Meine Theorie ist eine andere: würde man das - in diesem Thread unpassender Weise beinahe heilig gesprochene - SWF3 heute neu auflegen und ähnlich ausrichten wie damals, könnte es nur gegen die Wand fahren.
Als Massenprogramm sicherlich ja - und genau dafür wäre es ja zu konzipieren, also tatsächlich: Ziel verfehlt. Es gibt heute genug Ausweichmöglichkeiten, sich die geschmacklosesten und trivialsten akustischen Entgleisungen reinzufahren. Das war zu Stockingers Zeiten anders, entweder man nahm, was man bekam oder man hatte bissl Empfang aus dem Nachbar(bundes)land falls es da was anderes gab oder man hatte halt Pech gehabt. Sich alle Singles, die im Radio nicht stattfanden, zu kaufen, hätte vermutlich auch damals das Budget eines z.B. Teenies überfordert.
Schaden dürfte niemand erlitten haben durch Müll-Aussortierung im Rundfunk. Es gibt Fälle, in denen später (z.B. in Form eines Nachrufes) einstige Hörer bestimmten Moderatoren oder Musikredakteuren zutiefst dankbar waren, ihren Musikgeschmack genau so und nicht anders geprägt zu haben. Mir sind solche Nachrufe z.B. im Falle von Peter Radszuhn (gestorben gestern vor 2 Jahren) und auch Klaus Wellershaus (
da kann man einige dankbare Stimmen noch untendrunter nachlesen) bekannt.
Das Aussortieren von Musik, die einem nicht ins Konzept passt, halte ich für absolut legitim. Umgekehrt fragt doch auch niemand, bevor er 99% der Musik, die auf diesem Planeten entsteht und von der vermutlich so manches auch sowas wie "radiotauglich" wäre, einfach nicht stattfinden lässt, sondern sich auf die 100 blödesten, inzwischen restlos gleichklingenden Titel mit der Anmutung einer simplen Spieldose beschränkt. Genau das ist ja das heutige Popradio. Und da es inzwischen seit 25-30 Jahren die Privaten gibt, die sich an der Masse orientieren müssen, wäre ein Aussortieren von Müll bei den öffentlich-rechtlichen erst recht völlig legitim (für die "Müllschlucker" gäbe es genug andere Hörfunkprogramme) und sogar das Gebot der Stunde. Allein: es tut fast niemand mehr.
die Leute sind mündig genug, sich beispielsweise ihr Musikbedürfnis nicht vorschreiben zu lassen.
Geht mir ganz genauso, deshalb höre ich heute nullkommagarnix Popfunk mehr. Mag mich weder von den Formatdiktatoren bevormunden noch mir meine Würde nehmen lassen. Abgesehen davon, daß das ganze Drumherum ja nur noch auf Drogen zu ertragen ist. Es ist ja nicht nur die Musik belanglos, es gibt ja auch keinen sonstigen Inhalt mehr und man dreht sich nur selbstreferentiell um seinen eigenen Claim.
denn damit würde den Hörern etwas vorenthalten, was sie nun einmal gern hören möchten
Verallgemeinere bitte mal nicht so. In meinem Privatumfeld (Leute um 40) hört so etwas niemand. N-I-E-M-A-N-D. Das sind teils empfindsame Menschen, die fügen sich nicht freiwillig solche Schmerzen zu. Und/oder ihr Tag ist zu kurz, um ihn mit Scheiße zu füllen. Musik braucht da dann schon eine Aussage, die über "ich bin geil" oder "die Sonne scheint und ich mach Party" hinausgeht. Oder sie muß exotisch und unerwartet sein. Ich durfte gerade einen Sack voll Mitschnitte vom diesjährigen Rudolstadt-Festival zusammentragen und verteilen - es wird also tatsächlich gezielt nach Musik gefragt, die es wert ist, die noch Seele hat, die Leidenschaft hat, die echte Lebensfreude (das ist was anderes als "Party!") hat. Zusammengetragen habe ich die Mitschnitte bei den Kulturwellen. Dorthin haben wir uns zurückgezogen, falls wir nicht komplett Abstand vom Radio genommen haben.
Diese Hybris ist niemals gerechtfertigt oder gar ein Zeichen für Können, sondern immer und grundsätzlich unangebracht.
Das ist keine Hybris, sondern zumindest nach meinem Verständnis genau das, was Musikredakteure tun sollen: Sichten, Prüfen, Bewerten - und Aussortieren. ich war ihnen zumindest immer dankbar dafür, wenn sie so getan haben.