Schöne Zeiten
Natürlich erinnere ich mich auch noch an Carlo v. Tiedemann Zeiten, aber da hat Radio mich noch nicht so begeistert. Das kam erst viel, viel später, als ich schon Kinder hatte - und wie hier ja immer so leicht abfällig geschrieben wird, in diese "Hausfrauenschiene" reingehörte.
Da begann ich aufmerksamer Radio zu hören. Warum eigentlich? Wahrscheinlich weil einem das "Kollegengequatsche" gefehlt hat und man irgendwann keine Lust mehr hat die neuesten Biorezepte und Weisheiten über Zahnklammern mit anderen auszutauschen. Darum ist Radio dann eine Öffnung zur Welt.
Vorausgesetzt die Moderatoren sind gut und nicht auch solche "Mutti-Version" wie man ja selbst eine zu Haus ist.
Jedenfalls begann ich das Radio völlig neu zu entdecken mit Marzel Becker und Stephan Heller als verrückte "hoch2" Moderatoren am Nachmittag.
Was daran so besonders war? Das sie Dinge gesagt und gemacht haben, über die ich nur still für mich nachdachte und plötzlich erkannte "Hey, ich bin ja gar nicht allein mit meiner Meinung. Da gibts ja noch mehr von." Ich fühlte mich vertreten und mehr noch, ich wollte mich einmischen, mitmachen, ergänzen. Und: Das war möglich! Alles war möglich. Irgendwann waren wir soweit, dass meine Beiträge immer mit eingebaut wurden und ich merkte mit großem Erstaunen - niemand erschlug mich deswegen oder grüßte mich nicht mehr oder schlug mir eine Scheibe ein. Das machte mich mutiger und wir haben gemeinsam völlig verrückte Dinge ausgeheckt. Das wirkte sich auf mein übriges Leben aus. Schritt für Schritt wagte ich Dinge, die ich mir nie zugetraut habe. Entdeckte meine Fähigkeit zu schreiben und was man daraus alles machen kann. Übernahm den Vorsitz in einer Elternvereinigung, leitete Sitzungen, hielt öffentliche Reden, lernte mit der Presse umzugehen und bin bis heute politisch aktiv in verschiedenen Gremien tätig. Das alles nicht geplant, sondern es ergab sich einfach so und immer wenn eine neue Herausforderung wartete, vor der ich mich fürchtete, - erstmal schnell ein Hilferuf in den Sender "was soll ich machen?" und die prompte Antwort "Du schaffst das, da sind wir ganz sicher." - Es gab auch manch turbulente Zeit dazwischen, aber das ist jetzt unwichtig.
Ich kann mich auch noch an ein Erlebnis erinnern, als ich dringend ins Krankenhaus gemusst hätte, es ging mir ziemlich schlecht, aber ich saß hinter dem Steuer und in einem Stau. Und die Rettung waren Marzel und Stephan, ich habe mich so sehr auf die Sendung konzentriert und die Zähne zusammen gebissen und es am Ende geschafft. Solche Bindungen können sicher nur entstehen, wenn die Moderatoren in ihren Sendungen leben, ihre Hörer wahr nehmen und nicht einfach nur etwas "vormachen". Dann geben sie etwas, bekommen von den Hörern aber auch jede Menge zurück.
Ich habe gelernt sehr genau hinzuhören und winzige Nuancen zu unterscheiden. Radio ist für mich immer noch etwas Besonderes, aber das Einmalige von damals leider nicht mehr. So richtig glücklich bin ich nicht, dass beide inzwischen Programmdirektor sind und alles von einer ganz anderen Warte aus sehen, aber man kann die Zeit nicht anhalten.
Gelernt habe ich aus der Zeit ihrer Sendungen etwas sehr wichtiges. Es ist ganz egal ob jemand Hausfrau, Präsident, Schauspieler, Moderator, Superstar oder sonstwas ist, wenn man sich menschlich versteht, braucht man vor niemandem Angst zu haben - schade nur das man nicht immer die Gelegenheit hat, alle kennen zu lernen, bei denen es sich lohnt.
Es grüßt die Indianerin, wieder einmal mit zu langem Text, aber es sind doch immer die Geschichten, die die Namen dahinter lebendig machen - in diesem Fall eben Marzel und Stephan .