AW: Radio früher und heute – Rückblick und Zukunft
Daß das "gute,alte" Radio damals hatte in punkto (ich nenne es mal so) Gewissenhaftigkeit und Fülle der Information schon etwas.
Aber schon vor dem zweiten Weltkrieg gab es zwei Fronten: Das der sogenannten "öffentlich-rechtlichen" wie die der BBC oder der frühen AVRO in NL. Oder dem später staatlich kontrollierten Radio in Deutschland. Belgien und Frankreich hatten auch Privatsender erlaubt. Und über diese -und dem später aus einer Amateurfunkerlizenz entstandenen Radio Luxembourg auf Langwelle (zunächst)- strahlte die IBC (International Broadcasting Company) englischsprachige Programme nach UK ein (auch über spanische Sender und dem gerade unabhängig gewordenen Irland -aus Athlone-)
Diese (über Radio Normandy) und Radio Luxembourg galten in den Spätdreissigern bereits als "Piraten". Die Sender wurden offiziell boykottiert und mussten sogar eine eigene Zeitschrift herausgeben ("Radio Times").
http://www.sterlingtimes.co.uk/RADIO_NORMANDY.htm
Dann kam der zweite Weltkrieg und ab 1945 entschlossen sich praktisch alle Staaten für ein mehr oder minder öffentlich-rechtliches Modell. Was dazu führte, daß es in Belgien keine Privatstationen mehr gab.
Das vor dem Krieg beliebte "Radio Kerkse" aus Antwerpen wurde dann Ende 1962 durch den kurzen Versuch, offshore zu gehen, durch "Radio Antwerp" von der Uilenspiegel wiederbelebt.
Frankreich behalf sich anders und "lagerte" Privatstationen aus- und um das Land. Dazu gehör(t)en Radio Europe, RTL, Sud Radio (Andorra) und auch Monte Carlo. Der Staat war/ist überall mit daran beteiligt.
Grund der allgemeinen Ablehnung für Privatsender: Man wollte Einzelpersonen (für die man die Betreiber eines Privatsenders ansah) nicht Macht und Einfluss auf Hörer geben - abschreckendenstes Beispiel war die Kontrolle des Hitler-Regimes über das Medium Radio....
Was alle aber irgendwie nicht auf ihrer Kalkulation hatten, war die Musik und der einsetzende "Pop"- zunächst ab 1955 mit dem Rock'n Roll. Alle Sender damals besassen weder eine horizontale Programmierung noch ein (irgendein) Format. Da lief alles wild durcheinander von Operette, Blasmusik, Volksliedern (!), Chören, Konzertübertragung, dem hauseigenen Rundfunkorchester und und... "Pop" gab es eine halbe bis maximal zwei Stunden PRO WOCHE: So die Situation in England bis März 1964...
Und diese Situation war unhaltbar. Bis auf das nachts herein- und herausfadende Radio Luxembourg gab es NICHTS im britischen Äther, was an Pop erinnerte. Und Luxembourg hatten sich die vier führenden britischen Plattenlabels an Sendezeit unter sich aufgeteilt: Also auch nichts mit neuen Gruppen und Plattenfirmen....
Das düstere und dunkle dieser Zeit war der "Bildungsauftrag", der erhobene Zeigefinger im Programm, Unterhaltung oder gar Pop "igitt". Nur schwer dosiert... Und private Sender? Bloß nicht! Da würde der Weltuntergang nicht weit sein.
Und so kam es, wie es kommen musste: Erst in Skandinavien und NL (kurzzeitig Belgien), aber dann massiv (weil gut auf Mittelwelle hörbar) kamen die offshore-Sender. Und was brachten sie mit? Frische Moderation, lebendige & schnelle Präsentation, Jingles, sie kreiierten Hits, ebneten neuen Gruppen den Weg (man erinnere sich an "swinging London" und die "british music invasion" in den USA: Ohne die offshore-Sender undenkbar.)
Es wäre früher oder später dazu gekommen: Denn es gab einfach keine Lizenzen für neues, innovatives Radio und die etablierten Radiosender sendeten einfach am Geschmack der Jugend vorbei. Die offshore-Stationen waren eine unausweichliche Folge des post-war-babybooms und sie spielten nur Musik, Musik, Musik (Pop!). Etwa ein Verbrechen?
Erst spät besannen sich dann -beispielsweise in DL- die öffentlich-rechtlichen Sender und führten nach und nach ihre "dritten" Wellen ein: Zunächst als Servicewellen, aber mit einer Prise Pop.
Damals -1964 bis 1974- war die Existenz jener legendären offshore-Stationen notwendig und in meinen Augen (und Ohren) legitim. Und überfällig, sonst hätten wir heute noch das verschnarchte, verstaubte und mit einem zum Weinen anmutenden "Musikprogramm" ausgestatteten Dampfradio-Rundfunkstationen...
Der Blick auf damals verklärt vieles. Ich glaube nicht, daß sich jemand von uns HEUTE sich ein Programm des hr aus dem Jahre 1964 nochmal antun würde. Zumindest nicht freiwillig....