Schluss mit Wolfgang Petry und Co.
Schlagerradio rechnet sich nicht: RPR macht aus seinem zweiten Hörfunkprogramm eine Jugendwelle
Von Matthias Thieme
Heute könnten einigen Hörern des rheinland-pfälzischen Privatradios "RPR zwei" die Haare zu Berge stehen. Heute ist Schluss mit Schlager. Endgültig. "Jetzt kommt das geile Zeug", verkünden Plakate. Doch die sollten andere lesen. Die Stammhörer erfahren heute, was es bedeutet, wenn "geiles Zeug" aus dem Lautsprecher kommt: Nun gibt es Hip-Hop, Rhythm & Blues und laute Musik aus den aktuellen Charts. Bis Sonntag hatte auf der Hitliste des Senders noch Mel Judith mit ihrem Titel Ich hör Deinen Herzschlag ganz oben gestanden. Du musst ein Engel sein, sang ein gewisser Nico Frank auf dem zweiten Platz, und eine Frau namens Cindy Berger moderierte jeden Mittwoch eine Schlagerparade mit allem, was die Schmacht-Branche eben so hervorbringt. Und 230 000 Frauen und Männer schätzten das, was "RPR zwei" bislang brachte.
Jetzt also plötzlich geiles Zeug - und ein anderer Name: "bigFM Hot Music Radio" heißt das Programm, das auf den Frequenzen der zweiten privaten Senderkette zwischen Pfalz und Eifel von heute an ausgestrahlt wird. Das hört sich jung an und dynamisch. Und genau darum geht es bei dem Tausch von einem Tag auf den anderen auch. RPR möchte auf die bisherigen Hörer mit ihrem Durchschnittsalter von 53,7 Jahren verzichten. Denn mit einem Seniorensender lässt sich schlicht zu wenig Geld verdienen.
"Die Werbewirtschaft legt auf über 50-Jährige keinen Wert", sagt RPR-Sprecher Michael Mezödi frei heraus. "Wir finanzieren uns rein über Werbeerlöse. Das zwingt uns, die Rentabilität zu beachten." Jahrelang habe der Sender versucht, die Werbebranche zu überzeugen. "Wir haben immer gesagt, die Mittfünfziger sind eine andere Generation, die haben auch Geld, die stehen auf dem Golfplatz und genießen ihr Leben - aber das ist nicht angekommen."
Im vergangenen Jahr musste der Sender einen Umsatzverlust von 30 Prozent gegenüber 2001 verzeichnen. Im aktuellen ersten Halbjahr lag der Verlust noch einmal bei 30 Prozent. Nun ist Schluss mit Wolfgang Petry und Co.: Die Privatfunker tauschen ihre Zielgruppe aus - und stellen die Schlagerwelle nach zwölf Jahren ein.
Umstandslos werden sich die Stammhörer wahrscheinlich nicht in ihr Schicksal fügen. "Für viele war das jahrelang ihr Lieblingsprogramm", sagt Mezödi. "Die werden ihrem Ärger jetzt Luft machen." Um die bisherigen Fans nicht völlig vor den Kopf zu stoßen, gehen die Schlagermoderatoren diesen Sommer noch einmal auf Tour. Auch auf der Internetseite des Radios sollen weiter Informationen zur Schlagermusik verfügbar sein.
Das neue Programm richtet sich an die von der Werbung besonders umworbene Gruppe der 14- bis 29-Jährigen. In der Produktion arbeiten die Rheinland-Pfälzer mit dem baden-württembergischen Jugendsender "bigFM" zusammen. Eine gemeinsame Gesellschaft stellt das Musikprogramm für beide Sender her. In der Vermarktung von Werbezeiten wird mit dem Mannheimer Regionalsender "Radio Regenbogen" kooperiert. Das Gesamtgebiet erstreckt sich damit vom Bodensee bis zur Kölner Bucht. "Das wird ein interessanter Sender für die Werbewirtschaft", gibt sich Mezödi optimistisch.
Stündliche Nachrichten und regionale Informationen soll die RPR-Redaktion in Ludwigshafen beisteuern, die auch das Familien-Programm "RPR Eins" beliefert. Entlassungen in der Redaktion werde es nicht geben, sagt Mezödi. Schlecht sieht es allerdings für die Schlagermoderatoren aus: Für den neuen Jugendsender seien die nicht einsetzbar. "Das ist ein völlig anderes Produkt."
Den Verband der kommerziellen Veranstalter überrascht die Wende kaum: Privatsender hätten oft keine andere Wahl, als sich an möglichst jungen Zielgruppen zu orientieren, erklärt Stefan Kühler, Sprecher des Verbands Privater Rundfunk und Telekommunikation. Sender mit älteren Hörern müssten der Werbewirtschaft oft Rabatte geben, um überhaupt Spots zu bekommen.
Auch der öffentlich-rechtliche Hörfunk hat Probleme, Reklame für Programme mit älterer Hörerschaft zu bekommen, räumt Bettina Kübler vom Hörfunk des Hessischen Rundfunks ein: "Es gibt ein eklatantes Missverhältnis zwischen der Bedeutung der über 50-Jährigen - was Demographie und Kaufkraft angeht - und ihrer Bedeutung für die Werbewirtschaft." 90 Prozent der Werbeetats würden eingesetzt, um die Zielgruppe der 14 bis 49-Jährigen zu erreichen. Nach einer Medienanalyse richten sich von 87 Hörfunkprogrammen nur 22 an Leute über 50 Jahren. Davon werden gerade einmal fünf privat betrieben. "Das zeigt, dass die öffentlich-rechtlichen finanzierten Radioprogramme berechtigt sind", sagt die HR-Frau.
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