AW: ImE - Interview mit Einspielung
Liebe Mitleserinnern und Mitleser,
der beobachter schrieb:
...
Ich denke, jeder, der strukturiert, systematisch und schnell journalistisch arbeitet, wird mit seinem bisherigen Handwerkszeug einfach schneller sein. Wer's nicht ist, lerne es, denn es schützt vor noch größerer Abhängigkeit, als sie jetzt schon vielerorts vorhanden ist.
Deshalb noch einmal, Padina:
Was bringt mir die Idee, was ich bisher noch nicht habe?
Es gibt viele verschiedene Gruppen mit unterschiedlichen Interessen, auf die sich die Idee - die Verwendung von Verlautbarungen (=Audiostatements) in Sendungen - auswirkt. Ich möchte einige Vor- und Nachteile für die verschiedenen Gruppen kurz anreißen.
1. Gruppe der Politiker und Firmen
Der Politiker erleichtert den gestressten Redakteuren die Übernahme von Verlautbarungen. Solange sein Konkurrenz nicht mitzieht, hat er im Informationsmarkt einen Wettbewerbsvorteil.
Das Ausarbeiten der Verlautbarung dauert länger, da der Redetext kurz sein muss.
Mancher Politiker und manche Firma wird externe Helfer bezahlen müssen.
2. Gruppe der Hörer
Der Zuhörer lernt nach den Jahren der stetig wachsenden Musikalisierung der Radiosender endlich wieder das Zuhören neu.
Der Zuhörer freut sich über das informativere Programm.
---
3. Gruppe der Redakteure
Wegen der Kürze der Verlautbarungen sind auch die dazugehörigen Texte kurz. Sie lassen sich schneller lesen. Damit hat der Redakteur mehr Zeit zum Nachdenken und merkt vielleicht ...
(Only babies love changes.)
Die alten Arbeitstechniken müssen auf das neue Umfeld angepasst werden, da die Einplanung von Verlautbarungen in eine Sendung einen modifizierten Planungsprozess erfordert.
4. Gruppe der Geschäftsführer und Programmdirektoren
Mit dem Senden von Verlautbarungen schmeichelt man den Politikern. Diese machen gern Werbung für den Sender bei ihren Freunden und Geldgebern. Die Akquisition von Werbekunden und/oder Sponsoren wird leichter - insbesondere in Konkurrenz zur Presse.
Der Radiosender kann sich durch sein Informationsangebot deutlicher zum iPod abgrenzen.
Der Sender bekommt ein engagierteres und informativeres Profil, da er viele unterschiedliche Menschen zu Wort kommen lässt. Damit kann er sich gegen die Konkurrenz abgrenzen - zumindest eine Zeit lang.
Mit manchen Sprechern gibt es Stress. Sie sind nicht begeistert, weil sie selbst wegen der Verlautbarungen weniger auf dem Sender zu hören sind. (Auch Sprecher sind eitel.)
5. Gruppe der arbeitslosen Redakteure und Moderatoren
Große Unternehmen, Parteien und Orgasnisationen brauchen Hilfe, um radiotaugliche Statements zu produzieren. Hier entstehen neue Jobs.
---
@der beobachter
Alle Gruppen haben mit unterschiedlicher Intensität ein Interesse daran, dass Verlautbarungen mehr Gewicht bei der Erstellung von Radiosendungen bekommen. Die Vereinfachung des Zugangs zu Verlautbarungen kann dazu führen, dass bisherige "Duddelsender" wieder mehr Wortanteile ins Programm nehmen.
Um investigativen Journalismus zu betreiben, braucht der Redakteur auch in Zukunft vor allem Hirn, Einfühlungsvermögen und gute Kontakte. Hieran verbessert die Existenz von Verlautbrungen nichts - oder fast nichts. In Zukunft wird der Reakteur wegen der kompakten Verlautbarungen wieder genauer auf die Zwischentöne hören müssen. Dies ist aber keine Verbesserung an sich.
Die Idee der Verlautbarungen hat auch einen großen Nachteil. Da viele Menschen darin ungeübt sind, wird in der Anfangsphase die Qualität der Beiträge sinken. Schließlich sind die Menschen unerfahren. Über die Qualität wird es in den Redaktionen Streit geben:
auf der einen Seite die wichtige Gruppe der Qualitätshüter und
auf der anderen Seite die Gruppe der Experimentatoren.
Solange der Streit sachlich bleibt, wird die Qualität des Programm wegen der Zunahme der Vielfalt und der Informationsbreite schnell steigen. Duirch die stärkere Einbindung der Multiplikatoren in das programm werden mittelbar die Werbeeinnahmen zunehmen. Damit steht potentiell mehr Geld für qualitativ guten Journalismus zur Verfügung.
@der beobachter, die Verlautbarungen werden nicht deine Arbeitstechniken verändern, aber sie können helfen, ein besseres Arbeitsumfeld für qualitativ gute Reportagen zu schaffen.
Mit besten Grüßen
Padina