AW: Studiotechnik in den 70ern
Nun mal zu etwas anderem.
Nach so vielen prosaisch vorgetragenen Technikdetails, sei mir nun ein kleiner Excurs in die "Belletristik" gestattet.
In einem anderen Forum hab ich gerade ein altes Shure Studio-Micro gesehen. Das bringt mich zum MD 421, das der hr am Diskplatz in den siebziger Jahren verwendete.
Die grossen Studios wie KC oder KD waren durchweg mit Neumännern bestückt, selbst das kleine Verkehrsfunkstudio hatte ein Neumann Micro.
Für uns junge und wilden hr 3 toptimer musste halt ein MD 421 rauschen, ääähmm sorry, reichen.
Etwa 1970 gastierte das Musical Hair im grossen Saal des Volksbildungsheims (Vorläufer der VHS) am Eschenheimer Tor in Frankfurt.
Da wurden Mitarbeiter gesucht. Ich war zunächst Kartenabreisser, dann Platzanweiser (ja, das gabs damals noch), und schliesslich sass ich am Audiomischpult (der Tontechniker des Volksbildungsheims war ausgefallen, und ich war dem Produktionsleiter als Discjockey und Tonbandamateur bekannt).
Aus heutiger Sicht gesehen war das abenteuerlich.
Man sass in einem von der Empore abgehängten Stahlgerüst, riesiges aber schnörkelloses Mischpult, Schaub-Lorenz oder Nordmende Uralttonbandgerät für Einspielungen, Hallspirale von Dynacord, das wars. Kopfhörer, HD 414, hatte ich mir von zuhause selber mitgebracht.
So, die Hauptakteure auf der Bühne benutzten allesamt verkabelte MD 421 mit schwarzem Schaumstoffschutz und mit farbigem Isolierband gekennzeichnet.
Im Scheinwerferbereich unter der Bühnendecke hingen Kondensator-Richtmicros mit Netzteil für die Chorussinger.
Im dunklen Hintergrund spielte eine polnische Band mit eigenem Equipment.
Man hatte keinerlei Verbindung zu den Akteuren oder zur Band.
Mit einer Taschenlampe verständigte ich mich mit der Band : Einmal blinken zu leise, zweimal zu laut !
Hatte man mal ein Micro nicht hochgeregelt, weil es so dunkel auf der Bühne war, fuchtelte der jeweilige Akteur mit dem 421 so lange rum, bis man es dann gesehen, und anhand der Isolierbandfarbe auch identifiziert hatte, lol.
Nach jeder Aufführung ging ich dann auf die Bühne um
1.) den Kabelsalat zu entwirren,
2.) um bei jedem 421 (natürlich ohne Zugentlastung) die Kleintuchel zu untersuchen und um gegebenenfalls die Anschlüsse neu zu verlöten. Die Akteure schmissen nämlich nach ihrem jeweiligen Songpart das 421 einfach auf den Boden. Das hätte wohl kaum ein anderes Micro ausgehalten.
und 3.) kletterte ich hoch auf die Lichtschiene um jedes Netzteil der Richtmicros einzeln auszuschalten.
Da die Fluktuation innerhalb des Ensembles sehr gross war fiel jede Menge Arbeit an. Jeden Nachmittag Probe mit Ton und Licht, anschliessend kaltes Buffet in der Garderobe, jeden Abend Vorstellung. Samstags 2x, nachmittags für die GI's in English, abends wieder Deutsch. Und das ganze fast 8 Monate lang.
Schule, ich war damals in der Unterprima, fiel halt häufig aus wegen Nebel.
Aber schee wars doch...
erinnert sich der
Flyingdoctor