AW: Bestätigt: hr3 trennt sich von drei altgedienten Moderatoren!
Auch meine Eltern haben sich frühzeitig und intensiv - auch gegen meinen oft heftigen Widerstand - um meine (klassische) pianistische Ausbildung gekümmert. Der langfristige Effekt äussert sich bei mir allerdings inzwischen in Dankbarkeit sowie Freude über die gewonnen Fähigkeiten und die Erweiterung des musikalischen Horizonts.
Sei froh. Bei Dir war die (eventuell) aufgebaute Barriere offenbar nicht so massiv wie bei mir. Die Klavier-Verweigerung bei mir ist da auch nur ein kleines Element. Das geht bis ins soziale, wo ich bis heute aus Gründen tiefsitzender Fremdbestimmungsangst beispielsweise nicht zu über das tägliche unverbindliche Nebeneinander hinausgehenden Kontakten zu Frauen fähig bin. In der letzten Zeit - mit immer größerem emotionalen Abstand vom Elternhaus - gerät da einiges langsam in Bewegung, Ziel der Reise unbekannt.
Bei Musik und Musikinstrumenten ist es vielleicht nicht anders und braucht auch nur seine Zeit. Das paßt ja auch irgendwie nicht: leidenschaftliches Interesse für gute Musik, Lust auf Arbeit in der "musikaufzeichnenden" Branche, jeden falschen Ton sofort hören zu können, Dynamik zu lieben - und dann kein Instrument zu beherrschen.
Doch warum soll man sich als erwachsener, musikinteressierter Mensch dem gigantischen, qualitativ hochwertigen Repertoire der letzten Jahrhunderte verschliessen?
Ich nehme nach wie vor sehr deutlich wahr, daß außer Klassik und vielleicht noch Jazz in unserer Gesellschaft Musik nicht als kulturelle Äußerung akzeptiert wird. Um auf das Thema dieses Threads zurückzukommen: eine der ARD-Kulturwellen zu schließen, käme niemandem in den Sinn, selbst wenn die Quote in der Prime-Zeit unter die "nicht meßbaren" Hörerzahlen von Klaus Walter und Volker Rebell am Sonntagabend fielen. Man darf da nicht einmal daran denken. Es darf nicht sein, fertig, aus. Als hr Klassik eingestellt wurde, versuchte man, die Inhalte so gut es ging in hr2 zu integrieren (ob dies gelungen ist, mögen bitte andere beantworten). Rebell und Walter werden nirgendwo integriert - sie zählen nicht zur Kultur. Das zieht sich wie ein roter Faden durch die deutsche Hörfunklandschaft. Der SWR ist popkultur-frei, der MDR ist es abgesehen von zarten Versuchen auf Sputnik auch (dort fehlen aber einfach Persönlichkeiten wie Rebell oder Walter). Der hr soll es nun auch werden. Beim NDR versteckt man die nicht gern gesehene Kultur immerhin noch im Nachtprogramm der Infowelle. Nur der BR leistet sich - im besten Sinne wertkonservativ - ein offenes Verhältnis zu dieser Art von Kultur.
Warum sollte ich mich ohne Not dem Diktat beugen, eine kulturelle Richtung zu der meinen zu machen, die mich momentan (!) nicht anspricht? Nur, um irgendwo dazuzugehören? Wie drücke ich es am besten aus? Ich meide vielleicht weniger die Klassik, als ich es vermeide, mich bei denen aufzuhalten, die die Klassik als Barriere vor sich herschieben.
Meine seltenen Berührungspunkte mit Klassik im weiteren Sinne wirkten auf mich meist grotesk: da geht man halt hin, sitzt dann im Konzert mit einem Gesichtsausdruck zwischen Langeweile, Genervtsein und "ich muß das jetzt machen, damit ich anderen etwas beweise", zuckt bei jeder Fortissimo-Passage zusammen, als wäre die brachiale Dynamik und Lebendigkeit nicht abzusehen gewesen. Klingt grotesk? Ist es auch, habe ich letztens erst erlebt, in der Heiligkreuz-Kirche zu Berlin. Ex-Kollege (Chorsänger) lädt uns ein, schwerer Stoff, Totenmesse von Verdi in einer minimalistischen, kammermusikalischen Fassung für Klavier, Marimba, Horn, Kontrabass, Schlagzeug, 4 Solisten und natürlich Chor. Ich wollte hin, meinen ex-Kollegen mal im Chor erleben. Einer der anderen Eingeladenen rief mich vorher extra noch an, um mir mitzuteilen, daß er mich an diesem Abend am liebsten nicht kennen wolle - er führe schließlich zum ersten mal seine neue Freundin vor. Die lernte ich dann freilich auch kennen und wußte nicht, was die beiden zusammen wollen. Er drehte sich die ganze Zeit um die Selbstdarstellung, kam mit der Musik überhaupt nicht in Berührung. Nach dem Konzert meinte er, er sei jedes mal erschrocken gewesen, als es kurz so laut wurde. Dabei war das erstens klar zu erkennen - die Marimba-Spielerin ging zur Seite und griff "größeres Werkzeug" - und zweitens paßte an diesen Stellen das und wirklich nur das, was dann auch folgte. Klarer Fall von "dagesessen und doch abwesend gewesen". Solcherart Schaulaufen kann ich nicht ab. Ich hatte ob der Darbietung der Künstler Tränen in den Augen und muß auch etwas frevelhaftes gestehen: ich hatte vor dem geistigen Auge fortlaufend eine schöne NTP-Anzeige, auf der brachialste Dynamik zu erkennen war und machte - rein im Kopf - eine Aufnahme, die die Energie dieses Konzertes möglichst in allen Grob -und Feinheiten konservierte. Das ist eine besondere Schädigung beim Radiowaves...
Aber ich gebe zu bedenken, dass jenseits des Riesenangebots an aktueller Pop/Rockmusik jeglicher Couleur und den Hits der 80er eine Unmenge Musik existiert, die bereits den Qualitätsfilter von Jahrhunderten durchlaufen hat - also im wahrsten Sinne das Beste des 17/18/19. Jh. darstellt.
Ich melde leichte Zweifel an. War es wirklich immer ein "Qualitätsfilter"? Wenn selbst in unserer heutigen ach so freien Zeit mit nicht unerheblichen Mengen an Diktat und Fremdbestimmung gearbeitet wird, warum soll das früher anders gewesen sein? Ich mag mich da durchaus irren, vermute aber, daß das Bekenntnis zur "Klassik" nicht in jedem Fall aus freien Stücken getroffen wurde. Mein Selbstbestimmungs-Drang wird aber mit der Zeit immer größer und damit meine Probleme mit jeglicher Reglementierung, die nur "weil das so ist" als Begründung hat.
OK, ich falle auch beruflich auf, da ich mich an so gut wie keine Konventionen halte. Eine Kollegin, die mich vor einem Jahr mal sehr pampig anging, gab letztens zu, ich hätte seinerzeit nur eine wunde Stelle getroffen: ich hatte mir das Recht herausgenommen, etwas zu tun, das auch "ihr Ding" gewesen wäre, sie es sich aber wegen bestehender Busineskasper-Konventionen nicht getraut hatte.
Meine Erfahrung ist : es lohnt sich, sich damit zu beschäftigen und sich selbst etwas bereicherndes herauszupicken.
100% Zustimmung. Wenn die Zeit bei mir dafür reif ist, wird da auch ganz automatisch was passieren.
Und dies gilt natürlich ebenso für Jazz, Folk, Ethno....und was es sonst noch so für Mucke gibt.
Natürlich. Paßt im weiteren Sinne übrigens auch auf Volker Rebell - und soll nach Willen der Kulturverantwortlichen nicht mehr stattfinden dürfen. Rebell kann mir so etwas schmackhaft machen, da er mich nicht zwingt, sondern stattdessen zu einer Reise einlädt. Ich habe mir fest vorgenommen, den Mann persönlich kennen zu lernen. Ich vermute, das wäre auch eine Bereicherung für mich.
Ich finde es befremdlich, wenn Leute mit Mitte 40 immer noch keine andere Art von Musik hören als die, die für sie im Alter von 15 prägend war
Ist zum Glück hier nicht so. Mit 15 hörte ich Depeche Mode, Madonna und Sandra - das war 1989. Mit 16-17 entdeckte ich den Punk. Mit 23 kam eine radiobedingte Classic-Rock-Phase, inzwischen höre ich wieder verstärkt Indie, aber auch House und Elektro - je nach Stimmung. Jazz finde ich spannend, habe aber noch keinen Überblick. Mal sehen, was da noch so kommt.
Das ist wahrscheinlich für eine breite Masse ganz normal
Ich vermute, die hören mit Mitte 40 nicht das, was sie mit 15 hörten, sondern das, was ihnen im schlechten Popfunk täglich vorgespielt wird.