AW: Formate - ja oder nein? Fluch oder Segen?
... Und dann kamen die 70er – das Ende der Beatflotte vor Holland – RNI, Veronica, Atlantis off the air.
Nur Caroline machte mal wieder weiter – und schuf europaweit als erste Station ein neues Format : „Albumformat“. Man setzte nicht mehr auf Singles, sondern (teilweise überlange) Tracks von LPs. Und mehrheitlich Rockmusik, das sich aus „Underground“ als neuer Name entwickelt hatte. Caroline wuchs also mit den Hörern, die seit dem Sendestart allesamt 10 Jahre älter waren und den Musikgeschmack verändert hatten. Aus „Albumformat“ wurde dann „AOR – Adult Oriented Rock(music)“.
Und Deutschland? In den sixties gab es vereinzelte Sendungen – Hanns Verres machte ein gutes Ding beim HR. Neben dem aufgesetzt fröhlichem „Radio Luxemburg“ gab es sonst nur noch die Europawelle Saar, die popmässig aufdrehte – allen voran mit Manfred Sexauer. Oder gleich BFBS oder AFN.... Hier (DL) war es Radiosteinzeit ! Nur langsam kamen die „Popwellen“ wie hr3 voran - oder die beiden guten (damals) zu nennen : Bremen und SWF3 weit allen anderen voraus.
Alle anderen machten kunterbuntes Programm. Irgendwas auf dem Plattenteller. Ob es passte oder nicht, egal. Hauptsache Scheibe rotiert. Ein System dahinter? War nicht hörbar – eben Kraut und Rüben, wie es kam.
Den Anspruch, die charts MIT zu kreiieren, haben die ÖR-Stationen damals schon -unwissentlich oder freiwllig oder beides – aufgegeben. Dabei hatten es die Piraten eben gerade noch vorgemacht .... eben im Äther verpufft. Und immer noch deutlich hörbar – der erhobene Zeigefinger . Bis weit in die 80er Jahre hinein.
Liebe user, ob ihr es glaubt oder nicht: Die musikalische Vielfalt wurde damals schon stranguliert – eben durch den erhobenen Zeigefinger.... Musikauswahl nach höheren Prinzipien, Klampfe vor Discosound / Studio 54 oder New Wave oder Italopop. Ganze Trends wurden verpennt und ignoriert, durch den erzieherischen Auftrag und den erhobenen Zeigefinger.
Nur mal als Beispiel: Die Musikredaktion ließ sich eine Übersetzung von „Bobby Brown“ (Frank Zappa) anfertigen – um zu prüfen, ob dieses Werk auch in die sittliche Verantwortung des Senders passen würde (man entschied sich dann doch, es zu spielen, weil sowieso nur wenige so gut den englischen Text übersetzen könnten...). Ähnliches passierte mit „Relax“ (Frankie goes to Hollywood), „Walk on the wild side“ von Lou Reed und und und.
Lest selbst über die Steinzeit:
http://www.hfm-wuerzburg.de/~muench/material/diss/Beschraenkungen.pdf
Erzählt mir jetzt bitte nichts von den herausragenden Persönlichkeiten, die man 1965-1985 am Mikrofon gehört hatte.... sicherlich gab es da einige herausragende und erinnerliche Namen. Sonst war aber selbst SWF3 nur ein etwas lahmer, eingedeutschter Abklatsch von dem, was die Piraten vorgemacht hatten. Der Mief der Bürokratie, das versteinerte Oberlehrerdenken samt dem obligatorischen Bildungsauftrag (auch in punkto Musik!) waberte durch die Etagen sämtlicher ÖR-Anstalten. Musikuhr, Stundenuhr, Format, Musikkategorien – alles Fremdworte. Selbstfahrer – was ist das? Peppige Moderation, Jingles .... nee, bei uns nicht.
Die „Radio-DJs“ formierten sich außerhalb... in den aus Ostbelgien nach DL einstrahlenden deutschsprachigen Stationen (Henri Radio, BNL usw). Und in Italien – über die Alpen hinweg. Immer noch Caroline und Veronica und all die anderen guten Radioschiffe im Ohr und im Herzen. Und darauf brennend, den ÖR-Sendern mal ENDLICH und ORDENTLICH und TIEF den Ar..... mal aufzureissen..... (sorry. Musste so drastisch gesagt werden),.
Format: ja! Pop, guter Pop. Mal für die Älteren, mal für die Jüngeren, je nach Zielgruppe. Mit einem breiten Musikangebot.und Feuer im Herzen und Dampf hinter dem Mikrofon.
Ihr lest richtig... so war das damals. Wir schreiben 1985.....
Und dann kam endlich, endlich, endlich Privatradio. „Wir“ leisteten damals Sysiphos- und Aufbauarbeit sondergleichen. Aus dem Nichts der Aufbau eines passenden Musikarchivs. Die, die es konnten, brachten den Neulingen Moderation und Selbstfahrertechnik bei. Sendetechniker? Bloß nicht, der hemmt den Programmfluß. Musikredaktion? Einer, höchstens noch ein Stellvertreter. Wenn es der richtige Mann ist, hat er alles im Griff. Während bei den ÖR damals ganze Armeen unterwegs waren, um eine Sendung zu produzieren, machten es die Privaten mit 1-3 Mann. Beiträge selbst recherchieren, schneiden, in der vielleicht noch eigenen Sendung fahren – ausgesprochene Alleskönner wurden in den ersten Jahren herangebildet.
Eine echte Gefahr, wenn diese später mal zu den ÖR-Anstalten wechseln würden – mit einem ganz anderem Rückgrat und Können???? Wie gesagt, damals, 1985....
Die ersten Beraterfirmen gab es damals auch.
Und die meisten Privatradios mit Sendezeiten, die sie sich mit anderen Anbietern auf gleicher Frequenz teilen mußten.
Und die meisten Privatradios in den Händen von Verlagen und Großverlagen, die sich den Werbekuchen nicht aus der Hand nehmen lassen wollten. Was ja auch ihr gutes Recht war, sich um Lizenzen zu bewerben.
Damals gabe es eigentlich nur ein variierendes Format : AC. Angepasst auf den hiesigen Markt „Euro-AC“, sonst eben entweder Soft-AC (Charivari.Lokalradios in Bayern), Hot-AC (Gong-Radiogruppe in Bayern). Viel später kam dann mit „Salü“ ein deutsches Top40-Radio dazu....
Damals: Popbegeisterte machten die Musikredaktion, Piraten-DJs und die, die von denen angelernt wurden, gaben richtig Gas hinter dem Mikro, heizten ein.
Vielfalt an Musik und Auswahl im Äther. Es hatte gut begonnen und Format war KEIN Schimpfwort.
Wie dann alles zu dem, was heute ist, kam, später mehr....
Dieser Rückblick mußte sein, um die mögliche Diskussion auch von den "basics" her führen zu können.