AW: Deutsche Radiosender: Ein Armutszeugnis
Ist Euch schonmal der Gedanke gekommen, daß die Crux vielleicht wo ganz anders liegen könnte? Ich glaube weder, das Publikum sei dumm, noch folge ich der Ansicht, es wolle belogen werden - ich bin eher der Meinung, daß es das Publikum schlichtweg nicht interessiert.
Schockschwerenot, Skandal, sie war's! Sie war's... äääh... er war's! Er war's!.
Aber nehmen wir uns doch mal den "typischen" Radiohörer genauer unter die Lupe - dabei dürfen wir aber nicht vergessen, daß das auch schon so eine vermaledeite Verallgemeinerung ist. "Otto Normalverbraucher" gibt es ja in dem Sinne nicht, da jeder schließlich ein Individuum ist mit seinen ganz persönlichen Vorlieben und Abneigungen, Bedürfnissen und Desinteressen. Aber da man schlechterdings alle Möglichkeiten in einem Beitrag erfassen kann, scheren wir halt mal alle über einen Kamm.
Starten wir doch mal mit der Frage, wie so ein "typischer" Tag in Deutschland aussehen könnte und was für Bedürfnisse die Menschen so haben. Die allermeisten werden morgens aufstehen, ihre Körper pflegen, eventuell etwas frühstücken, sich dann auf den Weg zur Arbeit oder Schule oder was auch immer machen. Der Nachmittag ist meistens ebenfalls der Arbeit oder eventuell noch Hausaufgaben gewidmet. Danach ist dann irgendwann mal Zeit für Hobbies, Vereine, Freunde...
Auch, wenn das mit Sicherheit nicht repräsentativ ist, dürfte Klar sein, daß die allermeiste Zeit des Tages der allermeisten Menschen *nicht* damit verbracht wird, *aktiv* Radio zu hören. Früher, als das Medium neu und etwas besonderes war, war das sicherlich anders, da setzte man sich um den Kasten herum und lauschte der Stimme, die da rauskam - das ging so weit, daß ein Hörspiel (War Of The Worlds) für bare Münze genommen wurde und die Menschen glaubten, die Marsmännchen griffen tatsächlich an. Spätestens, seit es Fernsehen gibt, hat das Radio sein großes Alleinstellungsmerkmal, seine sofortige Verfügbarkeit von Information, verloren. Dazu gibt es heute noch das Internet in dem die Information genau so schnell verfügbar ist und dazu noch genau so dosiert, wie ich ich sie brauche...
Ich will damit das Radio keineswegs schlecht machen und auch nicht Fernsehen oder Internet besser oder schlechter darstellen, als das Radio - ich möchte nur darauf aufmerksam machen, daß Radio mit anderen Medien konkurrieren muß, die die Aufgaben des Radios durchaus ebenfalls wahrnehmen können - ob besser oder schlechter soll an dieser Stelle mal gar nicht interessieren.
Was bedeutet das aber für unseren Otto Normalhörer? Er hat *Auswahl* und das Medium, das er auswählt, muß sich also auf irgendeine Weise gegen die anderen durchsetzen können. Bedenken wir jetzt noch dazu, daß die allermeisten Menschen Radio höchstens nebenbei konsumieren (ich höre auch gerade Radio, während ich mich eigentlich darauf konzentriere, diesen Beitrag zu verfassen), kommt es auf genau die frevlerische Aussage, die ich Eingangs benutzte um die geschätzte Aufmerksamkeit des Lesers zu erringen: Die allermeisten Menschen interessieren sich nicht *wirklich* für das, was im Radio läuft.
Das ist tragisch für uns, die wir - das unterstelle ich mal den meisten, die in diesem Forum lesen und schreiben - unser Herzblut in dieses Medium stecken, weil es uns fasziniert, Freude macht, ernährt - was auch immer es für Gründe hier gibt. Aber dieser Realität müssen wir nunmal ins Auge sehen.
Radio, Fernsehen, Internet, Kinofilme, Zeitungen - all das sind nicht wirklich menschliche *Bedürfnisse*, auch wenn es durchaus wünschenswert wäre, wenn sie es wären, weil das das bedeutete, daß die Grundbedürfnisse (Essen, Trinken, ein Dach über dem Kopf - Ihr erinnert Euch an die Bedürfnispyramide?) erfüllt wären. Aber die meisten Menschen sind unglücklicherweise zu sehr damit beschäftigt, ihren Grundbedürfnissen und - wenn sie das erreicht haben - anderen Bedürfnissen nachzugehen, als ausgerechnet Radio zu hören.
Was bedeutet das aber in Konsequenz?
a) Solange man keinen Abschaltimpuls erzeugt, kann man alles senden, und wenn es der letzte Schrott ist
b) Da Radio überwiegend "nebenbei" konsumiert wird, aber Leute Geld damit verdienen wollen, müssen wir die Werbung darin ertragen, ob wir wollen oder nicht (werbefreie ÖR und Internetradios mal ausgenommen)
c) man kann die "Schuld" für das Dilemma perfekt auf die Hörer schieben - oder auf die Radios, aber wirklich Schuld ist eigentlich gar niemand, weil das einfach Mechanismen sind, die nunmal menschlich sind.
Was für Auswege gibt es aus diesem Dilemma? Ich denke gar keine. Das einzige, was wir Radiobegeisterte tun können, ist, unser Medium da, wo wir können, so zu gestalten, wie wir es für richtig erachten und das Lob der wenigen, die genauso denken, genießen, uns mit der Kritik, die wir bekommen, auseinandersetzen und für alle die, die Radio eh nur nebenbei konsumieren, weiter eine Geräuschkulisse bieten.
Ergänzung:
@Inselkobi: Das würde ich nicht unbedingt als "belogen" titulieren wollen - ich unterstelle den meisten Menschen, daß ihnen - so wie Dir ja auch - durchaus irgendwo (und wenn es ins hinterletzte Eck verdrängt ist) bewußt ist, daß die heile Welt der Schlager und 50er-Jahre-Heimatfilme (
) und ebenfalls das "Danke, gut" durchaus eine sehr geschönte Darstellung ist oder zumindest sein kann. Unter "belogen" verstehe ich eher dieses "Rufen Sie jetzt an, um diesen tollen Preis zu gewinnen", obwohl es gar keinen Preis gibt oder der Gewinner längst feststeht.
Abschließend möchte ich noch ein Zitat von Adolph Freiherr von Knigge erwähnen, das diese Gründe recht schön beleuchtet: "Man soll nie vergessen, daß die Gesellschaft lieber unterhalten als unterrichtet sein will."
LG
McCavity