Das habe ich die erste Zeit regelmäßig (da reichlich naiv) gemacht - mit dem "Erfolg", dabei, wenn überhaupt, meist an sehr seltsame Gestalten zu geraten, die sich entweder vor allem durch die Zugehörigkeit zu recht bizarren Subkulturen auszeichneten, trotz Hartz 4 niemals Zeit hatten, oft reichlich Alkohol und Zigaretten zusprachen und sehr unzuverlässig waren oder die ausschließlich darauf aus waren, mir ihre Lebensphilosophie aufzudrücken bzw. zu erklären, daß jemand, der nicht gerne abends saufend durch die Straßen zieht und jeden Tag jemanden anderes poppt, psychisch gestört sei und nicht wisse, was Leben ist.
Erstere waren meist faszinierend, lieb, aber wegen Unzuverlässigkeit nichts von Dauer (ich renne sehr ungern Leuten hinterher), letztere sind einfach nur ätzend. Es muß schon rein aus Gründen der Statistik in Berlin auch andere Leute geben - nur wie kommt man als Zugezogener da ran? Wenn ich keine Leute suche, die ausgiebige Clubber oder Kneipengänger sind, werde ich meine Zielgruppe kaum in Clubs und Kneipen finden. In der S-Bahn wirste auch kaum jemanden kennenlernen. Auf Konzerte gehe ich alleine hin... und auch alleine wieder weg. Da dreht auch nur jeder sein Ding. Bleibt der Sportverein... ich hatte in Jena mit Begeisterung Yoga gemacht und in Berlin wieder damit angefangen. Es bekam mir nicht, irgendwann merkte ich auch warum: während in Jena lebendige, fröhliche Menschen beim Yoga waren, traf ich in Berlin nur stockdepressive, halbtote Esoteriker, die sich für "erleuchtet" hielten. Schnell weg! Und wenn ich im Sommer an nen See Schwimmen fahre, wird sich auch kaum eine Kontaktmöglichkeit ergeben - zumindest ergab sie sich nicht bei den dutzenden Malen, die ich in den vergangenen 3 Sommern Schwimmen war. Es ist hier alles viel mehr eventorientiert als in ner Kleinstadt: man geht nicht irgendwohin, weil jemand anderes mitgeht und man etwas gemeinsam machen möchte, man geht allenfalls wohin, weil man das sowieso wollte und der, der mitgeht, ist einem völlig wurscht. New in Town führt oft (nicht immer!) zu Leuten mit heftig ausgeprägtem Szeneleben (Interessen: Kneipe, Club, Cocktails, Shopping). Finde ich ätzend und stocklangweilig, wir haben uns sowieso nichts mitzuteilen - sie werden mich noch ätzender und stocklangweiliger finden. Wie also dann?
Ich hisse also nach knapp 3 Jahren die weiße Flagge und beruhige mich mit der Tatsache, daß meine zugezogenen gleichaltrigen Kollegen ihre Partner fast immer von Auswärts mitgebracht, nicht jedoch in Berlin kennengelernt haben. Offenbar ist das hier so.
Wäre interessant zu ergründen. Zu einer gut funktionierenden Partnerschaft gehört für mich auch eine gewisse Überschneidung der Lebensinteressen. Von daher erwarte ich kaum, daß ich in Berlin ne große Chance haben werde.
Oh ja... Lobeda wird gerne mit Jena gleichgesetzt - es ist ja auch das einzige, was man sieht, wenn man vorbeifährt. Daß da paar Kilometer flußabwärts eine nette lebendige Stadt ist, erstaunte schon so manche. Aber auch wenn Lobeda nicht der Inbegriff von Idylle ist... ich habe dort 6 Jahre lang gewohnt und hatte dort keine Probleme mit der Umgebung, allerdings die ersten Jahre Schiß vor Nazis - etwas, woran ich zumindest innerhalb des S-Bahn-Rings in Berlin niemals denken würde, im tiefen Schöneweide oder Johannisthal allerdings schon.
Gegen Lobeda kann zumindest nach meinen Maßstäben ein wirklich großes Plattenbaugebiet nicht anstinken - und auch die angesagten Altbau-Szeneviertel nicht. Ich würde jedenfalls stets diesen Ausblick vom Balkon
dem hier
vorziehen. Aber das kann man ja durchaus anders sehen.
Ansonsten ist Lobeda halt wirklich klein, man kommt von jedem Punkt zu Fuß binnen maximal 10 Minuten an solche Orte
und hat generell Ausblicke wie diese hier:
Gut, man muß das nicht mögen, wirklich nicht. Das Ansehen Lobedas ist aber keinesfalls ruiniert, dort wohnen tatsächlich noch Uni-Professoren und ehemalige Mitschüler (inzwischen promoviert und mit Frau und Kindern) "in der Platte" und fühlen sich pudelwohl. Ist ja auch geil, nach der Arbeit oder mit den Kindern mal eben schnell in die Natur zu kommen.
Dazu mußte doch nur mal mitm Zug von Süden nach Leipzig reinfahren. Da geht es unentwegt an Industrieruinen, Sheddächern, aus denen Bäume wachsen, und schrecklichen Wohnhäusern entlang. Wer Nachkriegsfeeling haben will, findet dort ein recht brauchbares Plätzchen. Im Norden sieht das schon ganz anders aus, zahlreiche ex-Kollegen von mir haben sich dort niedergelassen. Ihre Abendgestaltung besteht aber auch nur aus TV und Bier, tagsüber pendeln sie nach Solarzellenhausen in Sachsen-Anhalt. Keine besonders schöne Perspektive aufs "Leben".
Ich habe immer noch nicht begriffen, wo diese Neurose mit dem "Kleinbürgerlichen" herkommt. Warum muß ein Deutscher durch Abgerissenheit und Schmuddeligkeit beweisen, daß er nicht "Kleinbürgerlich" ist? Wo kommt diese Angst vor einem intakten Lebensumfeld her? Andere Kulturen können damit viel leichter umgehen und betrachten es eher als Zeichen von (bescheidenem) Wohlstand, wenn die (einfache) Behausung wenigstens sauber ist. Wirkt hier ein dunkles Kapitel deutscher Geschichte mit seiner "Rassenhygiene" auf ganz anderem Gebiet nach?
Klar hat Berlin auch seine schönen Ecken: zum Beispiel die Seen und Wälder drumherum, der Freischwimmer, der Schleusenkrug. Es ist auf Dauer nur zutiefst frustrierend, sich das alles alleine erschließen zu müssen und somit immer wieder die Bestätigung zu erhalten, daß man "daneben" ist oder "abartig" oder halt "krank". Das macht den schönsten Tag im Grunewald zunichte.
Das sind dann möglicherweise die, die in Berlin als völlig überreizte Szenegänger rumrennen und keine Sekunde ohne Lärm, Alkohol oder "Action" auskommen können. Solche habe ich kennengelernt, sehr ätzend. Die halten selbst den beißenden Uringestank am Ostkreuz für "das Aroma der Freiheit" (Originalzitat). Oder sind Deine ganz normale Leute?