AW: Megapeinlich: werden Sprecher heute überhaupt noch ausgebildet?
Um zunächst noch mal zur Eingangsfrage des Threads zurückzukommen:
Den "klassischen" Sprecher mit Stimmbildung, gemäßigter Standardlautung, fundierter Ausbildung in Leselehre (Betonung, Pausologie, textsortenspezifische Präsentation) und umfassendem Allgemeinwissen, den werden wir in den nächsten Jahren leider endgültig beerdigen können. Die Fossilien turnen aber noch auf den Sendern herum und die wirklich guten davon haben immer noch Referenzqualität, an der man/frau sich auch schulen könnte, wenn man/frau nur wollte. Allein: Es ist kein Wert mehr, lautrein zu artikulieren, im Gegenteil. Mir sagte einmal ein federführender Kopf eines ARD-Senders in der Mitte Deutschlands: "Der klassische Rundfunksprecher ist für die meisten Hörer mittlerweile ein Ausschaltimpuls!". Verblüfft verließ ich - reduziert auf meine wahre Größe als "Ausschaltimpuls" - das Büro des Anstaltsoberen. Und dunkel ahne ich: Der Mann hat vielleicht recht...
Unser Sprecherteam (immerhin mal 40 Leute) wurde vor 5 Jahren aufgelöst und als Spartensprecher den einzelnen Wellen und Redaktionen zugeordnet. Eine übergreifende permanente Kontrolle und Weiter-Schulung durch einen Sprecherzieher fand von diesem Augenblick an nicht mehr statt. Manche KollegInnen haben sich dann gegenseitig sprecherzieherisch verarztet und sich in stillen Stunden vorgelesen...klingt gemütlich, ist aber grausam, vor allem für einen auf Feedback angewiesenen Berufssprecher, der wirklich sein Referenz-Niveau halten will.
Auch die hehre Instanz der "Mikrofonprobe für potentielle Nachwuchssprecher", durchgeführt durch einen Sprecherzieher und den Chefsprecher, gibt es -zumindest hier bei uns - nicht mehr. Tempi passati...
Die Aussprachedatenbank der ARD (adb) ist eine Entwicklung des Sprecherteams an unserem Sender. Als wir das Teil damals erfanden - in den 80ern -, glaubten wir natürlich noch nicht daran, dass die gesamte ARD incl. Tagesschau (und weitere Sender) sie mal als verbindlich ansehen würde(n). Heute wird die adb permanent gepflegt und fast rund um die Uhr aktualisiert.
Zugriff hat jeder, bei dem sie in Redaktion und/oder Studio auf dem PC liegt. Die Begriffe werden einem sogar als Audio-file vorgelesen (in mühevoller Kleinarbeit von uns eingesprochen)
Nur: Man kann die Nutzung nicht ins Grundgesetz schreiben. Und oft bleibt tatsächlich nicht mal die Sekunde, um in der adb zu recherchieren, wenn's Allgemeinwissen das Wissens-Loch nicht abdeckt.
Egal ob Berufssprecher oder Fach-Moderator: Es wird immer Fehlaussprachen geben, der eine kennt Kurt Cobain nicht, der andere hat noch nie was von Loic Bertrand (na?),
Adrien Boieldieu (wie?) oder Hans Newsidler (hmmm...) gehört. Üben wir etwas mehr Nachsicht, auch wenn wir uns in unserem Fachwissen mal verletzt fühlen. Auch der größte Radio-Crack baut mal Sch...und eine Scha'nies Schopp'läää wird auch in Zukunft genauso vorkommen wie ein Älben Börk.
Respect!
Onkel Otto