Objektiver Journalismus?

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radiogoethe

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Vor ein paar Wochen war ich in ein Gymnasium in Bad Windsheim eingeladen, um dort ueber meine Arbeit als Korrespondent zu reden (http://blog.nz-online.de/peltner/2012/03/18/journalismus-fair-and-balanced/) und eben auch ueber meine Reisen in Krisengebiete. Irgendwann wurde ich gefragt, ob Journalismus objektiv sein koenne...
Schwierige Frage, die mich seitdem beschaeftigt. Ich habe verneint, denn schon die Themenauswahl ist ja subjektiv. Man koenne versuchen ausgewogen und sorgsam zu arbeiten, habe ich geantwortet.
Aber eigentlich geht es ja um mehr. Die Medien werden immer wieder beschuldigt nicht "objektiv" zu sein, doch sind es denn die Leser, Hoerer oder Zuschauer? "What bleeds leads" ist eine alte Weisheit in den Redaktionen, doch die Mediennutzer verlangen es doch auch, oder? Krisen, Kriege, Katastrophen verkaufen sich einfach besser.
 
Die These, daß der gemeine Medienkonsument sich nur für Sex und Gewalt interessiert, halte ich für völligen Unfug. Ein großes Unglück, ein Amoklauf etc. pp. sind aber ganz normale Einschaltgründe, eben weil sie selten sind und nicht häufig vorkommen. Wobei hier selbstverständlich zwischen 1.000 Toten bei einem Vulkanausbruch irgendwo am Popo der Welt und 30 Toten bei einem Busunfall innerhalb Deutschlands unterschieden werden muss. Mit den Verunglückten im Bus kann man sich halt eher identifizieren. Wer saß noch nie in einem Reisebus? Das haben Alle schon mal erlebt. Jedoch, da irgendwo unterhalb vom Vulkan...?

Mal von diesen Ausreissern abgesehen sind Menschen vor allem für das empfänglich, was sie direkt betrifft. Ich hatte dazu erst gestern ein verblüffendes Erlebnis, als ich in einem kleinen Blog über eine Protestaktion berichtete. Mit ein paar Handy-Fotos. Die Klick-Raten waren unfasslich. Was hatte ich anders gemacht? Ich war schnell! Die Konkurrenz war sehr viel langsamer, hatte sich Zeit gelassen, ein Video gedreht, das Fernsehen kam auch viel später... Ich habe gelernt: Schnell einen Text hingerotzt, und möglichst viele Bilder. Und schnell muss es gehen! Dann braucht es auch kein Blut. Jeder kann heute der Info-Held sein.
 
@radiogoethe
Ich glaube, Du liegst richtig. Allerdings soll ein Journalist auch gar nicht "objektiv" sein, weil darin ja schon der Anspruch einer irgendwie messbaren "Objektivität" steckt. Ich glaube, der Journalist soll , muss und darf subjektiv sein, indem er seine Subjektivität transparent und nachvollziehbar macht. Der berichtende Korrespondent ist schließlich kein empfindungs- und erfahrungsfreier Roboter, sondern ein Mensch.
 
Ich kann wohl mit Fug und Recht für mich in Anspruch nehmen, politisch überdurchschnittlich gut informiert zu sein. Dennoch habe ich erst heute erfahren, daß bei der Wahl zum Bundespräsidenten drei (!) Kandidaten zur Wahl standen und nicht, wie in den letzten Wochen von den Medien vermittelt, nur zwei.

Objektiver Journalismus ist was anderes. Und dies verstärkt meinen Eindruck, daß die deutschen Journalisten in ihrer überwältigenden Mehrheit an solchem gar kein Interesse haben, sondern vielmehr ihre persönliche Agenda verfolgen.

Warum sollte man das Publikum auch informieren, wenn man es doch indoktrinieren kann?
 
Jeder Journalist ist irgendwie subjektiv, auch wenn er sich um Objektivität bemühen sollte.
Es gibt genug, die sichtbar und hörbar Lobbyismus betreiben und sich trotzdem Journalist nennen.

sex & crime sells trifft nur dann zu, wenn es um TV und Printprodukte geht- deren Auflagezahlen bzw. Einschaltquoten.
Im Radio hat es noch keinen Einzug gehalten und bringt keine Steigerung des Hörverhaltens.
Boulevardeske Themen sind damit nicht gemeint, diese eingestreut ist durchaus ok.
 
Ich stimme da radiogoethe und Mannis Fan zu: Ein Journalist kann nie "objektiv" sein. Bereits bei der Selektion fängt die (notwendige) Einschränkung der Themen an. Da spielen sog. Nachrichtenfaktoren wie Nähe, Überraschung oder auch Negativität eine Rolle. Aber auch persönliche Präferenzen und Interessen eines Redakteurs ("Gatekeeper-Effekt"). Das ist absolut natürlich, menschlich und in meinen Augen auch nicht weiter schlimm. (Sich bemühen, "ausgewogen und sorgsam zu arbeiten" sollte trotzdem jeder Journalist!)
Ein einzelner Journalist kann niemals objektiv und Mensch zugleich sein. Da ist es dann Aufgabe der gesamten Redaktion, sich gegenseitig "auszugleichen" und auch Aufgabe des Rezipienten, nicht alles unreflektiert zu "glauben". Das hat nicht zwingend etwas mit schlchtem, unsauberem oder gar Lobby-Journalismus zu tun.
 
@Radio4u: "Die These, daß der gemeine Medienkonsument sich nur für Sex und Gewalt interessiert, halte ich für völligen Unfug."....da widerspreche ich Dir ein bisschen. Nicht nur, aber es ist eher ein Einschalt- und Lesegrund. Natuerlich gibt es Ausnahmen, wie Du auch beschreibst.
Aber den "objektiven" Nutzer gibt es eben auch nicht. Das sehe ich auch an den Klickzahlen meines US Blogs. Die Themen kommen an und werden auch kommentiert, die die komischen und seltsamen, skurilen und abgefahren Geschichten aus Amerika bringen. Das passt ins Bild eines subjektiven Empfindens ueber Amerika.

@laser558: Sex & Crime sind schon lange im Radio angekommen. Hoer Dir doch nur mal die Nachrichten der Privaten an? Und auch in meiner Zeit als Morgenreporter in Nuernberg habe ich diese Erfahrungen gemacht....wobei Nuernberg zum Glueck nicht so das heisse Pflaster fuer einen Polizeireporter ist.
 
Ich kann dem nicht zustimmen. Boulevardeske Themen ja, aber mit sex und crime wird auch bei privaten Sendern nicht auf eine Quote geschielt. Nicht in den Nachrichten.
Es gibt Sender in Hessen und München, die als erste drei Spitzmarken Lokalnews als Aufmacher haben, das war es aber.
 
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