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Artikel aus der "Welt", 22.2.05
"Schneisen durch Bagdad gebombt"
Wie deutsche Medien bei der USA-Berichterstattung aus der Rolle fallen - Gespräch mit dem Antiamerikanismus-Forscher Lutz Erbring
Figur auf einer Anti-Bush-Demonstration in Brüssel, 20. Februar 2005
Foto: dpa
Überall wo US-Präsident George W. Bush in diesen Tagen auf seiner Europareise auftaucht, empfangen ihn öffentliche Proteste. Zu Beginn seiner zweiten Amtszeit scheint sich die Kluft zwischen Europa und den Vereinigten Staaten von Amerika nicht wesentlich verringert zu haben, auch wenn die diplomatischen Zeichen inzwischen auf Versöhnung stehen. Laut einer Umfrage der US-Stiftung German Marshall Fund lehnen nach wie vor 59 Prozent der befragten Deutschen und 62 Prozent der Franzosen die Außenpolitik des US-Präsidenten entschieden ab. Immerhin halten es rund 34 Prozent der Befragten für möglich, daß in der zweiten Amtszeit von Präsident Bush eine Verbesserung im transatlantischen Verhältnis eintreten könnte. Welche Rolle spielen die Medien in diesem Prozeß? Darüber sprach Franz Solms-Laubach mit dem Berliner Publizistik-Professor und Antiamerikanismus-Forscher Lutz Erbring.
DIE WELT: Wie objektiv sind deutsche Medien, wenn es um die Berichterstattung zum Beispiel über die USA geht?
Lutz Erbring: Es ist erstaunlich, aber die journalistische Professionalitätsvorstellung geht bei Auslandsnachrichten schnell verloren. Bei Inlandsthemen würde es kein Journalist wagen, solche Texte zu verfassen, wie er sie ohne weiter nachzudenken über Ereignisse in Ländern wie Frankreich, Großbritannien oder den USA schreibt. Diese Texte reflektieren typischer Weise die offizielle Linie der Regierung in Bezug auf die Außenpolitik. Das ist allerdings auch in den USA so. Das passiert ganz unbewußt, aber eben unprofessionell.
DIE WELT: Die Trennung von Nachricht und Meinung wird nicht aufrecht erhalten?
Erbring: In der Auslandsberichterstattung ist sie jedenfalls deutlich schwächer. An der Landesgrenze hört eine ganze Menge journalistischer Alltagsroutinen auf, sich verhaltenssteuernd zu behaupten.
DIE WELT: Warum?
Erbring: Über den psychologischen Mechanismus kann man nur spekulieren. Inlandsberichterstattung ist für die meisten Journalisten näher am Alltag, sie sind für Parteilichkeiten im innenpolitischen Kontext sensibler. Jenseits der Grenzen gibt es keine gelernte Zurückhaltung. Es ist empirisch eindeutig nachweisbar, daß außenpolitische Themen weniger sorgfältig abgewogen werden.
DIE WELT: Und so bahnen sich auch antiamerikanische Stereotypen den Weg in die Medien?
Erbring: Wir haben versucht, die auf die USA bezogenen Stereotypen, die immer wieder durchbrechen, zu klassifizieren. Sie reichen von Arroganz, über Unkultur, Doppelmoral, Prüderie bis hin zu Oberflächlichkeit und werden durch Medien wie Fernsehen, Radio, Zeitungen Zeitschriften vermittelt und verstärkt. Ein beliebiges Beispiel dafür war eine ARD Nachrichtensendung zum Beginn der Invasion in Irak vor etwa zwei Jahren, als die Moderatorin, ich glaube es war Anne Will, zu einer Zeit, als die aktive Bombardierung gerade voll im Gange war und die Amerikaner mit High-Tech Gerät und "intelligenten Marschflugkörpern" militärische Ziele herausgepickt haben, sagte: Die amerikanische Luftwaffe hat wieder "Schneisen durch Bagdad gebombt". "Schneisen" - das Wort erinnert natürlich viele Deutsche an die Flächenbomdardements im Zweiten Weltkrieg. Wenn man solche Formulierungen in den Nachrichten über ein innenpolitisches Konfliktthema benutzen würde: dann würden aber die Telephone heiß laufen. Ich bin sicher, in diesem Fall gab es kaum einen Anruf.
DIE WELT: Welche Unterschiede sehen Sie zwischen dem rechten und linken politischen Spektrum in Deutschland?
Erbring: Von Rechts kommt eher die feuilletonistisch-kulturell bedingte Abwertung alles Amerikanischen als flach, oberflächlich, wertlos, falsch, billig und grell. Also das, was für jeden Kulturmenschen ein Horror zu sein scheint. Aus der linken Ecke kommt eher die antikapitalistisch bedingte Abwertung alles Amerikanischen mit der als Drohung empfundenen McDonaldisierung und den Anti-Coca-Cola-Rufen. Aber so unterschiedlich sind die Strömungen eigentlich gar nicht, wenn man dann genauer hinschaut. In den Medien bleibt sich das eigentlich gleich.
DIE WELT: Wo liegen die Wurzeln?
Erbring: Der feuilletonistisch-kulturell bedingte Antiamerikanismus hängt mit der kulturellen Arroganz Europas zusammen, das sich als Gegenstück zu einem als kulturlos verstandenen Amerika begreift, und in seinen Anfängen bis ins 19. Jahrhundert zurückreicht. Nach dem Zweiten Weltkrieg war er durch die positive Wirkung des Marshall-Plans und anderer US-Hilfsmaßnahmen in Deutschland zunächst jedoch nicht sehr stark ausgeprägt. Dramatisch verdüstert hat sich das Bild Amerikas in der deutschen Öffentlichkeit erst wieder in den späten sechziger Jahren mit den Studentenunruhen von 1968 und den weltweiten Protesten gegen den Krieg in Vietnam. In dieser Zeit wurde der Begriff "Amerikanisierung" in der öffentlichen Sprache zu einem virulenten Schimpfwort.
DIE WELT: Die Bush-Kritik ist demnach eine Steigerung alter Vorurteile?
Erbring: Geprägt ist diese neueste Form des Antiamerikanismus nicht zuletzt durch die besonders hohe Reizqualität, die Präsident George W. Bush jr. in der deutschen und europäischen Öffentlichkeit besitzt. Ende 2003, kurz nach der Invasion im Irak, fühlten sich nur noch rund neun Prozent der Deutschen als den Amerikanern nahe stehen, 45 Prozent sagten: "Amerika ist mir fern." Fünf Jahre zuvor war die Relation etwa umgekehrt. Das Gefühl hat sich in kurzer Zeit gedreht.
DIE WELT: Durch den Einfluß der Medien?
Erbring: Die Medien leisten eine potentiell politisch und kulturell wirksame Interpretation komplexer Phänomene für den Alltag. Andererseits muß die Stereotypisierung auch beim Mediennutzer schon als Denkmuster vorhanden sein. Nur so funktioniert das stillschweigende Einverständnis zwischen Sender und Empfänger über stereotypische Verkürzungen. Es muß also schon einen gemeinsamen Nenner geben, sonst versteht der eine ja gar nicht, was der andere sagt.
DIE WELT: Lassen sich solche Denkmuster nicht ändern?
Erbring: Unsere Analysen haben gezeigt, daß die eigene Erfahrung gegen die pauschale Verwendung von Stereotypen nicht schützt. Der Antiamerikanismus braucht also keine Amerikaner. Stereotypen leben ihr eigenes Leben, sind relativ realitätsimmun und veränderungsresistent.
DIE WELT: Keine Hoffnung auf Besserung?
Erbring: In fünf Jahren gibt es einen anderen Präsidenten und der Irak ist möglicherweise befriedet. Das hätte natürlich Auswirkungen auf die Stärke der Ressentiments, die sich an der gegenwärtigen Situation und an bestimmten Personen festmachen. Aber unter der Oberfläche schwelt leider die lange Glut des latenten Antiamerikanismus. Der hat eine lange Tradition und bleibt, auch wenn Präsident Bush nicht mehr im Amt oder Palästina befriedet ist.
Artikel erschienen am Di, 22. Februar 2005
"Schneisen durch Bagdad gebombt"
Wie deutsche Medien bei der USA-Berichterstattung aus der Rolle fallen - Gespräch mit dem Antiamerikanismus-Forscher Lutz Erbring
Figur auf einer Anti-Bush-Demonstration in Brüssel, 20. Februar 2005
Foto: dpa
Überall wo US-Präsident George W. Bush in diesen Tagen auf seiner Europareise auftaucht, empfangen ihn öffentliche Proteste. Zu Beginn seiner zweiten Amtszeit scheint sich die Kluft zwischen Europa und den Vereinigten Staaten von Amerika nicht wesentlich verringert zu haben, auch wenn die diplomatischen Zeichen inzwischen auf Versöhnung stehen. Laut einer Umfrage der US-Stiftung German Marshall Fund lehnen nach wie vor 59 Prozent der befragten Deutschen und 62 Prozent der Franzosen die Außenpolitik des US-Präsidenten entschieden ab. Immerhin halten es rund 34 Prozent der Befragten für möglich, daß in der zweiten Amtszeit von Präsident Bush eine Verbesserung im transatlantischen Verhältnis eintreten könnte. Welche Rolle spielen die Medien in diesem Prozeß? Darüber sprach Franz Solms-Laubach mit dem Berliner Publizistik-Professor und Antiamerikanismus-Forscher Lutz Erbring.
DIE WELT: Wie objektiv sind deutsche Medien, wenn es um die Berichterstattung zum Beispiel über die USA geht?
Lutz Erbring: Es ist erstaunlich, aber die journalistische Professionalitätsvorstellung geht bei Auslandsnachrichten schnell verloren. Bei Inlandsthemen würde es kein Journalist wagen, solche Texte zu verfassen, wie er sie ohne weiter nachzudenken über Ereignisse in Ländern wie Frankreich, Großbritannien oder den USA schreibt. Diese Texte reflektieren typischer Weise die offizielle Linie der Regierung in Bezug auf die Außenpolitik. Das ist allerdings auch in den USA so. Das passiert ganz unbewußt, aber eben unprofessionell.
DIE WELT: Die Trennung von Nachricht und Meinung wird nicht aufrecht erhalten?
Erbring: In der Auslandsberichterstattung ist sie jedenfalls deutlich schwächer. An der Landesgrenze hört eine ganze Menge journalistischer Alltagsroutinen auf, sich verhaltenssteuernd zu behaupten.
DIE WELT: Warum?
Erbring: Über den psychologischen Mechanismus kann man nur spekulieren. Inlandsberichterstattung ist für die meisten Journalisten näher am Alltag, sie sind für Parteilichkeiten im innenpolitischen Kontext sensibler. Jenseits der Grenzen gibt es keine gelernte Zurückhaltung. Es ist empirisch eindeutig nachweisbar, daß außenpolitische Themen weniger sorgfältig abgewogen werden.
DIE WELT: Und so bahnen sich auch antiamerikanische Stereotypen den Weg in die Medien?
Erbring: Wir haben versucht, die auf die USA bezogenen Stereotypen, die immer wieder durchbrechen, zu klassifizieren. Sie reichen von Arroganz, über Unkultur, Doppelmoral, Prüderie bis hin zu Oberflächlichkeit und werden durch Medien wie Fernsehen, Radio, Zeitungen Zeitschriften vermittelt und verstärkt. Ein beliebiges Beispiel dafür war eine ARD Nachrichtensendung zum Beginn der Invasion in Irak vor etwa zwei Jahren, als die Moderatorin, ich glaube es war Anne Will, zu einer Zeit, als die aktive Bombardierung gerade voll im Gange war und die Amerikaner mit High-Tech Gerät und "intelligenten Marschflugkörpern" militärische Ziele herausgepickt haben, sagte: Die amerikanische Luftwaffe hat wieder "Schneisen durch Bagdad gebombt". "Schneisen" - das Wort erinnert natürlich viele Deutsche an die Flächenbomdardements im Zweiten Weltkrieg. Wenn man solche Formulierungen in den Nachrichten über ein innenpolitisches Konfliktthema benutzen würde: dann würden aber die Telephone heiß laufen. Ich bin sicher, in diesem Fall gab es kaum einen Anruf.
DIE WELT: Welche Unterschiede sehen Sie zwischen dem rechten und linken politischen Spektrum in Deutschland?
Erbring: Von Rechts kommt eher die feuilletonistisch-kulturell bedingte Abwertung alles Amerikanischen als flach, oberflächlich, wertlos, falsch, billig und grell. Also das, was für jeden Kulturmenschen ein Horror zu sein scheint. Aus der linken Ecke kommt eher die antikapitalistisch bedingte Abwertung alles Amerikanischen mit der als Drohung empfundenen McDonaldisierung und den Anti-Coca-Cola-Rufen. Aber so unterschiedlich sind die Strömungen eigentlich gar nicht, wenn man dann genauer hinschaut. In den Medien bleibt sich das eigentlich gleich.
DIE WELT: Wo liegen die Wurzeln?
Erbring: Der feuilletonistisch-kulturell bedingte Antiamerikanismus hängt mit der kulturellen Arroganz Europas zusammen, das sich als Gegenstück zu einem als kulturlos verstandenen Amerika begreift, und in seinen Anfängen bis ins 19. Jahrhundert zurückreicht. Nach dem Zweiten Weltkrieg war er durch die positive Wirkung des Marshall-Plans und anderer US-Hilfsmaßnahmen in Deutschland zunächst jedoch nicht sehr stark ausgeprägt. Dramatisch verdüstert hat sich das Bild Amerikas in der deutschen Öffentlichkeit erst wieder in den späten sechziger Jahren mit den Studentenunruhen von 1968 und den weltweiten Protesten gegen den Krieg in Vietnam. In dieser Zeit wurde der Begriff "Amerikanisierung" in der öffentlichen Sprache zu einem virulenten Schimpfwort.
DIE WELT: Die Bush-Kritik ist demnach eine Steigerung alter Vorurteile?
Erbring: Geprägt ist diese neueste Form des Antiamerikanismus nicht zuletzt durch die besonders hohe Reizqualität, die Präsident George W. Bush jr. in der deutschen und europäischen Öffentlichkeit besitzt. Ende 2003, kurz nach der Invasion im Irak, fühlten sich nur noch rund neun Prozent der Deutschen als den Amerikanern nahe stehen, 45 Prozent sagten: "Amerika ist mir fern." Fünf Jahre zuvor war die Relation etwa umgekehrt. Das Gefühl hat sich in kurzer Zeit gedreht.
DIE WELT: Durch den Einfluß der Medien?
Erbring: Die Medien leisten eine potentiell politisch und kulturell wirksame Interpretation komplexer Phänomene für den Alltag. Andererseits muß die Stereotypisierung auch beim Mediennutzer schon als Denkmuster vorhanden sein. Nur so funktioniert das stillschweigende Einverständnis zwischen Sender und Empfänger über stereotypische Verkürzungen. Es muß also schon einen gemeinsamen Nenner geben, sonst versteht der eine ja gar nicht, was der andere sagt.
DIE WELT: Lassen sich solche Denkmuster nicht ändern?
Erbring: Unsere Analysen haben gezeigt, daß die eigene Erfahrung gegen die pauschale Verwendung von Stereotypen nicht schützt. Der Antiamerikanismus braucht also keine Amerikaner. Stereotypen leben ihr eigenes Leben, sind relativ realitätsimmun und veränderungsresistent.
DIE WELT: Keine Hoffnung auf Besserung?
Erbring: In fünf Jahren gibt es einen anderen Präsidenten und der Irak ist möglicherweise befriedet. Das hätte natürlich Auswirkungen auf die Stärke der Ressentiments, die sich an der gegenwärtigen Situation und an bestimmten Personen festmachen. Aber unter der Oberfläche schwelt leider die lange Glut des latenten Antiamerikanismus. Der hat eine lange Tradition und bleibt, auch wenn Präsident Bush nicht mehr im Amt oder Palästina befriedet ist.
Artikel erschienen am Di, 22. Februar 2005