AW: Seitenhieb auf Sunshine-Live; gerechtfertigt oder nicht?
@Diggerman
Wunderbar, so finde ich das großartig - da macht es Spaß, weiter zu diskutieren. Ich werde nicht ganz so lange schreiben, aber einiges liegt mir auch noch auf dem Herzen. Vielleicht ist es wirklich so, dass ich (und nicht nur ich) Musik zu schnell in irgendwelche Schubladen stecken - Trance, Progressive Trance, Tech Trance (habe ich allerdings in Deinem Post gerade zum ersten Mal wahrgenommen), Psy-Trance, Goa-Trance. Oder auch: Minimal, Mnml, M_nus-Sound, Minimal Techno, Minimal House, Microhouse. Wahrscheinlich bringt uns das gar nicht weiter.
Ich weiß gar nicht, wie lange das her ist, zehn Jahre vielleicht, als ich zum allerersten Mal aufgelegt habe. Ich konnte nicht mixen (manche sagen: kann er bis heute nicht
, war ziemlich angetrunken, es war Love-Parade-Wochenende in Berln bzw. schon Montag früh 4 Uhr. Mein fast zwei Stunden langes Set wurde außerdem im Radio übertragen und ich habe damals auch das gespielt, was für mich nicht mehr Trance, aber auch kein harter Techno war. Irgendwo dazwischen, Progressive House vielleicht. Im Studio haben die Leute angerufen und sich beschwert, dass die Musik zwar gut ist, aber so legt man doch nicht auf. Eine ungewollte Pause entstand, als ich selber getanzt habe und die Platte auslief. Trotzdem: Eine feine Feier. Was ich damit aber eigentlich sagen will: Auch ich habe eine Trance-Vergangenheit, meine mit dem Begriff aber vielleicht etwas ganz anderes als andere. Ganz frühe Sachen, Anfang der 90er - von Paul van Dyk und Cosmic Baby zusammengestellte Sampler wie "Tranceformed from Beyond", die "United Frequencies of Trance", Projekte wie Dance 2 Trance, der Hypnotist oder Resistance D. Wenn man sich die Sachen heute anhört, stellt man fest, dass sie leider nicht so gut produziert klingen, sie sind ein bisschen breiig, aber damals war das absolut neu und, ja, auch aufregend. Aber damals war ja fast alles, was an elektronischer Tanzmusik kam, neu und aufregend. Jetzt, 15 oder gar 20 Jahre später, hat es sich mit dem neu weitgehend erledigt und es ist natürlich auch sehr viel schwieriger geworden, aufregende Tracks zu machen. Trotzdem gab und gibt es immer wieder überraschendes. Minimale Sachen, das klang zunächst in den Ohren irgendwie anders. Hat für mich nie nachts zur Prime-Time funktioniert, aber am frühen Abend, draußen oder zur Afterhour am Sonntag ... großartig. 2 Step fand ich am Anfang ebenso gut (auch wenn ich das nie aufgelegt habe oder hätte), Dubstep, mit der richtigen Anlage und am richtigen Ort, ist der Hammer. Electro-Revival (ich spreche jetzt vom Old-Skool Electro und dem von Westbam mit angestossenen Technolectro) hat mir gut gefallen, weil ich das Gefühl hatte, viele der Geschichten, die Anfang der 80er begonnen hatten, waren musikalisch noch nicht zu Ende erzählt, da musste man sich noch mal richtig reinknien und dann würden auch großartige Tracks rauskommen. So war es dann auch.
Es ist natürlich billig, Trance seine Kommerzialität vorzuwerfen - es ging schließlich um Melodien, Flächen und Musik, die mehr Gefühl zeigte als harter Techno. Trotzdem: Als die Produzenten einen ähnlich klingenden Track nach dem anderen auf den Markt warfen, war es für mich vorbei - Trance ist für mich seitdem zum Klischee erstarrt.
Wie ich ja schon geschrieben habe: Ich habe lange Zeit beim RBB-Jugendsender Fritz gearbeitet, da, wo auch Paul van Dyk nach wie vor eine Sendung hat. Einmal ist er krank geworden, daraufhin habe ich seine Sendung übernommen. Ich schätze Paul sehr, finde, dass er nach wie vor ein sehr netter Typ ist, er kann gut reden und ich glaube, dass er aus seiner Sicht alles richtig gemacht hat. Diese Sendung, die ich zuvor nie so richtig angehört habe, war für mich aber eine absolute Enttäuschung: In den zwei Stunden liefen Mitschnitte von zwei Acts, die auf seinem Label vertreten sind, Giuseppe Ottaviani und entweder Nu NRG (wo GO, glaube ich, auch mitmacht) oder Second Sun, so genau weiß ich das nicht mehr. Mal ganz davon abgesehen, dass sich ein öffentlich-rechtlicher Sender da zur Werbeplattform hat machen lassen, war das musikalisch absolut belanglos. Und ich weiß noch wie ich dachte: Krass, in zehn Jahren hat sich nichts entwickelt. Ich verstehe deshalb auch Paul nicht, dass er immer von "Advanced Electronic Music" spricht, das ist für mich wie Politiker-Neusprech: Man hat Angst vor dem Beiklang, den ein Wort (wie Trance) hat und will es deshalb nicht mehr benutzen.
Warum ich das hier so aufschreibe? Wie gesagt, es macht Spaß, über Musik nachzudenken und zu sprechen oder schreiben, auch über die eigene musikalische Vergangenheit. Es ist aber auch der Versuch, zu erklären, dass meine Kritik an Sunshine Live sich eben nicht auf eine Musikrichtung bezog, sondern auf den Sender als ganzes. Für mich ist das ein ganz normaler Dudelfunk-Sender, ein klassischer Formatradio-Sender, der so klingt, als würde da keine vernünftige Redaktion sitzen, die sich nicht nur mit Musik, sondern auch mit Themen auseinandersetzen kann. Findet da zum Beispiel auch mal etwas Inhaltliches zu Clubsterben, Türstehern, Gewalt, Tankstellenravern, Lautstärke im Club, Lärmbelästigung der Nachbarn, wilde Partys, Drogen, Eintrittspreisen, Vinyl vs. CD vs. MP3, Modetrends, die richtigen Auto-Soundsysteme, Green Disco etc. etc. etc. statt? Wie gesagt, ich habe nur zwei Tage gehört. Aber in diesen zwei Tagen fand nichts inhaltliches statt. Ich habe leider Sunshine Live direkt während und nach der Love-Parade-Katastrophe nicht gehört. Aber mich würde interessieren, wie das thematisiert wurde? Wahrscheinlich (hoffentlich!) gab es extra zum Thema abgestellte Reporter, die das politische Hickhack vor Ort beobachteten? Aber wie lange? Oder beschränkte sich das auf die gut gemeinte, aber unjournalistische DJs-United-Aktion?
Und wenn wir schon beim Inhaltlichen sind: Die Party-Hinweise waren absolut oberflächlich. Ein Game-Hinweis war ganz und gar schlecht - der Moderator hatte keine Ahnung, wovon er da sprach, er las etwas vor, das ihm irgendein Spiele-Nerd aufgeschrieben hatte (und das klang wiederum so, als hätte die Games-Firma es direkt diktiert). Und Eigenwerbung in allen Ehren, aber wie eure neue Sender-Compilation on Air beworben wurde, das war einfach zu viel.
Egal, jetzt soll es auch mal gut sein. Ich wünsche trotzdem viel Erfolg, auch hier in Berlin. Natürlich gibt es hier einen Markt und Radiomachen ist immer besser als nicht Radiomachen