Das Problem ist doch eigentlich ganz einfach. Früher war aufgrund der überschaubaren Teilnehmerländer auch die musikalische Bandbreite überschaubar. Es galt irgendwo einen Mittelweg zwischen Italo-Schmalz, französischem Chanson, deutschem Schlager und ein bisschen nordischem Tamtam zu finden. Das ist heute deutlich anders. Während bis zum Fall des eisernen Vorhangs im Schnitt nur zwischen 10 und 20 Länder daran teilnahmen, sind es heute über 40. Da etwas zu finden womit man auch alle begeistern kann, ist ungleich schwerer. Hinzu kommt die damit auch erheblich größer gewordene Bandbreite der Mentalitäten. Das mit einem Lied unter einen Hut zu bekommen, läßt sich nunmal nicht am Reißbrett entwerfen.
Und es kommt auch noch ein zweiter Aspekt hinzu. Während bis in die 90er Jahre hinein die musikalische Bandbreite des ESC doch recht hoch war, sprich mehr auf die musikalischen Eigenheiten des jeweiligen Landes geachtet wurde, ist es heute von ein paar Ausreißern abgesehen im Grunde nur noch entweder Pop oder Ballade. Und das hat auch wiederum viel mit unserem heutigen musikalischen Schubladendenken zu tun, an dem auch das Medium Radio einen nicht unerheblichen Anteil hat. Früher bekam man als Rundfunkteilnehmer eine durchaus umfassende musikalische Sozialisation, denn die Bandbreite reichte eben von Chanson a la Reinhard Mey über diversen Schlagerkram bis hin zu Metal und Punk. Heute ist sowas quasi undenkbar, weil es nur noch Formatprogramme gibt. Zumindest dem musikinteressierten Hörer geht damit auf jeden Fall etwas verloren. Und das spiegelt sich dann halt auch in Wettbewerben wie dem ESC wieder.
Wer produziert im Einheitsbrei den massentauglichsten Song? Ja, klingt böse und ganz so schlimm ist es bei genauer Betrachtung auch noch nicht. Aber darauf wird es irgendwann hinauslaufen. Man braucht sich nur unsere beiden ESC-Siege anschauen. Nicole's "Ein bisschen Frieden" - im weitesten Sinne klassischer Chanson, aus heutiger Sicht vielleicht ein wenig bieder, aber inhaltlich aktueller denn je. Dagegen Lena Meyer-Landrut's Satellite, durchschnittliches Pop-Liedchen welches, zugegeben, gut performt und auch ganz nett war, aber heute, 12 Jahre später, zurecht vergessen ist. One-Hit-Wonder, mehr nicht. Und eben weil es unterm Strich nur noch um die Produktion eines One-Hit-Wonders zum Gewinnen dieses Wettebwerbs geht, traut sich da auch kein namhafter Künstler mehr ran hierzulande. Das Risiko mit einer schlechten Platzierung verbrannt zu werden, ist viel zu groß. Und dieses Problem ist schlicht hausgemacht. Da hat auch der NDR mit seinem Agieren in den letzten Jahren einen Anteil dran, aber eben nicht nur der NDR.