Ich plädiere für die Quote!
von Reinhard Mey
Wo bleibt die gute deutsche Musik? Sie wird komponiert, aber nie gesendet. Ein ganzer Industriezweig droht auszusterben. Die Lösung: eine Quote für Lieder in der Muttersprache. Frankreich macht es vor
Sie können sich tagtäglich auf den Radiowellen dieses, unseres Landes davon überzeugen: Es wird fast ausschließlich englischsprachige Musik gespielt. Natürlich gibt es auch vereinzelt verirrte Spartensender, die ausschließlich auf deutsche Schlager spezialisiert sind. Doch das ist das andere, keinesfalls wünschenswerte Extrem von einem Dudelfunk, der den ganzen Tag grenzdebilen, reaktionären Schlagerschrott spielt und unsägliche, ewig gestrige so genannte Volksmusik, die nichts mit Volksmusik zu tun hat.
Wenn ich in meiner Heimatstadt Berlin das Radio anmache, fliegt mir die angloamerikanische Meterware nur so um die Ohren. Darunter Uralt-Hits, bei denen ich damals, im vorigen Jahrhundert, schon beim ersten Hören die ungute Vorahnung hatte, dass ich mir diesen Scheiß mein ganzes Leben lang werde anhören müssen. Text egal, Aussage egal, Englisch muss es sein. Landauf, landab preisen uns die Radiosender "die größte Vielfalt" und "die größte Abwechslung". Doch die besteht ausschließlich aus den englischen Top 100 und ein paar immer gleichen Oldies, unterbrochen nur vom Verkehrsfunk.
Englisch singende Deutsche sind in Amerika Lachnummern
All das hat dazu geführt, dass viele junge Leute, die singen wollen und die Aussichtslosigkeit erkannt haben, das in ihrer Muttersprache tun zu können, darauf ausgewichen sind, in Englisch zu schreiben und zu singen. Ein verzweifeltes Unterfangen, was sich mir nicht nur subjektiv als extra peinlich darstellt, sondern was auch oft objektiv an so einfachen Kriterien wie Sprachkenntnissen und Akzent scheitert. In England oder Amerika kriegen unsere englisch singenden Deutschen keinen Fuß in die Tür, da sind sie Lachnummern, die höchstens mal einen Erfolg dort verbuchen können, wo man noch schlechter Englisch versteht und mit mehr Akzent spricht als in Deutschland, also in Froonkreisch, Russland und Südkorea …
Wie ist es dazu gekommen? Nach dem Zweiten Weltkrieg war uns alles Deutsche suspekt. Unsere größten Wortkünstler, unsere besten Musiker, unsere Kulturschaffenden hatten wir ermordet oder ins Exil getrieben. Deutschland lag kulturell - von den Klassikern abgesehen - genauso zerstört am Boden wie die Städte. In diese Wüste kamen AFN und BFN mit neuer, lang entbehrter Musik, mit Jazz, Swing und spätem Rock’n Roll. Der Erfolg hat natürlich die Nachahmer beflügelt und damit begann das Elend! Nichts ist schlimmer als Nachmachen, nichts peinlicher als der Versuch, ein Original zu kopieren, das man gar nicht erreichen kann. Das war die Geburtsstunde der Verachtung für den deutschen Schlager. Die Nachahmer haben den Boden so nachhaltig verbrannt und versaut, dass sich der deutsche Schlager davon bis heute nicht erholt hat. Solange er nichts Eigenes, Originelles erschafft, wird er immer schlechter sein als das Original, auf dessen Schleimspur er hinterhersabbert.
Junge Künstler haben kein Podium
Die Rundfunkredakteure, die einen gewissen Anspruch haben wollten, haben einen Bogen um alles Deutsche gemacht. Wer was auf sich hielt, spielte Englisch. In den sechziger und siebziger Jahren platzten wir Liedermacher in das Deutsch-Vakuum und als Alternative (manchmal auch als Alibi) freudig begrüßt, fanden wir offene Studiotüren. Es gab eine richtige Liedermacherwelle, aber wie alle Wellen ebbte sie auch wieder ab. Alles blieb beim Alten: deutscher Schlager und englischer Pop.
Dann folgte die Privatisierung des Rundfunks, von der wir uns alle diese herrliche, überwältigende Vielfalt erhofften. Stattdessen kam die totale Verarmung, die Vereinheitlichung, der überall gleiche Dudelfunk, das Elend: Spartenradio! Ein Radio, bei dem der Marketingchef mit Schielen auf die Aktionäre die Musik bestimmt und ein Computer bestimmt, wann sie gespielt wird.
Mir könnte das alles wurscht sein, ich habe die schönsten CDs im Auto. Mir ist es wurscht, dass ich im Radio nicht gespielt werde, mein Publikum kennt mich und beschert nach wie vor jeder meiner Platten Gold-Status und findet auch trotz strengster Geheimhaltung den Weg in meine Konzerte. Mir ist es aber nicht wurscht, dass die jungen Künstler, die es in diesem Land so reichlich gibt, nicht gespielt werden, dass die, die sich in unserer Sprache ausdrücken wollen, kein Podium haben, um sich uns vorzustellen.
So viel geht uns verloren
So viel geht uns da verloren, so viel Gutes hören wir nicht, so viele Talente blühen, warten und verzweifeln und müssen irgendwann kläglich aufgeben, weil unsere Medien sie diskriminieren: Die Charts einerseits und die Volksmusik andererseits, man kann sich als junger Künstler nur noch überlegen, an welchem dieser beiden Fensterkreuze man sich aufhängen will.
Ich habe immer auf die selbst heilenden Kräfte des Marktes gehofft. Doch beim massiven Einsatz der Schallplattenkonzerne, die lieber ihre fertigen englischen und amerikanischen Produkte in die Läden reindrücken, als mühsam neue Talente aufzubauen, sind die selbst heilenden Kräfte aus gutem Geschmack, Neugier und Freude an der Sprache zum Scheitern verurteilt. Ich sehe es ungern, aber ich sehe es ein: Es führt kein Weg an einer Quote für deutschsprachige Musik vorbei, wenn wir nicht einen wichtigen Zweig unserer Kultur - und einen Wirtschaftszweig - an unterlassener Hilfeleistung sterben lassen wollen. Ja, ich plädiere für die Quote!