AW: RTL2 und der Ramadan - Vorbild-Funktion?
Mal ganz abgesehen davon, dass sich eine durchaus interessante Medienfrage mittlerweile in einen Dogmen-Streit, der in die "Auszeit" gehört, entwickelt hat, verfolge ich die Diskussion zunehmend mit Sorge.
Zweifelsohne ist es interessant, verschiedene Meinungen zu lesen, aber die Schärfe, mangelnde Toleranz und zum Teil fehlende Weitsicht einiger Diskutanten flößen mir Angst ein - und das keineswegs vor der hier besprochenen Religion.
Das sind dann die Momente, in denen ich zum Bücherregal greife oder im Internet Interpretationen zu Büchern lese, die mir spontan dazu einfallen.
In diesem Fall musste "Der andorranische Jude" von Max Frisch herhalten.
Mit Faszination habe ich die
Analyse von Norberto42 dazu gelesen. Auszüge daraus (Erläuterungsstellen habe ich ausgelassen, bitte selber nachlesen):
Wir machen uns ein fertiges Bild(nis) von unseren Mitmenschen und machen sie damit - fertig.
(...)
Was geschieht, wenn man sich ein Bild von einem macht, wird in der Parabel deutlich; „notgedrungen“ und „eben dadurch“ wird der junge Mann, also jedermann zu dem, als was man erblickt wird. Dies wird an mehreren Eigenschaften in der Erzählung durchgespielt; auch dem Betroffenen selbst bleibt nichts anderes übrig als die Entdeckung, „daß es stimmte, es war so, in der Tat“. Diese (Um-)Bildung des Menschen kann geschehen, weil mit dem Bild Macht ausgeübt wird; allein die Andorraner handeln, indem sie ihm ihr Bild überstülpen, der junge Mann kann nur reagieren.
Was eigentlich geschieht, wenn einem das fertige Bild entgegengehalten wird, erkennt man daran, dass der Erzähler keiner Figur einen eigenen Namen gibt; entsprechend geschieht vieles „wortlos“. In der ganzen Erzählung taucht auch kein einziges Mal wörtliche Rede auf. Die Kommunikation ist gestört, ist nicht vorhanden, ist ja auch eigentlich überflüssig; denn wenn ich bereits ein Bild habe, brauche ich niemandem die Urfrage zu stellen: „Wer bist du?“ Und dieser “niemand”, der Namenlose, kann nicht in Worten und Taten zeigen, wer er ist - alle wissen es bereits. Er bekommt es von ihnen zu spüren.
Genau das - auch wenn es nicht um einen einzelnen jungen Mann welcher Religion auch immer geht - habe ich in diesem Thread bislang verspürt: Warum soll ich unbefangen mit Menschen umgehen, wenn ich mir mein Urteil schon längst gebildet habe? Warum soll ich mich mit verschiedenen Strömungen (friedliebend, fundamentalistisch, agressiv) auseinandersetzen, wenn ich doch nur einen Kamm brauche, der mir die Argumentation, Verzeihung, das "drüber scheren" doch sehr viel einfacher macht?
Was soll ich jetzt fühlen? Wut? Trauer? Enttäuschung? Mitgefühl?
Einige Beiträge hier lösen in mir eine Leere aus, eine wahnsinnig laute Stille; den Wunsch, zu schreien und es doch nicht zu können -- ist das alles wahr?
Wie weit ist es noch, bis die ersten Muslime aus den Redaktionsstuben verbannt werden (na gut, man nennt es heute "Mobbing")?
Merkt ihr eigentlich, was ihr da schreibt?
Um mich wieder zu beruhigen, lese ich jetzt den Text "
Liebe und Gottgefälligkeit" von
Hilal Sezgin, veröffentlicht bei SWR cont.ra im Januar 2010.
Und dann haut ruhig mal argumentativ auf mich drauf.