AW: "Berufsweg" Radio noch empfehlenswert?
Also, ich weiß wirklich nicht, was Du mit dem Begriff "Journalisten-Studium" meinst. Fakt ist, im Radio gelten wie überall in der Medienbranche im Wesentlichen fünf Dinge:
1) Niemals und unter keinen Umständen ohne Bezahlung arbeiten.
Das gilt insbesondere für die vermeintlich großen Namen. Wer wochenlang oder gar monatelange "für umsonst" arbeitet (auch mal abends und am WE) hat entweder seine Selbstachtung verloren oder hatte noch nie welche. Dabei ist es wurscht, ob man zu einer tollen Filmpremiere gehen darf und den Hauptdarsteller treffen kann, für den man schon immer schwärmt. Denn am Ende müssen wir alle essen, wohnen, trinken, uns kleiden, mit dem Bus der Bahn oder dem Auto fahren, sogar ein Telefon oder Handy haben, auf dem wir die Praktikumsredaktion anrufen, wenn wir bahnbrechende O-Töne haben, die uns ein Minister im BTag gerade ins Mikrofon gesprochen hat. Und das Telefonat sollen wir dann auch noch selbst und ohne Lohn bezahlen? Von was?
Ausnahme für ein unbezahltes Praktikum kann von mir aus eine Praxisphase sein, die WÄHREND des Studiums Platz greift. Dann ist sie aber auch TEIL des Studiums uns findet nicht hinterher statt.
2) Wir sollten etwas Hochwertiges studieren, das uns eine Job-Alternative bietet und besondere Fachkentnisse in einem bestimmten Bereich vermittelt.
Bedeutet: Wer Studiengänge absolviert, die nicht zu einem konkreten Berufswunsch führen oder diesen zumindest unterstützen und fordern, sollte die Medien nicht als Auffangbecken nutzen. Wer ein Studium absolivert hat, das im Grunde sowieso jeder Student mit einer 1 abschließt, kann gleich zu Hause bleiben und seine Eins feiern. Gern gesehen sind daher Studiengänge, die fordern und die eine Durschnittsnote von 3 und schlechter als Standard haben. Da ist es dann auch egal, wenn man durchs Examen gefallen ist. Das zeigt oft nur, wie hart das Studim ist. Immerhin hat man es bis hierhin geschafft (die Voraussetzung "scheinfrei" sollte also schon erfüllt sein). Also auf zu Jura oder auch Medizin und Co.
3) Keine Nachricht ohne umfassende Recherche. Kein Beitrag ohne umfassende Recherche. Kein Kommentar ohne umfassende Recherche.
4) Sich niemals unter Wert verkaufen.
Und insbesondere beim Radio sollte man sich nicht zum Ansager für Gewinnspiele degradieren lassen.
5) Arbeitszeiten, die angenehm sind und eine Recherche wie unter 3) beschrieben, ermöglichen.
Ich habe selbst über 15 Jahre Erfahrung hinter mit und ich habe, frech wie ich war, ein Praktikum bei einer sehr großen Redaktion gemacht. Zum Glück hat mich niemand an der Stimme erkannt. Wochen- und monatelang sollte es ohne Bezahlung gehen. Nach kurzer Zeit habe ich den "Dienst", der von den Anforderungen und sicher auch den Ergebnissen durchaus hochwertig war, wieder aufgegeben. Mir ging das Geld aus, dafür hatte ich gesehen, dass es tatsächlich so ist, wie viele angehende Kollegen immer schreiben und erzählen. So und jetzt arbeite ich an dem Buch, das aus den gewonnenen Erkenntnissen und anderen Erfahrungen in dem Bereich entstehen soll. Warum? Weil ich es kann. Weil ich glücklicherweise eine Marktposition habe, die es mir nach vielen Jahren Arbeit ermöglicht, einmal 10-12 Wochen an dem Buch weiter zu arbeiten. Würde ich heute, also 2011 oder 2010 in den Job starten, wäre ich mir sicher, dass mir eine solche Pause nicht mehr möglich wäre. Zumindest in meinem speziellen Fall nicht.
Mein O-Ton: "Suchen Sie sich jemand anderen, der sich für das kostenlosen Arbeiten über Wochen und Monate nicht zu schade ist. Ich bin mir selbst dafür zu wichtig."
Liebe Grüße
Eure
Sandra