Ein Versuch, die Argumente zu schärfen
Als dieser Thread vom Ammerlaender gestartet wurde, habe ich ihm innerlich gleich zugestimmt, daß seine Frage mehr als berechtigt ist. Und mir war genauso gleich klar, daß diese – bewußt unbedarft formulierte – Frage auch spöttische Antworten hervorrufen würde.
Wer hier schon eine Weile mitliest, wird wissen, daß mir dieses Thema schon seit langem enorm wichtig ist. Daher möchte ich wenigstens versucht haben, eine fundierte und sachliche Diskussion darüber vom Zaun zu brechen. Wenn auch meine Hoffnungen nicht allzu hoch sind, lasse ich mich gern positiv überraschen.
Ich möchte zunächst mal darlegen, wie ich mir öffentlich-rechtlichen Rundfunk vorstelle. Allem zugrunde liegt der Rundfunkstaatsvertrag, in dem länderübergreifend der Auftrag formuliert ist. Es ist absolut klar, daß in einem solchen Grundsatzwerk nicht die Feinheiten definiert werden können, sondern nur die Richtung vorgegeben werden kann.
Daher müssen für jede Region aus dem abstrakten Auftrag konkrete Ziele für die öffentlich-rechtlichen Wellen abgeleitet werden. Das sollte, ja müßte in eine Übersicht münden, welche Hörerschichten es in der Region gibt und mit welchem jeweiligen Angebot diese bedient werden sollen. Dieses Dokument sollte regelmäßig fortgeschrieben werden und – wichtig! – öffentlich sein.
Und jetzt kommt der allerwichtigste Teil: Die Erfüllung dieser Ziele wird in bestimmten Abständen überprüft, und der Wellenchef muß dem Hörfunkchef, dieser dem Intendanten und jener der Öffentlichkeit gegenüber geradestehen, wenn es Defizite gibt.
Wenn es so liefe, dann würde ich sagen, der öffentlich-rechtliche Rundfunk „gehört“ wirklich der Öffentlichkeit, den Gebührenzahlern. Sie haben ein Recht, zu erfahren, wie „ihr“ Rundfunk die gesteckten Ziele erfüllt, und Nichterfüllung wird so lange an den Pranger gestellt, bis sie abgestellt ist. Selbstredend dürfen in einem solchen Modell die Ziele den Hörern nicht „übergestülpt“ werden, sondern auch die Zielsetzung selbst hat sich dem öffentlichen Diskurs zu stellen.
Und nun kommen wir zu ein paar Anekdoten der Wirklichkeit.
Da darf in einem öffentlich-rechtlichen Funkhaus dem Wellenchef unwidersprochen (!) das alleinige Ziel gestellt werden, die Quoten zu erhöhen. Egal wie, hauptsache höhere Zahlen. Das hat übrigens funktioniert, der Wellenchef wurde belobigt und alle Hierarchen im Funkhaus sind zufrieden.
Wie kann es sein, daß dem Intendanten und dem Hörfunkchef keiner in den Arm fällt, sie schüttelt und ihnen unmißverständlich bewußt macht, daß Quote allein niemals Ziel einer öffentlich-rechtlichen Anstalt sein darf? Warum nur, warum sind sie offenbar keiner Instanz gegenüber rechenschaftspflichtig?
Im selben Funkhaus sprach der Hörfunkchef die Weisung aus, daß eine Welle „jünger werden“ müsse. Als daraufhin drei Sendungen, die irgendwie nicht zu einem jungen Profil (was immer das auch sein soll) passen wollten, entsorgt wurden, gab es zwar Protest, aber die Chefetage gab sich unbeeindruckt.
Wie kann es sein, daß die Chefs offenbar selbstgefällig schalten und walten können, wie sie wollen? Und daß, solange die Quote stimmt, alle Kritik an ihnen abprallt?
In einem anderen Funkhaus wurde eine Welle gegen den Willen des Wellenchefs (!) umgekrempelt, ein Affront sondergleichen. Und mit welcher Legitimation? Eine Hörerbefragung hat ergeben, daß das bisherige Programm „nicht ankommt“. Also wird nun kräftig „optimiert“ und „justiert“. Man muß kein Prophet sein, um vorauszusehen, daß, sollten die Quoten nach oben gehen, diese Entscheider sogar noch sagen werden: „Seht Ihr, wir haben doch alles richtig gemacht!“
Wie kann es sein, daß solcherart Änderung der Zielrichtung einer Welle quasi als „geheime Kommandosache“ abläuft und die Chefs nicht mal ein schlechtes Gewissen dabei haben? Im Gegenteil, man meint, daß die Öffentlich gar nicht zu interessieren habe, was da läuft. Befragungen, Analysen usw werden standardmäßig NICHT veröffentlicht – oder gar, Gott bewahre, öffentlich diskutiert!
In mehreren Funkhäusern werden momentan, wie aufmerksame Leser hier wissen dürften, die Schlager entsorgt. Auch hier geht man mit dieser Änderung nicht an die Öffentlichkeit, sondern macht es leise, still und heimlich. Erstens deutet das, vorsichtig formuliert, nicht gerade auf gute Argumente hin, und zweitens läßt das tief blicken, daß sich die Chefs eben nicht der Öffentlichkeit verpflichtet sehen, der sie nämlich erklären müßten, was sie gerade tun.
Wie kann es sein, daß dieser Arroganz der Macht kein Einhalt geboten wird? Oder, schlimmer noch, diese Arroganz nicht mal richtig wahrgenommen wird?
Ich würde Ammerlaenders Frage mal so umformulieren: Wer hat im öffentlich-rechtlichen Rundfunk die letztliche Entscheidungsgewalt, wie die einzelnen Wellen aufgestellt werden? Dem gehört der öffentlich-rechtliche Rundfunk. Meine Vermutung: Die Intendanten haben überwiegend einen Freifahrtschein und können nach Gusto schalten und walten. Solange die Quoten stimmen.
Nun habe ich mir viel Mühe gegeben, ein paar Dinge, die mir wichtig sind, aufzuzählen. Als Blitzableiter für allzuschnelles Abtun oder absichtliches Mißverstehen, was die von mir erhoffte inhaltliche Diskussion gleich wieder auf Nebengleise führen würde, möchte ich lieber noch ein paar Sachen klarstellen.
– Ich spreche ausdrücklich nicht öffentlich-rechtlichen Wellen die Existenzberechtigung ab, die „einfache Schichten“ ansprechen wollen. Auch diese Schichten haben selbstverständlich ein Recht, bedient zu werden.
– Bitte eine Forderung, Sendungen anzubieten, die vom Mainstream abweichen, nicht absichtlich als Forderung mißverstehen, die eben skizzierte Welle einzustellen oder entsprechend abzuändern. Also bitte nicht Gegensätze oder Widersprüche aufbauen, wo gar keine sind.
– Ich habe auch nichts prinzipiell gegen „Berater“. Sie können gern analysieren und Änderungen vorschlagen. Aber was soll die Geheimniskrämerei dabei? Warum sagt kein Sender öffentlich „Wir haben uns Hilfe von XYZ ins Haus geholt, um folgende Probleme, die wir identifiziert haben, zu lösen...“?
– Bitte auch nicht „Argumente“ der Art bringen: „Wenn alle Sender das so machen, werden sie sich schon was dabei gedacht haben. Analysen haben gezeigt, daß Musikrichtungen XYZ nicht mehr ankommen.“ Solche grundlegenden Aussagen gehören öffentlich behauptet – und bei Widerspruch verteidigt! Her mit den Analysen, und vor allem her mit den genauen Fragestellungen sowie der befragten Population. Nur auf der Grundlage von solchem Wissen kann man nämlich beurteilen, ob das Richtige getan wird.
So, und nun bin ich gespannt, ob hier noch jemand Lust zu wirklichen Diskussionen hat.