Hallo Kaninchenbau,
das ist ein sehr komplexes Thema und da will jede einem schnell in den Sinn kommende Antwort gut überlegt sein.
Zunächst zum Aspekt Themen, die wegen Kunden den Weg ins Medium finden.
Hast Du früher mal bei einer (Lokal-)Zeitung gearbeitet Kaninchenbau? Bei den meisten ist es ganz normal, dass dort guten Anzeigenkunden auch mal ein redaktioneller Bericht geliefert wird. Das Autohaus, dass den Frauen-lernen-Reifenwechseln-Kurs kostenlos anbietet, bekommt ein Foto mit schönem Text und bucht dafür bei der nächsten Sonderseite zwei Spalten dreifarbig. Ist daran etwas schlimm? Nein, denn so funktioniert das System. Doch, denn normativ betrachtet, gelangt das Thema nicht durch den Informationsgatekeeper Journalist ins Blatt, sondern durch die Anzeigenabteilung. Soweit so einfach.
Im Radio und im Fernsehen, bei landesweiten und nationalen Medien ist es genauso, aber wo liegt die Grenze? Was ist Schleichwerbung, was ist Werbebotschaft im redaktionellen Bereich? Die Meßlatten liegen je nach Medium, zuständiger Medienanstalt und örtlichen Gepflogenheiten ganz unterschiedlich hoch oder tief. Jump erzählt uns gerade bei der neuen Promotion, dass "natürlich mit Schuhmann-Reisen" nach Oslo oder Sizilien gereist wird. Und das ohne Werbetrenner in diversen Moderationen. Schlimm? Wohl nicht schlimmer als das "Wetten dass" Schleichwerbung für "Disneyland Paris" macht. Aus meiner Sicht für öffentlich-rechtliche Sender aber trotzdem ein Tabu.
Ein zweiter Aspekt ist, dass Themen u.U. fallen gelassen oder modifiziert werden, um Kunden oder mächtige Personen nicht zu verärgern. Das ist eine schlimme Sache, aber hier muss sich jeder tief in die Augen schauen und sehen, wo seine Grenze ist. Es fängt u.U. ganz klein an. Z.B. habe ich erlebt, wie in einem öffentlich-rechtlichen Informationsprogramm eine Meldung über den eigenen Intendanten vom Wellenchef persönlich modifiziert wurde. Er fügt nur die akademischen Grade des Intendaten hinzu. Ein Tor der böses dabei denkt? Normalerweise galt bei der Welle die Regel: alle Prof. oder Dr.-Titel (außer bei Interviews mit Sachverständigen von Universitäten) bei genannten Personen werden ausnahmslos weggelassen. Der Intendant ist aber eine öffentliche Person medienpolitischer Dimension, der so die Vorteile des eigenen Mediums nutzt, um seine Person öffentlichkeitswirksam aufzuwerten. Das ist ein lächerlich kleiner Fall und jeder kennt sicher einen schlimmeren Verstoß gegen journalistische Grundsätze. Jeder muss sich also fragen, was finde ich ok und was finde ich zwar nicht ok, aber mache ich, weil es mein Chef mir "befielt". Diese Einstellung ist zwar ethisch betrachtet gefährlich, aber pragmatisch. Sind wir mal ehrlich, wenn man auf jedem Standpunkt beharrt und bei jedem Idealverstoß gleich mit den Lokführern daher-argumentiert, die nur die Züge nach Dachau gefahren haben, dann kann man nicht mehr arbeiten. Alles eine Frage der Verhältnismässigkeit. Und wer selbst in eine Führungsposition aufsteigt, wird schnell feststellen, dass man mit "Totalverweigerern" schlichtweg nicht arbeiten kann und man Mitarbeiter braucht, die auch einfach mal unerklärt ein über Klüngel zustande gekommenes Thema machen, obwohl man dafür keinen Preis von der Ethikkommission bekommt.
Dritter Aspekt: Selbstverständnis. Wenn ich heute im kommerziellen (private und kommerziell ausgelegte ö.r.) Musikradio tätig bin und das Selbstverständnis eines Journalisten habe, dann habe ich sicher nicht das Selbstverständnis eines Günter Wallraff. Ich persönlich habe auch einen Journalistenausweis, sehe mich aber als Unterhalterin. Radio (abgesehen von News/Info-Sender) unterhält maßgeblich und das gut zu machen ist eine Profession, die ein professionelles Selbstverständnis bilden sollte. Komischerweise wollen sich alle Journalisten nennen und nicht Showmaster, Entertainer oder Promoter. Wahrscheinlich hat sogar "Deutschland sucht den Superstar" eine Redaktion mit Redakteuren, obwohl keiner von denen klassischen Journalismus betreibt.
Langer Rede kurzer Sinn:
- Ja es gibt Mißbrauch, aber er stört nicht unbedingt die Beteiligten oder die Aufsichtsgremien.
- Jeder muss selbst wissen, welche Grenze er bei sich selbst ansetzt und sich den entsprechenden Job suchen. Wer zuviele Ideale hat, läßt den Fuss besser draußen aus den professionellen Medien.
- Hilfreich ist es zu überlegen, was man eigentlich für ein Selbstverständnis hat und ob man es vielleicht mal aktualisieren sollte.
Denkt sich ganz privat persönlich für sich selbst die Jasemine.
PS: ich habe den für journalistische Ideale und ihre praktische Umsetzung in der täglichen Arbeit wichtigen Aspekt (US-)Propaganda im Agentur- und Nachrichtenjournalismus ausgelassen, denn er sprengt den Rahmen und wird schon an anderer Stelle im Forum diskutiert.
<small>[ 11-02-2003, 21:00: Beitrag editiert von Jasemine ]</small>