Tagsüber war Radio schon immer ein Tagesbegleitmedium und da stören zuviele Wörter oder unbekannte Songs einfach. Wer will schon die ''Radio Affair'' von Radio Eins mit den Longtracks morgens um 10 Uhr hören, während er gerade irgendwas wichtiges arbeiten muss.
Jene Longtracks in geballter Form müssen ja auch nicht unbedingt im Vormittagsradio laufen. Genau so, wie ein Programm mit zu hohem Wortanteil auf Dauer nicht mehr dem Charakter eines Begleitmediums zum Nebenbeihören entsprechen muss, hätte auch eines mit einer Musikauswahl ausschließlich aus unbekannten Titeln ordentliche Schwierigkeiten. In beiden Beispielen aber scheinen die Entscheidungsträger der deutschen Hörfunklandschaft unsäglich behutsam und bedrohlich ängstlich geworden zu sein, irgendjemanden aus dem Kreise der Nebenbeihörer so sehr zu erschrecken, dass er um- oder abschaltet.
Was bei dieser Praxis hinten rauskommt, lässt sich sukzessive in zwei Extremen zusammenfassen: auf der einen Seite die letzten Bastionen der geistreichen Wort-, Kultur- und Musiksendungen, die zunehmend komplett eingestellt oder wenigstens dorthin verlagert werden, wo man die breite Masse nicht mehr zu erreichen versucht. Auf der anderen Seite die Berechenbarkeit der Hitradios, die zunächst vom Privatrundfunk ins Land gebracht und dann zahlreich auf öffentlich-rechtliche Weise adaptiert wurden. Mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner an Musik, mit dem sich - so wird geglaubt - jeder Einzelne aus dem großen Hörerkollektiv identifizieren kann. Mit Wortbeiträgen, die maximal so lange sein dürfen, dass nicht ein Einziger genug bekommt und das Programm wechselt - sei das Thema noch so interessant, bedürfte es eigentlich noch so vieler Erläuterungen, um einen komplexen Sachverhalt anschaulich darzustellen usw.
Nein, WDR 2 ist noch nicht dort angekommen, wo seichte Gewinnspiele Minimalrotationen und "Flitzer-Blitzer" die "Vielfalt-Vierer" jagen. Doch muss es so weit gar nicht erst kommen, um die Erkenntnis zu gewinnen, in welche Richtung die programmlichen Tendenzen seit Jahren weisen.
Was ich für die öffentlich-rechtliche Radiolandschaft seit langem reklamiere, ist die Wiedereinführung gesunder programmlicher Hybride: aus Wort und Musik, aus Anspruchsvollem und eher Belanglosem, aus Unterhaltendem und Informativem, aus Bekanntem und Neuem, neuem Neuem und altem Neuem............ diese Liste wäre schier endlos fortsetzbar. Doch das Vollprogramm im besten Sinne - mit Gefühl für ein gesamtheitliches Grundniveau - stellt anno 2016 wohl eine zu große Quotengefährdung dar. (Als positive Beispiele dafür, wie man es meiner Meinung nach richtig machen kann, dürfen mal schnell SRF 1 und 3 aus der Schweiz herhalten.)