Das Hauptproblem ist doch dass die meisten kommerziellen Musikwellen immer noch dem selben Hot-AC-Einheitsbrei huldigen um einer möglichst jungen Zielgruppenchimäre hinterherzulaufen, die die Hitstationen aber nur noch als peinlich, marktschreierierisch und eindimensional empfindet.
Ich habe nicht den Eindruck, dass die Sender um jeden Preis dem jungen Publikum hinter laufen. Im Gegenteil: Vor 25-30 Jahren, also Anfang der 90er, galten Titel aus den 60ern längst als "zu alt" für ein "aktuelles" Radioprogramm. Folglich sind zu dieser Zeit z.B. im kommerziellen Lokalradio keine Leute wie die Beatles oder die Beach Boys nicht gelaufen. Deren Titel waren Anfang der 90er rund 30 Jahre alt. Heute hingegen sind im Lokalradio die 80er und 90er - also teils über 40 Jahre alte Titel wesentlich stärker vertreten: Michael Jackson, Bangles, Depeche Mode, Nena ...
Eine von oben veranlasste musikalische Auffächerung (Top 40, Rockwellen, Hip-Hop-Sender, Indie/Alternative) und die starke werbetechnische Berücksichtigung älterer Zielgruppen (25+) wäre schon vor Jahren angezeigt gewesen, mit dem gegenwärtigen Konzept senden die musiklastigen Stationen künftig aber mehr oder minder ins Leere.
Eine Spezialisierung auf ein bestimmtes Genre hätte nur zur Folge, dass die ohnehin totgedudelten Songs auf dem passenden Genre-Sender NOCH häufiger laufen. Dann läuft Bon Jovi "Living On A Prayer" auf dem Rocksender nicht mehr alle drei Tage, sondern drei Mal am Tag. Das Problem ist halt, dass unbekanntere Songs nur eine so kleine Nische interessieren, dass sich damit kein Radiosender Songs über Wasser halten kann.
Konkretes Beispiel: Vor Corona (und hoffentlich bald auch wieder) fand im Wuppertaler "Live Club Barmen" eine monatliche Latin-Party statt. Dort liefen nur wenige bekannte Hits wie "Despacito" oder "Danza Kuduro"; das meiste war karibischer Underground: Salsa, Merengue, Bachata, Cumbia.... So eine Veranstaltung schafft es ein Mal im Monat, immerhin ca. 200-300 Gäste zu ziehen; viele davon sind Stammgäste, die man immer wieder sieht. Wuppertal hat immerhin 300.000 Einwohner, und das ist die größte Veranstaltung dieser Art dort. Gehen wir also mal von insgesamt 1000 Latin-Fans in Wuppertal und Umgebung aus, die dann auch als potenzielle Hörerschaft für einen entsprechenden Radiosender (der 24/7 sendet) in Frage käme. Wie soll der von einer solchen Reichweite LEBEN???
Letztlich bleiben aus der Latin-Ecke einige Hits übrig, die auch über die Szene hinaus bekannt sind (wie eben "Despacito" oder "Danza Kuduro"), und die dann auch im AC-Radio laufen. Sicher könnten die Redakteure noch etwas kreativer sein, denn es gibt durchaus noch ein paar mehr allgemein bekannte Latin-Dauerbrenner ("Moliendo Café", "Ilarie", "Veo Veo", "Mas Que Nada", "Las Chiapanecas"...), die durchaus AC-Radio-kompatibel sind. Aber mit Johnny Pacheco oder Johnny Ventura würde man den "Otto Normalhörer" abschrecken: Stücke oft zu jazzig, zu verspielt, zu lang. Und den Normalhörer braucht man, um ausreichend Reichweite zu generieren.
Eigentlich ist der Zug schon längst abgefahren. Denn auch die Gesamtreichweite wird mit den Jahren stark zurückgehen, sodass bei Beibehaltung der gegenwärtigen Formatpolitik am Ende nur noch Nachrichten- und Informationsprogramme wirtschaftlich erfolgreich sein werden.
Und eben Mainstream-AC; das funktioniert auch. Sicher, im Repertoire der BEKANNTEREN Titel kann man sicherlich noch für mehr Abwechslung sorgen. Aber mit der Ausstrahlung von völlig unbekannten Songs lässt sich offenbar kein Geld verdienen (so schade ich das auch finde).
Im Fernsehbereich hat man es damals mit Vox probiert. Anspruchsvolles TV und das von Privater Seite.
Sagen wir Mal so. Vox war pleite und stand kurz vor der Einstellung. Mit dem Einstieg von Canal+ und Murdoch konnte man das Ruder mit Unterhaltungsformate und Serien rum reißen.
Das Experiment intelligentes Fernsehen selbst ist aber gescheitert.
Dabei startete Vox bereits 1993, als es noch keine Konkurrenz durchs Internet gab. Kabelfernsehen oder Sat-Schüssel (Empfangs-Voraussetzung für Vox!) hatte zwar noch nicht jeder, aber schon einige. Die Startvoraussetzungen waren eigentlich ganz gut. Aber die Elite alleine reicht nicht für die nötige Reichweite, und dem "normalen" Volk lässt sich Anspruchsvolles offenbar nicht schmackhaft machen. Die wollen halt explizit Daniela Katzenberger, Kochduell und Höhle der Löwen.