben nicht zum Deutschlandfunk geflüchtet. Wenn es wirklich so viele Kanäle gäbe für Anspruchsvolles gäbe, wie der Artikel suggeriert, wieso bleibt Röhl dann ausgerechnet am DLF hängen, wenn er dessen politische Grundhaltung für verbogen hält? Statt "Geh doch nach Moskau!", wie es die Rechte im Westen in den 80er-Jahren kritischen Geistern entgegengehalten hat, will man ihm entgegenhalten "dann zappe doch um zu Deinen indeologiefreien Hitradios, aber lasse, nachdem nahezu der ganze Rest der Radiolandschaft zugrunde gerichtet worden ist, wenigstens den DLF in Ruhe!"
Wie so oft liegt auch hier in der Achse der Hochmütigen eine Viertelwahrheit begraben, die man aber unter der dicken ideologischen Selbstgerechtigkeitsschicht kaum noch erkennen kann. Ja, man kann (und sollte vielleicht auch) kritisch hinterfragen, ob man die Ereignisse in Syrien wirklich aus dem Hotelzimmer in Kairo heraus besser analysieren kann, als im Newsroom der Redaktion oder im Expertengespräch. (Die privaten Nachrichtensender n-tv und N24 schaltet übrigens, wenn irgendwo in Afrika oder Asien etwas passiert, grundsätzlich erstmal nach Washington, dafür erfährt der amerikanische Nachrichtengucker die aktuellen Ereignisse in Griechenland, wenn überhaupt, durch die Stimme des London-Korrespondenten.) Ja, man muss auch analysieren, wie man aus dem Kreislauf der Finanzkrise wieder in halbwegs funktionierende politische und wirtschaftliche Regelkreise hinüberwechseln, die Altlasten der Krise abarbeiten kann und nebenbei auch tatsächlich so etwas wie die Zukunft des Gemeinwesens gestalten kann (was das Wort "Politik" ja eigentlich bedeutet). Aber mit den Denkverboten und Informationssperren (zumindest was den "Reichssozialfunk" betrifft), die Herr Röhl da postuliert, kommt man garantiert nicht weiter.