AW: Funkhaus historisch: Nalepastraße
Das zieht aber dann nur bei 18-jährigen ND-Abonnenten und frustrierten Langzeitarbeitslosen. "Quote ohne Ende" vielleicht tatsächlich - aber nur bei denen, an denen knallharterweise kein wirtschaftliches Interesse besteht, weil sie mit der realen Welt nichts anfangen können.
Glaube mir, so sehr ich DT64 in seinem Zustand ab Ende 1989 mochte, so sehr ich heute die menschliche Ansprache und das Fehlen geschönter, künstlicher Fassaden im Radio misse, so wenig wünsche ich mir ein Radioprogramm (oder sonstwas), das in der Vergangenheit festhängt. DT64 hing 1989-91 eben gerade nicht in der Vergangenheit, sondern war ganz vorn dabei: bei den Berichten von den Montagsdemonstrationen, später bei den Tabuthemen (Stasiknast, Psychiatrie, ...) und bei der Artikulation dessen, was kommen könnte (und auch kam). Das war Radio am Puls der Zeit, nicht diese langweilige, realitätsbefreite Disneyland-Soße, die heute aus dem Äther schwappt und mit dem realen Leben nichts zu tun hat.
Ich bin mit diesem Land hier nicht 100% im Reinen und war es mit dem vorher auch nicht. Als die Mauer fiel, war ich 15 und konnte die Grenze, die so viele angeblich gestört hatte, nichtmal ansatzweise ausloten. Die große weite Welt lag zwischen Campingurlaub auf Rügen und Klassenfahrt zum Inselsberg, zwischen Mitte Juni und Ende August in den endlosen Sommerferien, zwischen Lars, Andreas und Christian (meinen Schulfreunden), zwischen naturwissenschaftlicher Spezialschule und in Aussicht gestelltem Physikstudium nebst späterer Anstellung bei Zeiss - und im täglichen Leben mit seinen Abenteuern (z.B. der kindischen Freude darüber, Kassetten mit RIAS-2-Wunschhits-Mitschnitten im Sportunterricht abgespielt zu haben). Wir waren Kinder. Das "da drüben" war ein zuckersüßes Früchtchen, dessen Duft nicht nur per Westradio und -TV rüberschwappte, sondern auch in bis heute unerreichter Weise in den Verkaufsräumen des ortsansässigen Intershops zu spüren war - oder einfach bei Christian zu Hause, denn der hatte einen Atari ST. Das bißchen Duft reichte vollkommen, zumindest für mich. Ich glaube sogar, der Reiz von z.B. RIAS 2 wäre schlagartig weggewesen, hätte ich Kreuzberg, Moabit, Wedding und Neukölln schon damals gekannt. Ruinenfunk für Hinterhöfler, gegen die ich im thüringischen Elternhaus nahezu fürstlich gewohnt habe, wäre sooo unsexy gewesen.
Ich zumindest kann nicht behaupten, in der DDR gelitten zu haben, dazu war ich zu wenig im Erwachsenenleben drin und die ganze erreichbare Welt war wegen ihrer Größe noch ein Abenteuerspielplatz. Und ich leide heute auch nicht (allenfalls auf dem hohen Niveau beruflicher Überforderung, fehlender "Kindheit" und nicht-angekommen-Sein in der Erwachsenenwelt, denn im Gegensatz zu Lars, Andreas und Christian bin ich nach wie vor Single, habe nicht jeweils 2 Kinder und keine Festanstellung). Warum sollte ich dann z.B. einen miefigen Radiosender hören, der für Produkte wirbt, die man in manchen (!) Fällen nur durch Druck auf die Tränendrüse verkaufen kann und mit dessen vermuteter Stammhörerschaft aus Stehengebliebenen und nicht-auf-die-Beine-Kommern ich mich nicht identifizieren mag? Die Super-Illu im Radio wäre nicht so ganz mein Ding. Dazu bin ich noch zu lebendig.
Ach so, der Claim ist scheiße, legt er doch nahe, gleich westdeutschen Dudelfunk zu hören.