Griechische Regierung schließt ERT

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Da Zwerg ziemlich wenig über die Senderschließung in Griechenland, dafür ziemlich viel über seinen Sozialfrust geschrieben hat, kehre ich hier wieder zum Threadthema zuück und empfehle die Lektüre des hier verlinkten Artikels aus der Badischen Zeitung. Geschrieben von Gerd Höhler, einem Griechenland-Kenner, der seit Jahren dort lebt und von dort schreibt, und der wohl besser als die Mehrheit der hiesigen Foren-Mitglieder einschätzen kann, wie es um diesen so unverzichtbaren Staatssender wirklich bestellt ist:
http://www.badische-zeitung.de/ratgeber/computermedien/sendeschluss-um-mitternacht--72708956.html
 
@ Mannis Fan:
Danke für den Link, aber viele Passagen des Artikels lassen sich (mit anderen, größeren) Zahlen durchaus auf die Anstalten des öffentlichen Rechts in der BRD übertragen.
 
@Ammerländer

Aber sicher, diese Analogie ist es ja gerade, die ich so spannend finde. Es läuft nämlich auf die Frage hinaus: Wenn ernsthaft gespart werden muss, auf was (welche überflüssigen, zu teuren, ineffizienten, in privaten Aklternativen vorhandenen Angebote) kann ein Staat dann leichten Herzens verzichten?
 
... Geschrieben von Gerd Höhler, einem Griechenland-Kenner, der seit Jahren dort lebt und von dort schreibt, und der wohl besser als die Mehrheit der hiesigen Foren-Mitglieder einschätzen kann, wie es um diesen so unverzichtbaren Staatssender wirklich bestellt ist:
http://www.badische-zeitung.de/ratgeber/computermedien/sendeschluss-um-mitternacht--72708956.html

Wenn man in diesem Artikel über die zu großen Reedereien und Baufirmen gehörigen, privaten Medienanstalten in Griechenland liest, rückt im Falle eines Falles eine Art "Fraport-TV" durchaus in die Reichweite des Möglichen.
 
Hab mal versucht, die Hörer- und Zuschauerzahlen herauszufinden... Für's Fernsehen war das relativ einfach, die ET-Sender belegten gewöhnlich die Plätze 6, 7, und 8 auf der Rangliste nach wöchentlichen Marktanteilen. Die zwei größten Privatsender hatten beide jeweils einen höheren Marktanteil als alle drei öffentlichen Sender zusammen. (Quelle: http://www.agb.gr/gr/data/)

Für die Radioprogramme... die Einschaltquoten scheinen hier abrufbar zu sein: http://www.focus.gr/default.asp?id=300310068&lcid=1032 Für Thessaloniki werden zwei ERT-Programme aufgeführt (ERT 3 auf 95,8 mit 1,9 % und auf 102 MHz mit 2,2 % Tagesreichweite, demnach Platz 19 und 20 unter den aufgelisteten Sendern), für Attika keiner... aber was das alles zu bedeuten hat, darüber kann ich nur spekulieren. :D Griechisch müsste man sprechen können...
 
Das sind Aufrufe des Streams über diese eine Website.

Wie üblich grandios recherchiert, chapri.
 
Was hat das mit der Frage zu tun, ob das willkürliche Abschalten einer öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt nun gerechtfertigt ist oder nicht? Rechtfertigen niedrigere Quoten das Abschalten? Oder sprechen sie für ein hochwertiges Programm, das aber nicht so viele erreicht? Weiß grad nicht, in welche Richtung diese Debatte läuft.
 
Es spricht meines Erachtens mehr für eine gewisse Unabhängigkeit (nicht nur auf dem Papier), denn wäre es "Verlautbarungsfunk", die Machthaber bzw. das Kapital Griechenlands hätte garantierft kein Interesse an der Abschaltung aller Rundfunkprogramme, können sie doch jedes Sprachrohr gebrauchen. Falls ihr gestern "quer" sahet: Im "Gespräch" Süß, Seehofer und Ude ganz zum Schluss wurde das Problem ganz gut, wenn auch am Beispiel des Bayerischen Rundfunks, und hier besonders "quer" dargestellt: Zu kritische Aussagen = keine Daseinsberechtigung = kein Geld = schwarzer Bildschirm.
 
Willkürlich ist gar nichts geschehen - Kostendruck zwang zum Handeln. Auf dem zusätzlichen Konkurrenzdruck wollte ich mit meinem Link hinweisen.
Da das öffentliche Wesen Griechenlands durch mangelnde Effizienz und mangelndes Kostenbewusstsein undurchschaubar geworden ist, hat der Regierungschef Nägel mit Köpfen machen wollen.
Seine Koalitionsparteien machen ihm jetzt evtl. einen Strich durch die Rechnung, obwohl der ÖR-Rundfunk nicht abgeschafft, sondern reformiert werden soll. Die geplante Neugründung soll eine NERIT GmbH werden.
 
Derzeit läuft in Athen eine Pressekonferenz von EBU-Präsident Jean-Paul Philippot und Ingrid Deltenre, die später am Tag bei Präsident Samaras vorstellig werden. Sie wollen auf die Wiederaufschaltung der Signale drängen und bieten die Unterstützung der EBU in der jetzigen Situation an. Der EBU ist wichtig, daß es in Griechenland einen unabhängigen öffentlich-rechtlichen Sender gibt. Die plötzliche Abschaltung ist auch rechtlich nicht so einfach, da z.B. noch Verträge über Sportrechte laufen bzw Vereinbarungen zu Co-Produktionen geschlossen wurden.

Zu Beginn der Veranstaltung hieß es, daß die Pressekonferenz nur mit Schwierigkeiten organisiert werden konnte, da die Polizei einen Teil der dafür nötigen Technik von ERT beschlagnahmt hat.
 
Es muss eine ganze Reihe von Gründen gegeben haben, die den öffentlichen Staatsfunk Griechenlands in den Augen der Regierung verzichtbar gemacht haben. Kosten, Effizienz, Programmqualität, Staatsferne - oder Nähe, Quoten, Art der Fuinanzierung (Einzug über die Stromrechnung!!!) etc.

Es sind auf jeden Fall genau die gleichen Themenfelder, die auch zur Diskussion um die Existenzberechtigung unseres hiesigen öffentlich-rechtlichen Rundfunks geführt haben - Nur dass bei uns noch keine Entscheidung gefallen ist.
 
Und wenn man sich genauer die Zeitabläufe ansieht bleibt nur ein Schluß zu: Am Tag vor der Abschaltung ist der Verkauf des Gasunternehmens an Gasprom gescheitert. Die Troika kam zum üblichen Kontrollbesuch nach Athen. Um die geforderte Reduzierung der staatlichen Angestellten vorzeigen zu können wurde kurzerhand der Sender geschlossen.
 
Putin kann nicht schuld sein, denn als "lupenreiner Demokrat" hat er ja sicherlich ein grundlegendes Interesse an einem starken, staatsfernen, öffentlich-rechtlichen Rundfunk - im eigenen Land und natürlich auch in Griechenland. Oder sieht das jemand anders?


Mal abgesehen von Vetternwirtschaft, Parteibuch- und Selbstbedienungsmentalität (da brauchen wir gar nicht erst nach GR gucken), bleibt die Tatsache, daß man den ör-Rundfunk in einem EU-Land praktisch "im Handstreich" abschalten kann. Normalerweise müßte sich die Polizei und das Militär schützend vor die Funkhäuser stellen... Das sind ja Zustände wie in einer fernen Bananenrepublik!

Grüßle
 
@Zwerg: Das griechische Gasunternehmen sollte an Gazprom verkauft werden.

Inzwischen kehrt beim Fernsehen auch wieder ein klein wenig Normalität ein. Man dreht sich zwar zu 99% immer noch um sich selbst, aber gestern mittag wurde zwischendurch mal wieder ein Wetterbericht gesendet. Später gab es mal einen kurzen Blick ins Ausland mit Syrien, Türkei und Iran. Am Nachmittag wurde kurz über den üblichen Schiffsbrand berichtet.

Ansonsten besteht das Programm aber aus Studiogesprächen und Sendungen von Solidaritätskonzerten, gestern und heute auch von Chor und Orchester von ERT.

Mindestens ein Radiosender ist auch wieder über einen Webstream auf Sendung.

Edit: Gerade läuft wieder ein seltener wie oben beschriebener Nachrichtenüberblick, heute sogar mit Bewegtbildern und etwas ausführlicher.
 
@Zwerg
Wenn der Eigner eines Senders diesen Sender abstellt oder einstellt, dann haben da weder Polizei noch Militär etwas vor den Funkhäusern zu suchen, schon gar nicht "schützend". Kanns chließlich jeder selber bestimmen, was er mit seinem Laden macht. Etwas anderes wäre es, wenn der Staat versuchte, private Sender zwangsabzustellen.
 
Wenn der Eigner eines Senders diesen Sender abstellt oder einstellt, dann haben da weder Polizei noch Militär etwas vor den Funkhäusern zu suchen, schon gar nicht "schützend".
War es nicht ein einzelner Herr bzw. eine einzelne Partei, die den Sender in einer Nacht-und Nebel-Aktion einstellte? Eigentümer kann er bzw. sie, die Partei, nicht genannt werden.
 
Mit dem Einlenken Samaras gestern ist zumindest die Gefahr abgewendet, daß die Regierung auch den Strom im ERT-Gebäude abstellen läßt. Das war am Mittwoch und Donnerstag noch stark befürchtet worden. Der momentane Sendebetrieb dürfte damit bis auf weiteres bestehen bleiben.

Wenn am kommenden Donnerstag die nächsten 3,3 Mrd. € aus dem Hilfsfond in Athen eingetroffen sind wird man wohl auch von Regierungsseite wieder etwas entspannter agieren können.

Ausschnitt aus dem Konzert des ERT-Orchesters von gestern. Im weiteren Verlauf konnten auch zwei Sängerinnen aus dem Chor nicht weitersingen weil sie gegen Tränen ankämpfen mussten.
 
normaler Senderbetrieb? Den gibt es doch gar nicht mehr. Ich hab die Geschichte in den letzten Tagen auf Twitter verfolgt. Anscheinend liefern sich Polizei auf der einen und Mitarbeiter und Aktivisten auf der anderen Seite ein Katz-und-Maus-Spiel, bei dem es darum geht, die zahlreichen über das Land verteilten Sendeanlagen aus- und wieder anzuknipsen. ERT "sendet" momentan nur über die Eurovision, die sich ganz offiziell mit ERT solidarisiert hat.
 
Heute tourt das halbe europäische Parlament durchs ERT-Studio. Cohn-Bendit war sehr gut an die allgemein herrschende Lautstärke in der Diskussion angepaßt.

Einige sehr interessante Details zur griechischen Medienlandschaft gibt es heute bei der taz zu lesen.
 
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