AW: Neuer Sender für Hannover
Frische Infos über radio flora (Quelle:
http://nds-bremen.verdi.de/branchen...dustrie/medien/dju/nachrichten_aus_dem_bezirk [24. Juni 2008]):
Radio Flora: Wie die Landesmedienanstalt die "Hörerakzeptanz" des hannoverschen Bürgerradios verbessern will
Hannover. "Der Rundfunk wäre der denkbar großartigste Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens, wenn er es verstünde, nicht nur auszusenden, sondern auch zu empfangen, also den Zuhörer nicht nur zuhören, sondern ihn auch sprechen zu machen." Dieser weise Satz stammt von Bertolt Brecht. Er steht im Redaktionsstatut von Radio Flora. Ein seiner Zeit vorauseilendes Plädoyer für eine Zugangsoffenheit der Bürgermedien, die in Niedersachsen in den 90er Jahren Wirklichkeit wurde: Der Zuhörer soll Programmdirektor seiner Wahrheit sein und aussprechen, was die etablierten Medien nicht mehr sagen: Gegenöffentlichkeit statt Quote.
Doch dieses Ideal aus den Gründerjahren medialer Bürgerbeteiligung wird nun stückweise beim Sender in Hannovers Stadtteil Linden demontiert, nach 11 Jahren Sendebetrieb. Was im Augenblick passiert, erinnert an ein Lehrstück Brechts: Anfang April machte die Niedersächsische Landesmedienanstalt (NLM) nämlich einmal mehr klar, dass es ihr mit einem stromlinienförmigen Bürgersender in der Landeshauptstadt ernst ist. Und das heißt: Quote um jeden Preis. Deshalb wollen die niedersächsischen Medienwächter zwei erfahrene nichtkommerzielle Radiobetreiber und einen Kommerzfunkanbieter unter einen Hut bringen. Alle drei - Radio Flora, Lokalradio Neustadt und das Radio Team Niedersachsen - hatten sich auf die Bürgerfunkfrequenz 106,5 in Hannover beworben. Sie war ausgeschrieben worden, nachdem die NLM wegen Floras geringer Einschaltquoten eine Lizenzverlängerung des Senders im März 2007 abgelehnt hatte.
Eine politische Entscheidung, da sich die Quote nach Meinung von Beobachtern mit der eigentlichen Aufgabe der Bürgermedien, etwa der nichtkommerziellen Zugangsoffenheit und einem medienpädagogischen Auftrag, schwer vereinbaren lässt. Die Landesmedienanstalt stufte die "Hörerakzeptanz" in dem mit lokaler Berichterstattung gut versorgten Hannover aber höher ein als die augenscheinlichen Pluspunkte des Senders: Immerhin liegt Radio Flora mit 560 Mitgliedern und 28.000 Euro Mitgliedseinnahmen jährlich an der Spitze der niedersächsischen Bürgerradios. Ebenfalls unübertroffen ist, dass 40 Prozent aller Einnahmen vom Verein des Senders aufgebracht werden. Auch dass Flora bei der Einwerbung von Drittmitteln redlich blieb, spielte für die Landesmedienanstalt offenbar keine Rolle. Nicht überall ist das so: Radio Okerwelle in Braunschweig zum Beispiel legte das Prinzip der "Zugangsoffenheit" zugunsten zahlungswilliger Kunden aus. Sendezeit wurde vermarktet. Die in Braunschweig ansässige "Initiative Saubere Berichterstattung" warf dem Sender im vergangenen Jahr Schleichwerbung und einen Verstoß gegen das Landesmediengesetz vor. Andere Bürgermedien, die ebenfalls eine gute Quote und deshalb keine Sorgen mit dem Lizenzantrag hatten, werben auf ihren Internetseiten ungeniert mit den Logos örtlicher Radiosponsoren. Droht diese Praxis nun auch in Hannover?
Wie es dazu kam, dass sich ausgerechnet das Radio Team Niedersachsen (RTN) auf die Bürgerfunkfrequenz in Hannover bewarb, ist bislang unklar. Denn kurz zuvor hatte RTN noch auf der Bewerberliste für die erstmals ausgeschriebene städtische Kommerzfunkfrequenz 107,4 gestanden. Und nichts deutet bei diesem Betreiber auf Erfahrungen mit den Bürgermedien hin: "Hinter dem Radio Team Niedersachsen stehen erfahrene und bekannte Radioprofis, denen es gelungen ist, einen interessanten weiten Kreis von Unterstützern und Förderern aus Gesellschaft und Wirtschaft hinter sich zu versammeln", heißt es auf der Homepage der Deutschen Public Relations Gesellschaft. Das Team um Andreas Kuhnt, ehemals Moderator beim privaten Radio ffn, trat vor allem mit lokalen Veranstaltungsradios hervor, etwa mit dem Messeradio 107,4, mit einem Hörfunkprogramm zum hannoverschen Schützenfest, dem Flughafenradio "Take off" und mit "Radio Mundus" im Internet, das sich aus Werbeeinnahmen finanziert. Der 1961 geborene Kuhnt war nach seiner Moderatorentätigkeit bei Radio ffn zunächst drei Jahre lang Mitarbeiter der Bildzeitung, dann unter anderem freier Moderator des privaten "Radio 21" und des kommerziellen "TV Travel Shop". Nebenbei verdiente er sich ein Zubrot mit Präsentationsgalas für Unternehmen auf dem hannoverschen Messegelände.
Über Monate waren die RTN-Leute nicht bereit gewesen, mit Flora und Lokalradio Neustadt an einem gemeinsamen Konzept zu arbeiten. Solch eine Menage à trois hatte die Landesmedienanstalt aber gefordert. Eine plausible Begründung für ihre ablehnende Haltung hatten die Kommerzfunkbetreiber stets verweigert. Der Schluss liegt nahe, dass das Team um Andreas Kuhnt auf eine Auswahl zu seinen Gunsten hoffte. So etwas gilt in der Medienbehörde aber als ultima ratio, wenn sich mehrere Bewerber also endgültig nicht einigen können. Ende März lud NLM-Direktor, Reinhold Albert, alle drei Bewerber zu einem Vermittlungsgespräch ein. Dabei wurde das Radio Team Niedersachsen bereits eine halbe Stunde vor dem Einigungsgespräch in die Geschäftsstelle gebeten. "Vermutlich wollten ihm die Leute von der NLM noch einmal eindringlich eine Dreierlösung nahe bringen", schätzt Caren Beckers vom Vereinsvorstand Floras die Situation ein. Anschließend war das Radio Team Niedersachsen denn auch zu Einigungsgesprächen bereit. Doch es kriselt zwischen den Bewerbern.
Dem Vorstand von Radio Flora sei es wichtig gewesen, erklärt Caren Beckers weiter, dass bei den Einigungsgesprächen auch der ehemalige Flora-Programmchef Achim Wiese mit am Tisch saß. Wiese, vor seiner Flora-Zeit Moderator beim privaten Hit Radio Antenne, sollte eine Brücken- und Vermittlerfunktion gegenüber den RTN-Leuten einnehmen. Dass mit Achim Wiese im August 2007 nicht ganz unumstritten ein Profi von den Privaten das Zepter im Floraprogramm übernommen hatte, war Teil einer umfassenden Programmreform. Dazu gehört auch eine neue Magazinstrecke von 7.00 bis 17.00 Uhr. Und dass fremdsprachliche Sendungen in die Abendstunden und aufs Wochenende verlegt wurden, wenn die Zuhörerquote im Allgemeinen abgeebbt ist. Impulsgeber Achim Wiese hat inzwischen abermals die Fronten und auf den besser bezahlten Posten eines Pressesprechers der Linkspartei im Niedersächsischen Landtag gewechselt. Seinem früheren Arbeitgeber ist er als Programmberater treu geblieben.
Auch sonst wird bei Flora einiges getan, um nicht den Eindruck des "Stillstands" entstehen zu lassen: So soll der alte Träger gegen eine gemeinnützige GmbH ausgetauscht werden, erläutert Geschäftsführer Dirk Ihle. Auch der bisherige Markenname Flora soll bald Geschichte sein. Und: Die Mietverträge auf dem Faustgelände in Hannover-Linden, einem Treffpunkt sozialer und kultureller Initiativen aus dem linken Spektrum, wurden gekündigt. Der Sender will in ein repräsentatives Domizil nahe dem hannoverschen Hauptbahnhof ziehen.
Die Voraussetzungen für den hemdsärmeligen Neuanfang wurden bereits im Dezember 2007 geschaffen, durch Änderungen der Vereinssatzung und des Redaktionsstatuts: Hieß es beispielsweise noch in der Vereinssatzung aus dem Jahr 2003, das von Flora "zu betreibende Radio ist ein basisdemokratisch verfasstes Radio", fehlt diese Formulierung in der überarbeiteten Fassung. Stattdessen liest man, dass sich "die Vielfalt der Meinungen unterschiedlicher gesellschaftlicher Kräfte" widerspiegeln solle. "Wir wollten zeigen, dass wir offen für viele Entscheidungsstrukturen und nicht auf die Basisdemokratie fixiert sind," erläutert Caren Beckers diesen Passus. Konkret hat das Radioplenum, das sich aus Vertretern aller Redaktionen und Arbeitsbereiche des Senders zusammensetzt, jetzt deutlich weniger Vollmachten. Bei der Einstellung von Personal und bei Haushaltsfragen darf es nur noch beraten. Und anders als früher, kann es ein Programmschema nicht länger unabhängig, sondern lediglich nach Vorschlag einer Programmkonferenz beschließen. Weitere Änderungen in der Vereinssatzung und im Redaktionsstatut unterscheiden deutlich die Kompetenzen zwischen dem Vereinsvorstand und der Sendeleitung.
In den Gesprächen mit der Landesmedienanstalt hätte der Vereinsvorstand früher nie ein Verhandlungsmandat gehabt, erinnert sich Christoph Weimann, der zwölf Jahre lang dem früheren Vorstand angehört hatte, an ein praktisches Problem mit der Basisdemokratie. Verhandlungen mit der NLM und Zusagen ohne Rücksprache und Zustimmung des Plenums seien nahezu unmöglich gewesen. Deshalb habe bereits der frühere Vorstand Struktur- und Programmänderungen gefordert, so Weimann. Doch der Vorstand erntete damals massive Kritik und den Vorwurf, er wolle Hierarchien einführen. Im Mai 2007 wurde schließlich ein neuer Vorstand gewählt. Nachdem dieser nun Veränderungen durchgesetzt hat, die seine Vorgänger forderten, fühlt sich Christoph Weimann als "Bauernopfer".
Alexander Meister
Kommentar:
War die stückweise Demontage der Basisdemokratie bei Radio Flora nötig? Zwar hatte die NLM in ihrer Ablehnung des Lizenzantrags vom März 2007 Zweifel geäußert, ob die angekündigte Programmreform "in den bestehenden Organisationsstrukturen des Senders erfolgreich umgesetzt werden kann". Doch Direktor Reinhold Albert widersprach im Sommer 2007 auf einer ver.di-Podiumsdiskussion in Hannover dieser ablehnenden Begründung seines Hauses: Es gehe nicht um eine Veränderung der internen Entscheidungsstrukturen, sondern um eine bessere Programmqualität, hieß es. Die Flora-Verantwortlichen müssen sich also zumindest die Frage stellen, warum sie dann das Prinzip der vorauseilenden Willfährigkeit praktiziert haben. Und das, obwohl in Kürze mit einer Zweier- oder Dreierlösung ohnehin umfassende Strukturveränderungen ins Haus stehen. (A. M.)