Droht die Apokalypse?
Der Weltklimarat räsoniert, seine Kritiker randalieren
Die Rechnung ist nicht aufgegangen. Statt wieder die Sirenen heulen zu lassen, wie das dreimal zuvor funktionierte, hat der Weltklimarat in seinem am Wochenende veröffentlichten Abschlussbericht wissenschaftlich Altbekanntes mit ethisch anspruchsvollem Beiwerk präsentiert. Zu wenig für die konditionierten Katastrophenkrakeeler. "Uno-Klimareport ignoriert jüngste Studien" war die erste Nachricht, die "Spiegel Online" zu dem "Endbericht für die Entscheider" einfiel. Zum ersten Mal wurde man vom frischgebackenen Friedensnobelpreisträger offenbar enttäuscht, und das in einer vorentscheidenden Phase der Klimaverhandlungen. Statt apokalyptisch nachzulegen und zu dramatisieren, wie man es wohl gern gesehen hätte, fand man im IPCC-Bericht die längst bekannten Zahlen und ausgeleierten Tabellen wieder.
Wie herzhaft konnte man da noch Anfang Februar zulangen, als dieselben Zahlen zum ersten Mal im digitalen Überschall verschickt wurden. "Uno schlägt Alarm - Klima-Apokalypse naht" war damals, am 2. Februar gegen Mittag, von der "Spiegel Online"-Redaktion zu lesen. Und keine vier Stunden später klopfte, gespickt mit entsprechenden Unwetterfotos, die virtuelle Katastrophe buchstäblich an unsere Haustür: "Deutschlands Inseln können versinken, Felder verdorren." Der Feldzug gegen die klimapolitische Dekadenz in der Welt war eröffnet.
Und jetzt also dies, knapp drei Wochen vor der Bali-Konferenz: Statt wie gewünscht die neugewonnene politische Autorität auf die wissenschaftliche draufzusatteln und einige der jüngeren, erst nach Redaktionsschluss für den Weltklimabericht veröffentlichten Studien auszuwerten, stellt der Vorsitzende des Weltklimarates, Pachauri, die Fragen von vorgestern. Der Ratsvorsitzende schien plötzlich wie ein Fähnlein im Sturm zu flattern - zu unklar, was das eigentlich genau zu bedeuten habe: gefährlicher Klimawandel. Hatte man nicht hierzulande schon das Zwei-Grad-Ziel als maximal tragbare Erwärmung für den Planeten ins Visier genommen?
Der Synthesebericht des Klimarates muss für den, der auf eine Eskalation des Alarmismus spekulierte, ein herber Rückschlag sein. Deshalb also legte man bei "Spiegel Online" selbst Hand an die Faktenlage und präsentierte schemenhaft ein paar frischere Einzelergebnisse, die vor Augen führen sollten, dass "die Lage viel ernster ist, als bislang bekannt". Die natürlichen Kohlenstoffsenker könnten im aktuellen IPCC-Bericht überschätzt werden, wurde da zum Beispiel behauptet. So viel Kohlendioxid, wie dort angeführt, könnten die Bäume künftig gar nicht aufnehmen. Daran stimmt, dass es diese Studie in "Science" wirklich gab. Was aber unterschlagen wird, ist die Schlussfolgerung, die seriöse Fachleute aus dieser Studie und aus einigen Dutzend anderen, zum Teil völlig widersprüchlichen Untersuchungen zu ziehen hatten: dass die vermeintlich "klimaneutralisierenden" Effekte der Begrünung weiter mit größter Vorsicht zu genießen sind.
Der Weltklimarat hätte also auch dann nicht weiter dramatisieren können, wenn er die "Science"-Publikation hätte berücksichtigen können. Gleiches gilt für die angeblich schrumpfende Kohlendioxid-Aufnahmekapazität der Weltmeere. Vor einer Woche noch versicherten uns Forscher in "Nature", das Gegenteil könnte eintreten. Ihre Feldexperimente in einem norwegischen Fjord hatten gezeigt, dass das Meeresplankton mit steigenden Kohlendioxidmengen nicht weniger, sondern massiv mehr von dem Treibhausgas aufnehme und nach dem Absterben der Biomasse auf dem Meeresboden für lange Zeit gleichsam zwischengelagert werde. Dass eine völlig anderslautende Untersuchung nur Tage zuvor in einem anderen Fachblatt erschienen war, sagt weniger über die Lückenhaftigkeit des IPCC-Berichts aus als viel mehr über die Vorläufigkeit des wissenschaftlichen Sachstandes und die Komplexität dieser Forschung generell.
Und auch das Schmelzwasser in der Arktis brachte das Fass des IPCC offensichtlich zum Ärger der selbstautorisierten Klimawarndienste nicht über Nacht zum Überlaufen. Nicht einmal die Rekordschmelze des polaren Meereseises in diesem Sommer hat den Rat bewogen, die Risikowarnstufe gegenüber seinen eigenen Vorberichten kurzfristig in die Höhe zu schrauben. Tatsächlich gibt es plötzlich neue Befunde, die eine natürliche Erklärung des Phänomens ins Spiel bringen. So blieb denn auch der prognostizierte Meeresspiegelanstieg im IPCC-Bericht bei den bekannten maximal neunundfünfzig Zentimetern bis Jahrhundertende. Nicht einmal das Zufügen einer Tabelle, in der die Spanne des möglichen Meeresspiegelanstiegs unter Gleichgewichtsbedingungen - das bedeutet in Jahrhunderten - aufgrund der Wärmeausdehnung des Wassers (bis zu 3,7 Meter) dargestellt wird, hat die Alarmisten offenbar befriedigt. Oder sie interessierten sich einfach nicht für die Details, weil die Geschichte schnell durch das Netz und die arglosen Leser vor sich her gejagt werden mussten. JOACHIM MÜLLER-JUNG
Text: F.A.Z., 19.11.2007, Nr. 269 / Seite 33