Radiowaves
Gesperrter Benutzer
AW: Der rbb spart sich zu Tode...
Keine Sorge, ich hab bloß gerade Urlaub, das heißt, ich sitze bei diesem grauen Wetter eine Woche lang in meiner Wohnung und mache Papierkram. Wäre draußen Sonne und 25 Grad, läge ich an meinem Strand und schriebe hier keine langen Texte.
Ich habe in der Tat kein wirkliches Backup für graue Tage. Sauna macht man auch nur einmal die Woche maximal, Schwimmbad ebenso. Beides tu ich gerne mit guten Freunden - die sind nicht hier, die sitzen in Frankfurt-Nordend, in Mainz, in Hamburg, Leipzig oder Jena. Immer verreisen geht auch nicht und nicht jeder hat immer Zeit, mancher hat gar Familie (ja, sowas gibt es noch) - da bin ich dankbar für jede Minute.
Wenn nicht, dann merkt man halt schon durchaus heftig die Inkompatibilität mit der Mehrheit, die sich nicht nur auf Radioprogramme, sondern aufs ganze Leben erstreckt. Bin vorhin mal eine Runde mit dem Fahrrad durch den Treptower Park: Besoffene, total Besoffene, Nazilieder aus Ghettoblaster am Spree-Ufer, gröhlende, pöbelnde Typen der Bauform "Türsteher". Hoffentlich ist das morgen nicht so, dann fahre ich mal raus und schaue mir Ecken an, die ich noch nicht kenne.
Und da ist der Radiobezug: ich tippte nebenan gerade eine Abhandlung über Kassetten und mußte dabei wieder feststellen, daß die Zeit immer schneller läuft und das soziale Netz früher durchaus engmaschiger war. Man wird älter, Wege verzweigen sich, Kontakte werden naturgemäß seltener. Man ist also auch deutlich länger ausschließlich mit sich beschäftigt. Das ist kein prinzipielles Problem, aber nach Wochen ohne soziale Kontakte fällt mir deutlich auf, wie unsicher ich werde angesichts der Welt da draußen: bin ich wirklich so "daneben"? Finden die anderen die großen Werbeplakate an den Straßen wirklich interessant oder geil? Begehren sie die dort beworbenen Produkte? Sind schnelle Autos wirklich wichtig und bestimmen sie, wer mit wem zu tun haben will? Muß man sich besaufen, um von Frauen bewundert zu werden? Besteht der Sinn von Arbeit tatsächlich darin, andere zu betrügen? Muß man nachts zugedröhnt durch Clubs ziehen? Hören wirklich alle anderen diese Ballermann-Musik?
Nein, natürlich nicht! Es gibt da draußen genug "andere" Leute, nur fällt das Erkennen schwer. Viele scheinen z.B. an Tagen wie heute auch lieber in der Wohnung zu bleiben, da das da draußen besonders heute nicht ihre Welt ist.
Und jetzt kommts: früher verband das Radio solche Menschen. Ich hörte einen Sender, mit dem ich mich identifizieren konnte und wußte, ich bin nicht allein. Das hilft ungemein, wenngleich es meist unbewußt passiert. Jede Hörer-Reaktion war gleichzeitig die Aussage "da sind noch mehr da draußen, die wenigstens ansatzweise so ähnlich empfinden wie du". Und das ist weg. Ich finde seit Jahren kein Programm mehr, das dies bei mir schafft. Radio Eins ist mir dazu zu szenig-elitär, da habe ich einfach mit Berlins Szenegängern zu schlechte Erfahrungen gemacht. Die Thüringer Privaten oder MDR 1 werden gerne von meinen (teils gleichaltrigen!) Arbeitskollegen gehört. Das ist nicht der Soundtrack zu meinem Leben - und das sind auch nicht die Menschen, mit denen ich mich unterhalten kann. Ich interessiere mich nicht für Fußball, nicht fürs Feierabendbier oder die Wii einer Kollegin. Sie interessieren sich nicht für soziale, politische oder psychologische Themen - nichtmal für Elektronik-Scheiß. Wir können auf Arbeit gut zusammen, wir haben manchen gemeinsamen Spaß - aber im Herzen bin ich nicht wirklich dort. Ich bin auch nicht bei den Nadelstreifen-Typen, die sich die Wirtschaftsnachrichten auf Bloomberg-TV reinziehen und schon gar nicht bei den stets aufgedrehten und im Dauerparty-Zustand befindlichen "jungen Aktiven".
Das vermutlich letzte mal, daß ich vorm Radio beinahe geweint hätte, war vielleicht am 1. Mai 1994, eventuell auch ein Jahr später, jedenfalls am 1. Mai. Da lief auf Sputnik (das mir damals schon recht fremd war) eine Sendung, in der Hörer anrufen konnten. Ein gewisser Don Holzapfel moderierte und einmal meldete sich ein junger Mann und erzählte, sein schönstes Erlebnis wäre heute gewesen, daß an einem alten stillgelegten Fabrikschornstein eine rote Fahne wehen würde.
Sowas schlichtes! In seiner Stimme klang irgendwas von Glück - und kein bißchen Randale, Antifa, besetztes Haus oder sonstwas. Da war einer einfach nur wegen einer Fahne glücklich, von der er wußte, daß sie da auch nicht lange hängen wird. Ich saß vorm Radio und spürte kurzzeitig sowas wie Herzenswärme. Sonst wäre mir dieser Moment nicht in Erinnerung geblieben. Ähnliches vermochte die Stimme von Ralf Bieniek bei mir zu bewirken - meist in Zusammenhang mit anrufenden Hörern. Dieser Kulturkreis hat heute keine Stimme mehr. Jeder dreht sein Ding allein.
Radio, das solchen "leisen" Dingen eine Plattform bieten kann, vermisse ich zutiefst.
Damit hätten wir den Radiobezug und vielleicht eine Erklärung für die Leidenschaft (und manchmal auch das Leiden). Aber das ist halt so in veränderten Zeiten. Oder es soll zumindest so sein. Wohl dem, der es zu einer Familie geschafft hat und vermag, dort seine eigene Welt liebevoll zu gestalten. Dann ist auch ein völliges Verweigern der Außenwelt bzw. eine Reduktion auf das absolut notwendige (Arbeiten, Einkaufen) möglich, ohne völlig isoliert zu sein. Ich kenne mehrere Beispiele, bei denen das erfolgreich funktioniert. Die würden nie hier schreiben. Denen ist inzwischen herzlich egal, was im Radio und allgemein draußen vor der Tür passiert passiert. Ich als Single bin leider noch etwas drauf angewiesen.
Also keine Sorge, das wird schon wieder, spätestens bei 25 Grad und Sonne. Mein Badesee evaluiert mich nicht und findet mich nicht uncool. Und deshalb gehe ich dann da auch gerne wieder hin.
Außerdem sind meine Pfleger immer ganz nett zu mir.
Keine Sorge, ich hab bloß gerade Urlaub, das heißt, ich sitze bei diesem grauen Wetter eine Woche lang in meiner Wohnung und mache Papierkram. Wäre draußen Sonne und 25 Grad, läge ich an meinem Strand und schriebe hier keine langen Texte.
Ich habe in der Tat kein wirkliches Backup für graue Tage. Sauna macht man auch nur einmal die Woche maximal, Schwimmbad ebenso. Beides tu ich gerne mit guten Freunden - die sind nicht hier, die sitzen in Frankfurt-Nordend, in Mainz, in Hamburg, Leipzig oder Jena. Immer verreisen geht auch nicht und nicht jeder hat immer Zeit, mancher hat gar Familie (ja, sowas gibt es noch) - da bin ich dankbar für jede Minute.
Wenn nicht, dann merkt man halt schon durchaus heftig die Inkompatibilität mit der Mehrheit, die sich nicht nur auf Radioprogramme, sondern aufs ganze Leben erstreckt. Bin vorhin mal eine Runde mit dem Fahrrad durch den Treptower Park: Besoffene, total Besoffene, Nazilieder aus Ghettoblaster am Spree-Ufer, gröhlende, pöbelnde Typen der Bauform "Türsteher". Hoffentlich ist das morgen nicht so, dann fahre ich mal raus und schaue mir Ecken an, die ich noch nicht kenne.
Und da ist der Radiobezug: ich tippte nebenan gerade eine Abhandlung über Kassetten und mußte dabei wieder feststellen, daß die Zeit immer schneller läuft und das soziale Netz früher durchaus engmaschiger war. Man wird älter, Wege verzweigen sich, Kontakte werden naturgemäß seltener. Man ist also auch deutlich länger ausschließlich mit sich beschäftigt. Das ist kein prinzipielles Problem, aber nach Wochen ohne soziale Kontakte fällt mir deutlich auf, wie unsicher ich werde angesichts der Welt da draußen: bin ich wirklich so "daneben"? Finden die anderen die großen Werbeplakate an den Straßen wirklich interessant oder geil? Begehren sie die dort beworbenen Produkte? Sind schnelle Autos wirklich wichtig und bestimmen sie, wer mit wem zu tun haben will? Muß man sich besaufen, um von Frauen bewundert zu werden? Besteht der Sinn von Arbeit tatsächlich darin, andere zu betrügen? Muß man nachts zugedröhnt durch Clubs ziehen? Hören wirklich alle anderen diese Ballermann-Musik?
Nein, natürlich nicht! Es gibt da draußen genug "andere" Leute, nur fällt das Erkennen schwer. Viele scheinen z.B. an Tagen wie heute auch lieber in der Wohnung zu bleiben, da das da draußen besonders heute nicht ihre Welt ist.
Und jetzt kommts: früher verband das Radio solche Menschen. Ich hörte einen Sender, mit dem ich mich identifizieren konnte und wußte, ich bin nicht allein. Das hilft ungemein, wenngleich es meist unbewußt passiert. Jede Hörer-Reaktion war gleichzeitig die Aussage "da sind noch mehr da draußen, die wenigstens ansatzweise so ähnlich empfinden wie du". Und das ist weg. Ich finde seit Jahren kein Programm mehr, das dies bei mir schafft. Radio Eins ist mir dazu zu szenig-elitär, da habe ich einfach mit Berlins Szenegängern zu schlechte Erfahrungen gemacht. Die Thüringer Privaten oder MDR 1 werden gerne von meinen (teils gleichaltrigen!) Arbeitskollegen gehört. Das ist nicht der Soundtrack zu meinem Leben - und das sind auch nicht die Menschen, mit denen ich mich unterhalten kann. Ich interessiere mich nicht für Fußball, nicht fürs Feierabendbier oder die Wii einer Kollegin. Sie interessieren sich nicht für soziale, politische oder psychologische Themen - nichtmal für Elektronik-Scheiß. Wir können auf Arbeit gut zusammen, wir haben manchen gemeinsamen Spaß - aber im Herzen bin ich nicht wirklich dort. Ich bin auch nicht bei den Nadelstreifen-Typen, die sich die Wirtschaftsnachrichten auf Bloomberg-TV reinziehen und schon gar nicht bei den stets aufgedrehten und im Dauerparty-Zustand befindlichen "jungen Aktiven".
Das vermutlich letzte mal, daß ich vorm Radio beinahe geweint hätte, war vielleicht am 1. Mai 1994, eventuell auch ein Jahr später, jedenfalls am 1. Mai. Da lief auf Sputnik (das mir damals schon recht fremd war) eine Sendung, in der Hörer anrufen konnten. Ein gewisser Don Holzapfel moderierte und einmal meldete sich ein junger Mann und erzählte, sein schönstes Erlebnis wäre heute gewesen, daß an einem alten stillgelegten Fabrikschornstein eine rote Fahne wehen würde.
Sowas schlichtes! In seiner Stimme klang irgendwas von Glück - und kein bißchen Randale, Antifa, besetztes Haus oder sonstwas. Da war einer einfach nur wegen einer Fahne glücklich, von der er wußte, daß sie da auch nicht lange hängen wird. Ich saß vorm Radio und spürte kurzzeitig sowas wie Herzenswärme. Sonst wäre mir dieser Moment nicht in Erinnerung geblieben. Ähnliches vermochte die Stimme von Ralf Bieniek bei mir zu bewirken - meist in Zusammenhang mit anrufenden Hörern. Dieser Kulturkreis hat heute keine Stimme mehr. Jeder dreht sein Ding allein.
Radio, das solchen "leisen" Dingen eine Plattform bieten kann, vermisse ich zutiefst.
Damit hätten wir den Radiobezug und vielleicht eine Erklärung für die Leidenschaft (und manchmal auch das Leiden). Aber das ist halt so in veränderten Zeiten. Oder es soll zumindest so sein. Wohl dem, der es zu einer Familie geschafft hat und vermag, dort seine eigene Welt liebevoll zu gestalten. Dann ist auch ein völliges Verweigern der Außenwelt bzw. eine Reduktion auf das absolut notwendige (Arbeiten, Einkaufen) möglich, ohne völlig isoliert zu sein. Ich kenne mehrere Beispiele, bei denen das erfolgreich funktioniert. Die würden nie hier schreiben. Denen ist inzwischen herzlich egal, was im Radio und allgemein draußen vor der Tür passiert passiert. Ich als Single bin leider noch etwas drauf angewiesen.
Also keine Sorge, das wird schon wieder, spätestens bei 25 Grad und Sonne. Mein Badesee evaluiert mich nicht und findet mich nicht uncool. Und deshalb gehe ich dann da auch gerne wieder hin.
Außerdem sind meine Pfleger immer ganz nett zu mir.