Verehrter Zwerg#8,
zunächst vielen Dank für Dein Kompliment.
Ja, ich weiss, dass ich oftmals sehr lang und ausführlich schreibe und dann daraus Satzkonstruktionen entstehen, die ich selbst oftmals nur noch schwer lesen kann. Und weisst Du, warum das so ist? Weil mir beim Schreiben zum Thema Musik & Rundfunk dann sooo viele Gedanken durch den Kopf gehen, die ich am liebsten alle noch irgendwie in meinen Text unterbringen möchte. In meinem Kopf sprudeln dann nur so die Gedanken und manchmal auch die Ideen. Das mein Textwerk dann nur noch schwer zu zitieren ist, falls man nicht den inhaltlichen Zusammenhang verfälschen möchte, kann ich gut nachvollziehen. Vielleicht fange ich besser mal damit an, meine textlichen Aussagen ein wenig zu FORMATIEREN!!!
Entschuldigung, aber dieser Seitenhieb musste jetzt einfach sein und er ist NICHT an Dich gerichtet!
Doch nun zu Deiner Frage!
Die Antwort ist relativ simple. Es ist ein Zusammenspiel verschiedener Indikatoren, die in DIESER Art des Zusammenspiels oftmals leider eine "Verkettung unglücklicher Umstände" sind.
Was bedeutet das konkret? Nun, alle deutschen Sender beziehen das Musikmaterial primär von der DEUTSCHEN Musikindustrie. Die meisten Sender sogar ausschließlich. Veröffentlichungspolitik der Plattenfirmen, Bemusterungsverträge mit den einzelnen Sendern, Sendeverträge mit der GVL, Verträge zwischen Sender und GEMA und das Programm- bzw. Musikformat des jeweiligen Senders sowie der sog. "Music Research" tragen ihren Teil zu dieser "Verkettung" bei.
Grundsätzlich gilt, wenn alle Sender nur das Musikmaterial von einer Musikindustrie (in diesem Fall von den deutschen Plattenfirmen) beziehen, dann haben sie auch NUR DAS zur Verfügung, was diese deutsche Industrie bemustert bzw. veröffentlicht. Und DAS ist im Vergleich zu anderen nationalen Musikindustrien (beispielsweise UK & USA) DEUTLICH weniger an Veröffentlichungen! Und ich spreche hier vom GESAMT-OUTPUT der Industrie, also ALLE darin vertretenen musikalischen Genre! Jetzt gehe davon aus, dass in Deutschland gefühlte 80% bis 90% AC-Programme in der Luft sind. Das bedeutet, dass für jene Mehrheit der Sender ohnehin nur ein relativ geringer Anteil aus dem Gesamtveröffentlichungspaket überhaupt in Frage kommt, denn ein AC-Sender spielt in der Regel kein Heavy Metal, keinen Schlager und auch keine Volksmusik (und manch' anderes musikalisches Genre - welches durchaus auch bei einem AC-Sender "gehen" würde - leider auch nicht). AC-Sender spielen in der Regel Pop- und leichter verdauliche Rock-Musik.
Aus diesem Grund ist die Auswahl für jene AC-Sender an programmlich verwertbarem Musikmaterial schon ziemlich eingeschränkt. Sie haben demnach vielleicht nur ein Drittel bis ein Viertel des "Gesamtkuchens" der Veröffentlichung ALLER musikalischen Genre in Deutschland zur Verfügung. Das ist schonmal keine gute (und schon gar keine "beste") Voraussetzung, um mit aktuellen Pop- und Rock-Songs Programm zu gestalten. Gut, bei einem AC-Sender dominieren von der Titelanzahl betrachtet sowie die Oldies und da KANN die Musikredaktion aus den Genre Pop und Rock auf ein nahezu unerschöpfliches Repertoire der letzten 50 bis 60 Jahre zurückgreifen, WENN sie sich denn die Arbeit macht und diese dann auch gewissenhaft durchführt. Kommt jetzt aber ein "Berater" mit irgendwelchen "Music Research"-Ergebnissen "um die Ecke", dann heißt es in vielen Fällen "der Titel geht nicht!", weil er - angeblich - schlecht getestet hat. Also wird dadurch dann auch im Oldie-Bereich die Auswahl deutlich eingeschränkt.
Nun solltest Du wissen, dass sich die Musikindustrie im Laufe der letzten 15/20 Jahre massiv verändert hat. Und das sogar auf weltweiter Basis, operieren die großen Plattenkonzerne doch auf internationaler Ebene. Nichtsdestotrotz ist in Ländern wie Großbritannien und den USA die musikalische Experimentierfreudigkeit seitens der dort ansässigen Musiker und die Risikobereitschaft seitens der dort ansässigen Produzenten und Plattenfirmen DEUTLICH HÖHER, als es in Deutschland der Fall ist. Deutsche Plattenfirmen wagen nicht mehr viel und in der Folge veröffentlichen sie - gerade im Pop- und Rock-Bereich - deutlich weniger, als ihre ausländischen Mutterhäuser oder Schwestergesellschaften. Das war vor ca. 25 bis 30 Jahren hierzulande aber mal ganz anders, wie Du Dich vielleicht erinnern kannst.
Das in den 90er Jahren aufkommende Internet, illegale Downloads damals via Napster & Co. brachen gerade in Deutschland der Musikindustrie nahezu das Genick. Die deutsche "Geiz-ist-geil-Mentalität" hat somit fast schon einen ganzen (nationalen) Kulturzweig nahezu vernichtet! Und was tat die Industrie? Sie schaute zunächst seelenruhig zu, wartete ab (Stichwort: "Aussitzen") und verteufelte die Internet-Piraten, anstelle die Zeichen der Zeit zu erkennen und SELBST aktiv zu werden und im Internet lukrativ bessere und qualitativ hochwertigere Gegenangebote zu machen (Stichwort: klirrende Schrammel-MP3 vs. FLAC- oder sogar WAVE-File). Nein, das Internet galt als Teufelswerk in den Augen der deutschen Musikindustrie - ähnlich, wie Privatradio Ende der 1980er Jahre als Teufelswerk in ihren Augen galt. Später, als sie die publizistische Macht des Privatradios erkannten, schleimten sie sich bei den Privatsendern (vor allen Dingen bei den großen Privatsendern) ein, aber VORHER ignorierten sie diese konsequent. Tonträgerbemusterung für einen Privatsender? NUR GEGEN ABO-VERTRAG! Gegen Kohle sozusagen, wobei die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gehuldigt wurden und das Tonträgermaterial in rauhen Mengen in den Allerwertesten gesteckt bekamen. Ich habe es damals auf beiden Seiten (privat UND öffentlich-rechtlich) miterlebt und war von dieser Doppelmoral regelrecht angewidert.
Allerdings kann ich die Begründung der Industrie für dieses Verhalten auch verstehen, denn denen ging es nicht darum, dass der Rundfunk jetzt auf einmal alle Platten bezahlt, die er vorher kostenfrei zur Verfügung gestellt bekam, sondern der Industrie ging es darum, die Höhe des durch den Privatsender-Boom entstehenden wöchentlichen Gesamtportobetrages (die Tonträger werden in der Regel mit der Post angeliefert) nicht explodieren zu lassen und diesen über die Abo-Verträge einigermaßen in Grenzen zu halten. Zur Ehrenrettung der Musikindustrie muss ich allerdings auch erwähnen, dass dann später (so ab ca. der ersten Hälfte der 90er Jahre) mit den öffentlich-rechtlichen Anstalten auch sog. Verträge über eine "Archivbemusterung" geschlossen wurden. Und vorher mussten die ARD-Anstalten, wenn sie denn bestimmte Titel auf Senkel, also auf Band (welches in der ARD damals das eigentliche Haupttonträgermedium war) haben wollten, diese entweder von den bemusterten Schallplatten und CDs selbst umschneiden oder gegen Geld die Bänder bei der Industrie bestellen. Frage diesbezüglich mal bitte den User "count down", denn er ist im Thema "Senkelumschnitt seitens der Industrie" sehr wissend. Wir Musikredakteure bekamen unsere Promo-Tonträgerexemplare dann per sog. "Handbemusterung" (der Promoter besucht Dich regelmäßig in deinem Büro und bringt Dir die für Dich relevanten Releases mit) kostenfrei zur Verfügung gestellt. "Handbemusterung" macht auch Sinn, entsteht dadurch doch ein viel persönlicheres Vertrauensverhältnis zwischen dem Radio-Promoter und Dir. Wenn er Dir die Platten nur per Post schicken würde, dann würdest Du wahrscheinlich gar nicht wissen, wer Dein für Dich jeweils zuständiger Radio-Promoter ist.
Aber, ich muss - leider - wieder zu meiner Aussage zurückkehren, dass Deutsche einfach "Schisser" sind, die die Hosen voll haben und nicht bereit sind, entsprechende Risiken einzugehen. Sowohl im Hörfunk als auch in der Musikindustrie. In beiden Bereichen wagen sie einfach nicht mehr viel und DESHALB kam es irgendwann zum Stillstand in Sachen Kreativität - in beiden Bereichen, da beide Bereiche (Radio und Musikindustrie) gegenseitig voneinander abhängig sind.
Halten wir also fest: weniger veröffentlichtes und aufgrund des AC-Formates DANN auch noch in der Menge deutlich eingeschränkteres Musikmaterial in Deutschland, auf dass sich dann alle AC-Sender stürzen, gepaart mit ein paar anderen bürokratischen Dingen (GEMA und GVL) - als deutscher Sender "darfst" Du offiziell nur Titel bzw. Platten zu spielen, die eine sog. LC-Nummer (Labelcode) haben. Hat die Platte (die Du spielen möchtest) das nicht, bekommst Du ggf. Probleme bei der Abrechnung der Tantiemen, da Titeleinsätze ohne Labelcode nicht mit dem pauschalen Sendevertrag mit der GVL abgegolten sind. Das bedeutet, Du musst IN JEDEM EINZELFALL mit den Urhebern des musikalischen labelcode-freien Tonträger-Werkes einen eigenen Sendevertrag schließen! DAS ist nervig und ein ziemlicher Verwaltungsaufwand. Und oftmals kosten Dich diese zusätzlichen Sendeverträge mit den einzelnen Urhebern labecode-freier Werke zwar kein Geld - vor allem, wenn es sich um Newcomer handelt (die wollen ja in der Regel, dass ihr Werk im Radio läuft) - aber der Verwaltungsaufwand ist dennoch enorm. Denn in einem solchen labelcode-freien Fall ist es für Dich als Sender dringend notwendig ein von den jeweiligen Urhebern unterzeichnetes und juristisch wasserdichtes Stück Papier in der Hand zu halten, denn sonst KÖNNTEN sie Dich verklagen. Denn DANN sendest Du ja ihr Werk ohne ihre offizielle Einwilligung, was einen Verstoß gegen das Urheberrecht darstellen würde. Und das Werk TROTZDEM einfach so senden? Ist nicht!!! Und schon gar nicht in Deutschland! Und falls Du es TROTZDEM machst, dann 'GEMA-besser-gucken-dass-keiner-kommt!'
Die Menge der für das programm relevanten Veröffentlichungen in Großbritannien ist also deutlich größer (und in UK werden die Tonträger auch wesentlich früher veröffentlicht, oftmals MONATE im voraus im Gegensatz zu Deutschland) als die Menge hierzulande und deshalb greife ich Woche für Woche sehr gerne auf die UK-Bemusterungen zurück, parallel zu den Bemusterungen aus Deutschland. Das hat dann den Effekt, dass a) ich die internationalen Produktionen erheblich früher einsetzen kann und b) dass ich eine deutlich größere Auswahl an verfügbaren Songs habe, da UK einfach wesentlich mehr veröffentlicht. In Amerika sieht das ähnlich aus, ist das Land und der Musikmarkt dort doch noch viel, viel größer! Frage diesbezüglich mal bitte den User "ricochet", denn er scheint sich in Sachen US-Musikmarkt bestens auszukennen. Zumindest kennt er das BILLBOARD-Schwestermagazin "Radio & Records" - und DAS heißt schon eine ganze Menge!
Und noch etwas: ja! AUCH UK- und US-Themen rechnen wir - in der Regel via Labelcode - ab. Da gibt es völlig legale Mittel und Wege! Bestimmte deutsche Labels bieten ausländischen Labels sogar ihren deutschen Labelcode gegen Kohle zur Nutzung an, falls das ausländische Label keinen eigene Labelcode hat oder sich diesen nicht zulegen möchte. Und falls ein ausländisches Label tatsächlich mal über keinen Labelcode verfügen sollte, DANN wird mit dem Urheber/den Urhebern des zu senden beabsichtigten Werkes eben ein eigener Sendevertrag geschlossen.
Also, auf der einen Seite stockkonservative und übervorsichtige Mentalität sowie Geiz, gepaart mit Ratlosigkeit und fehlender Kreativität (von "Visionen" will ich in diesem Zusammenhang erst gar nicht sprechen!) und der stoischen Weigerung, über den eigenen Tellerrand hinaus zu gucken sind letztendlich der Grund bzw. die Gründe, also jene "Verkettung unglücklicher Umstände", WARUM deutsches (AC-)Radio so "klingt", WIE es klingt! "Die Deutschen" blockieren sich quasi mal wieder selbst, besitzen dabei dann aber die unglaubliche Arroganz, "den Knall" nicht zu hören bzw. diesen nicht wahrhaben zu wollen. Also, "Weiter so!" (Wahlkampf-Slogan der CDU in den 1980er Jahren unter Helmut Kohl) lautet ihre - meiner Meinung nach völlig falsche - Devise. Und wenn auch die (Radio-)Welt um sie herum zusammenbricht: "WEITER SO!", denn es hat ja BISLANG schließlich auch funktioniert.
Oder wie der Kölner es so schön passend in §1 seines "kölschen Jrundjesetzes" formuliert:
"Et kütt wie et kütt un' et hätt noch immer joot jejange!" (Übersetzung für alle Nicht-Rheinländer: "Es kommt wie es kommt und es ist noch immer gut gegangen!")
Das jene Radio-Welt - zeitlich betrachtet - relativ kurz vor "dem Knall" steht, denn Digitalradio wird AUCH IN DEUTSCHLAND seinen Siegeszug antreten, ignorieren sie dabei mal wieder geflissentlich. "Typisch deutsch", eben! Diskutieren, zerreden und streiten "bis der Arzt kommt" - um DANN, wenn das Kind schon längst in den Brunnen gefallen ist, mit halbherzigem "Flickwerk" möglichst billig, denn "Geiz-ist-geil", zu "reparieren"!
DAS kann - trotz kölschem Grundgesetz - auf Dauer einfach nicht funktionieren, denn ANDERE Nationen haben bereits bewiesen bzw. sind gerade dabei zu beweisen, WIE es TATSÄCHLICH funktioniert! Denn in anderen Ländern wurde auf dem bislang konventionellen UKW-Markt bereits mit ersten Reaktionen dem Digitalradio entsprechend begegnet, allen voran mal wieder Großbritannien. Zufall? Nee, ganz einfach eine Frage der Mentalität und der Bewegungsfreudigkeit.
Zu Zeiten des Kolonialismus kamen die Deutschen schon zu spät und bekamen damals nur noch ein paar "Krümel" ab, beim UKW-Radio wird es in Bezug auf Hörer in Konkurrenz mit dem gerade entstehenden Digitalradio nicht viel anders sein. AUCH HIER werden die Deutschen mal wieder zu spät kommen. Sie werden dann allerdings nicht mehr agieren, sondern nur noch reagieren. Ein bitterböser Vergleich, ich weiss, der aber dennoch einen sehr wahren Kern hat - LEIDER!
Wie zitierte ich doch vorhin Gorbatschow? "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben!"
Also, bekommen wir alle besser unseren Allerwertesten hoch und entwickeln besser wieder ein niveauvolles, aber dennoch populäres UKW-Radio - bevor es wirklich "zu spät" ist!
Nochmals vielen Dank für Eure Aufmerksamkeit.
Cheers then,
- DV -