Hallo!
Mit oder ohne Valerie Weber hätte sich der Sender in den letzten Jahren komplett verändert. Durch die neuen technischen Möglichkeiten ist heute eben die Medienlandschaft eine komplett andere als in den 80er Jahren. Das Hauptproblem bei dieser (immer gleichen) Diskussion hier ist doch, dass kaum einer der Kritisierenden beim Radio arbeitet und alle Behauptungen nichts weiter als reine Spekulation sind (was Frau Weber angeblich alles alleine entscheidet, etc.) und weiter, dass eure Kindheitserinnerungen zerstört werden. Ihr glaubt, dass WDR 2 & Co. so klingen sollten wie damals und das sei richtig und wie es heute klingt sei es falsch. Ich bin in den 80er Jahren in Hamburg groß geworden, ich erinne mich an Wolf-Dieter Stubel, Carlo von Tiedemann oder Gert Timmermann. Im Traum käme ich nicht auf die Idee ein Forum zuzumüllen, dass das damals besser gewesen sei. Warum sollen also Ansprache, Nachrichten, Beiträge wie hier mehrmals gefordert so klingen "wie früher"?
Es geht uns in erster Linie wohl nicht darum, dass früher pauschal alles besser war und heute noch viel pauschaler alles schlecht ist oder wird. Vielmehr liegt das Problem in der Tatsache, dass mit all diesen Reformen, Anpassungen und Korrekturen wegen geänderten Hörverhaltens und dergleichen ein schleichender und dennoch entschlossener Qualitätsverfall einhergeht. Wenn marktwirtschaftliche Interessen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk so weit vereinnehmen, dass um ihretwillen das Programm durchformatiert wird, anstatt eine Symbiose aus sinnvollen Qualitätsmaßstäben und den gesetzlich vorgeschriebenen Rundfunkaufträgen (Information, Bildung, Unterhaltung) regieren zu lassen, ist meine Toleranz am Ende. Privatradio kann ohne marktstrategisches Denken nicht überleben, das ist eben in den meisten Fällen so. Leider hat sich der anfangs innovative Privatrundfunk zu großen Teilen dem qualitativen Abseits verpflichtet. Uns Hörfunkfanatikern blutet daher regelmäßig das Herz, aber was will man dagegen unternehmen?!
So darf es doch aber dem durch Rundfunkbeiträge alimentierten Original nicht ergehen. Ich habe wirklich nichts dagegen, dass im ÖR-Rundfunk Werbung ausgestrahlt wird. Aber wenn darunter plötzlich auch die 54 oder 55 anderweitig nutzbaren Minuten pro Stunde zu leiden haben, ist definitiv Schluss mit lustig.
Ein Beispiel: Hinlänglich ist bekannt, dass Wortbeiträge in den Werbung ausstrahlenden Radioprogrammen, welche in der Regel auch zur tagesbegleitenden Unterhaltung genutzt werden, ein bestimmtes Längenlimit nicht überschreiten dürfen. (Zumeist geht es hierbei um die 2.30- oder 3.30-Grenzen, die schir allerorten Usus sind.) Wie viel Zeit man aber tatsächlich braucht, um ein komplexes Thema in all seinem Umfang darzustellen, um seine Hintergründe journalistisch investigativ zu beleuchten, um eine packend gestaltete Reportage in ihrer gesamten Spannung zu entfalten, um die Hörerschaft auf Neues egal welcher Art aufmerksam zu machen, wird unwichtig.
Der marktwirtschaftlich denkende Radiomacher (oder besser: der beim Radio arbeitende Marktwirtschaftler) sagt dazu: "Die Statistik hat gezeigt, dass nach einer bestimmten Zeit mit bloßem Wort der Hörer strapaziert ist. Wenn wir dann keine Musik bringen, schaltet er um und geht zur Konkurrenz. Und dann verlieren wir in der MA und können keine Werbezeit mehr verkaufen. So einfach ist das. Schluss, aus, Ende!"
Dass aufgrunddessen der journalistische Anspruch und das kreativ verwertbare Potential im Hörfunkbetrieb großteils draufgehen, ist aber scheinbar OK. Kann es das wirklich sein, wenn jeder Haushalt diesem System jährlich 210 € zuschiebt. Ich habe persönlich nichts gegen den Rundfunkbeitrag. Von mir aus könnten sie das Doppelte von meinem Konto holen, würde sich dies positiv auf das Programm auswirken.
Bei der Musikauswahl ist es in etwa dasselbe wie beim Wortangebot. Wer ständig Angst hat, die Hörerscharen könnten beim ersten unbekannten Titel in Myriaden davonlaufen, verkennt die Vielfältigkeit der an sich wunderbar formatkompatiblen Bandbreite an spielbarer Musik. Und je älter die Hörerinnen und Hörer werden, desto größer wird ihr kognitives "Musikarchiv". Dann alle Jahre wieder mit demselben Brei aufzuwarten, wird zuerst langweilig und mit der Zeit nicht mehr zumutbar.
All dies sind Grundsätze, die im öffentlich-rechtlichen (Hör-)Funk früher noch geachtet wurden, heute aber zusehens in Vergessenheit geraten. Doch gerade ob der besseren Finanzierungsgrundlage sollten die ÖR-Anstalten in erster Linie ordentlichen Rundfunk betreiben und Einschalt- und Umschaltquoten weiter hinten anstellen.
An dieser Stelle könnte man nun ganz dreist behaupten, dass diejenigen, die Radioprogramme gnadenlos (beinahe ohne Rücksicht auf Verluste) dem Formatierungswahnsinn preisgeben, entweder besonders schmerzfrei sind oder den wahren Reiz nie gespürt haben, den dieses Medium eigentlich auslösen kann. Wer es niemals erlebt hat, leidenschaftlich Radiosendungen unbedingt bis zum Ende verfolgen zu wollen, sei es nun wegen ihrer Themen, Moderation, Musik oder sonst wegen irgendwelcher Inhalte, der kann jetzt gnadenlos kürzen, streichen und reformieren. Wer das Radio nur als hintergründige Dudelei kennt, dem wird das notwendige Gefühl fehlen, das man benötigt, um Hörfunkprogramme "artgerecht" weiterzuentwickeln. Wer mit dem Hörfunkangebot früherer Jahrzehnte nichts als dröge Behördenkanäle zur Verbreitung politischer Informationen assoziiert, der wird sich kaum der Tatsache bewusst sein, dass damals in mancher Sendung deutlich mehr Kreativität, mehr Spannung, mehr Unberechenbarkeit, mehr Leben steckte, wovon das Gros zugunsten der stromlinienförmigen Formatenge geopfert wurde.
Und genau darum ist es eben nicht damit getan, zu einer Art Grundversorgung mit dem öffentlich-rechtlichen Info- und Bildungsauftrag lediglich ein paar Hardcore-Wortwellen im Stile von DLF, Bayern 2, WDR 5 etc. verbleiben zu lassen. Diese sind äußerst wertvoll und gehaltreich, keine Frage! Doch wirklich "durchhörbar" - was ja heute ein zentrales Schlagwort in den Philosophien der Entscheidungsträger/innen ist - lassen sich derartige Programme aber nicht gestalten. Zumindest nicht insoweit, als das Hirn nicht irgendwann abschaltet.
Ich fordere keineswegs, dass an letzterem etwas geändert wird. Das wäre ein weiterer Schritt in Richtung Abgrund. Aber irgendwo muss doch noch etwas zwischen DLF und tumbem Hitradio existieren, eine Mélange aus tiefgründigem und ausführlichem Journalismus und hochwertiger, aber etwas leichter verdaulicher Unterhaltung. WDR 2 hat das bis vor einigen Jahren recht gut hinbekommen.
Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang nun Valerie Weber? Ich bin in die Oligarchie im Hause WDR - oder welche Regierungsform die dort auch immer pflegen mögen - nicht eingearbeitet. Und dass hier teils recht despektierliche Angriffe gegen sie und andere Entscheidungsträger hinterlassen werden, goutiere ich auch nicht. Trotzdem scheint Weber diesen kommerziellen Grundgedanken der Degenerierung im Unterhaltungsradio hinreichend verinnerlicht zu haben. Insofern ist sie mutmaßlich nicht diejenige, die der konsternierten Degenerationspolitik in ihrem Hause die größten Riegel vorschiebt. Deutlich wird dies etwa an dem DLF-Interview, das hier unlängst kursierte. Oder sind Euch ihre Ansichten zum Thema Personality am Mikrofon bekannt? (Die entsprechende Aufnahme finde ich leider gerade nicht auf die Schnelle.) All dies lässt Zweifel aufkommen...