Zwischenrufe von der Baustelle
Sie halte nichts davon, laut zu gackern, bevor etwas ausgebrütet sei, hat Dagmar Reim immer wieder gesagt. Nach 100 Tagen im Amt und nach dem Dienstantritt ihres neuen Führungsteams nimmt die RBB-Chefin Stellung zu den drängenden Fragen des auf Berlin und Babelsberg verteilten Senders: Personalabbau und wirtschaftliche Verfassung, Rundfunkgebühren, künftiges Programmprofil und die Rolle in der ARD. Das Gespräch führte Albrecht Thiemann.
Frau Reim, als Sie im März zur Intendantin des aus ORB und SFB entstandenen Rundfunks Berlin-Brandenburg gewählt wurden, haben Sie gesagt, Sie strebten vor allem eine "emotionale Fusion" der beiden Anstalten an. Wie weit ist die innere Einheit zwischen Potsdam-Babelsberg und Berlin-Charlottenburg während der ersten 100 Tage im neuen Amt gediehen?
Reim: Es wäre vermessen, wenn ich mir das Ziel gesetzt hätte, die emotionale Fusion innerhalb von 100 Tagen erreichen zu wollen. Wir haben ja bereits bei der uns geschenkten deutschen Einheit feststellen müssen, dass sie nicht innerhalb von fünf Jahren zu realisieren ist: Im 14. Jahr der Einheit müssen die beiden Betriebsteile des RBB in Berlin und Potsdam ebenso zusammenwachsen wie Restdeutschland. Wir sind heftig dabei, und ich sehe, dass wir das gut schaffen werden.
Die Stimmung ist alles andere als entspannt: Die Zahl der festangestellten Mitarbeiter muss von jetzt 1750 auf 1400 reduziert werden, wenn der RBB seine Personalkosten an den ARD-Durchschnitt - rund ein Viertel des Gesamtetats - anpassen will; den (oft programmtragenden) freien Mitarbeitern der Kulturwellen im Hörfunk wurde bereits gekündigt. Wie soll da jener Aufbruchsgeist entstehen, den Sie sich so sehnlich wünschen?
Reim: Zwei Dinge vorab: Ob wir bei 1400, bei 1500 oder bei 1480 festen Mitarbeitern landen werden, das wissen wir noch nicht. Zunächst müssen wir genau ermitteln, was wir in Zukunft bezahlen können. Zu den freien Mitarbeitern der Kulturwellen: In der Tat haben alle 140 eine so genannte Beendigungsmitteilung bekommen. Also keine Kündigung. Der Grund dafür: Wir können jetzt noch nicht abschätzen, wie viele dieser Mitarbeiter künftig beschäftigt werden können. Denn aus Radio 3 und Radio-Kultur wird eine neue Kulturwelle entstehen, die in einem halben Jahr auf Sendung gehen soll. Dann werden wir 18 statt 30 Stunden für eigene Programmbeiträge zur Verfügung haben. Von einigen wenigen Mitarbeitern werden wir uns deshalb trennen müssen. Aber wir denken doch nicht im Traum daran, alle vor die Tür zu setzen. Das wäre absurd. Dass wir die Betroffenen vorab nicht zu einer Versammlung gebeten haben, um über die Problematik zu informieren, war allerdings ein Fehler.
Noch einmal - wie wollen Sie die Belegschaft für den Umbau motivieren?
Reim: Selbstverständlich haben viele Menschen Angst vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes. Das will niemand banalisieren. Andererseits sehen wir überall in der Gesellschaft große Umbrüche. Wenn ich die Situation mit dem vergleiche, was Menschen in der Metallindustrie, im Einzelhandel oder in der Werbebranche erleben, so genießen die Mitarbeiter des RBB nach wie vor ein hohes Maß an Sicherheit. Zumal ich hoffe, den unerlässlichen Personalabbau ohne das Mittel der betriebsbedingten Kündigung organisieren zu können.
Ein weiterer Grund für die Verunsicherung liegt in widersprüchlichen Auskünften zur wirtschaftlichen Verfassung des RBB. Während Ihr Potsdamer Vorgänger Hansjürgen Rosenbauer betonte, der ORB bringe 145 Millionen Euro eigenes Kapital und 60 Millionen Euro liquide Mittel in die Ehe ein, und auch SFB-Chef Horst Schättle die finanzielle Solidität seines Hauses beschwor, gibt es Modellrechnungen, die für den RBB im Jahre 2008 einen Schuldenstand in Höhe von 110 Millionen Euro prognostizieren.
Reim: Für uns gilt keine dieser Rechnungen. Warum? Die beiden fusionierten Häuser hatten das Interesse, gute Bilanzen zu übergeben. Wir müssen unser Augenmerk jetzt auf die Risiken und Gefahrenpunkten richten. Zum Beispiel müssen wir kalkulieren, was es bedeuten würde, wenn 2005 keine oder nur eine geringe Gebührenerhöhung käme. Unsere Aufgabe ist jetzt, emotionslos und sachlich den tatsächlichen Zustand zu bilanzieren und realistische wie notwendige Sparszenarien zu ermitteln. Wir arbeiten gerade daran, die beiden Wirtschaftspläne zusammenzuführen.
Lassen sich Finanzbedarf, Sparquote und Schuldenstand des RBB schon beziffern?
Reim: Konkrete Zahlen kann ich leider noch nicht bieten. Sie hängen zum Beispiel vom Finanzbedarf des künftigen RBB-Fernsehens ab. Das neue Programm wird gegenwärtig in verschiedenen Arbeitsgruppen vorbereitet. Die Konzepte werden Ende August vorliegen. Das Ziel der Fusion sind hier mehr Eigenproduktionen und verbesserte Qualität. Dann erst können wir sagen, welche Kosten dort auf uns zukommen werden. Die Erwartungen an den RBB, auch an uns selbst, sind hoch: Er soll Synergien freisetzen und kostengünstiger wirtschaften als die beiden alten Häuser es getrennt konnten, aber er soll auch die Identitätsbildung des Großraums Berlin-Brandenburg begleiten und attraktive Programme bieten. Das bedeutet, dass er seine regionale Kompetenz ausbauen und in die Programme einfließen lassen muss. Die finanziellen Rahmenbedingungen und den Anspruch müssen wir unter einen Hut bringen.
Halten Sie es in diesem Zusammenhang eigentlich für sinnvoll, dass die ARD viel Geld für Sportrechte ausgibt? Allein der Einkauf der Fußballbundesliga wird unter dem Strich zwischen 60 und 70 Millionen Euro pro Saison kosten. Davon muss der RBB künftig im Rahmen der so genannten Gemeinschaftsaufgaben sieben Prozent übernehmen.
Reim: Jobst Plog, der Vorsitzende der ARD, hat zugesagt, dass der Erwerb der Fußballrechte keine Folgen für den Gebührenzahler haben wird. Die ARD zahlt 45 Millionen Euro für die Erstrechte an der Bundesliga: ein günstiger Preis. Weitere 15 Millionen Euro zahlen wir bereits für die Zweit- und Drittrechte, also die Berichterstattung in "Tagesschau", "Tagesthemen" und in den Dritten Programmen. Das Entscheidende ist, dass wir diese Investitionen komplett aus Werbeerlösen refinanzieren wollen.
Viele Beobachter meinen, dass diese Summe über die Platzierung von Werbespots nicht einzuspielen ist. Das würde bedeuten: Der RBB bleibt auf einem Teil der Kosten sitzen. Gleichzeitig gehören Zuschüsse aus dem ARD-Finanzausgleich oder Sonderzuwendungen für Produktionen wie "Tatort" oder "Polizeiruf" der Vergangenheit an. Was machen Sie eigentlich, wenn die von ARD und ZDF beantragte und in der Öffentlichkeit heftig umstrittene zehnprozentige Gebührenerhöhung nicht genehmigt wird?
Reim: Wir werden als RBB auch dann keine Extralasten zu tragen haben, wenn die Werbeeinkünfte unter unseren Erwartungen blieben. Die Differenz würde dann aus dem Sportrechteetat der ARD finanziert. Es dürfen keine Zusatzkosten aus dem Rechteerwerb auf die einzelnen ARD-Anstalten umgelegt werden. Wenn es hier zu Einsparungen käme, dann bei der ARD-Sportberichterstattung. Jetzt zum Thema Gebühren: Eine Gebührenperiode läuft vier Jahre. Die beantragte Erhöhung liegt für den gesamten Zeitraum bei etwa zehn Prozent, im Jahresschnitt aber nur bei 2,4 Prozent. Vor dem Hintergrund der allgemeinen Preisentwicklung ist das keine dreiste, sondern eine moderate Forderung. Derzeit prüft die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) den Antrag. Warten wir also ab. Sollte es keine Anpassung geben, wäre das für große Häuser wie den WDR und NDR vielleicht gerade noch verkraftbar, für den RBB aber würde es richtig eng. Es bliebe nicht ohne Folgen für das Programm.
Kommen wir zu dem, was die 2,8 Millionen Gebührenzahler in Berlin und Brandenburg vor allem interessiert: das Programm. Fest steht bislang lediglich, dass die beiden Fernsehprogramme sowie Radio 3 und Radio-Kultur zusammengelegt werden. Welche Sendungen werden bleiben, welche verschwinden?
Reim: Im Fernsehen bleiben auf jeden Fall "Abendschau" und "Brandenburg aktuell" erhalten. Das heißt: Zwischen 19.30 Uhr und 20 Uhr werden Berliner und Brandenburger in einem regionalen Fenster weiterhin mit Nachrichten aus ihrem jeweiligen Lebensumfeld versorgt. Alles andere steht auf dem Prüfstand. Das Programm wird aber wie bisher eindeutig durch regionale Themen geprägt sein.
Ihrem Fernsehdirektor Gabriel Heim schwebt für das Vorabendprogramm des RBB-Fernsehens (18 bis 20 Uhr) eine "nachrichtenorientierte Boulevardstrecke" vor. Was darf man darunter verstehen?
Reim: Neuigkeiten aus der Region, die wichtigsten Nachrichten aus Deutschland und der Welt, dargeboten mit unterhaltenden, mit entspannenden Elementen: Wie man sich das wünscht, wenn man nach einem anstrengenden Tag in den Feierabend gleitet.
Derzeit wird aber vor allem über den Sandmann geredet.
Reim: Im Mittelpunkt all unserer Programmüberlegungen steht das Zuschauerinteresse. Da können Sie sicher sein. Deshalb arbeiten wir intensiv an einem interessanten Angebot für alle Berliner und Brandenburger.