Meine paar Cent dazu...
1.
Alle Tiel mit gleichem Spitzenpegel bringt - wie von webradioo richtig geschrieben - nicht gleich empfundene Lautheit. Die hängt u.a. von der Dynamik im Titel ab und von der spektralen Energieverteilung - also viele Bässe oder viele Höhen etc. Das kann man sich leicht verständlich machen, wenn man an einen sehr niedrig gepegelten Titel denkt, der sehr kurz eine hoch gepegelte Stelle enthält, z.B. einen einzelnen Knall. Diese Stelle bestimmt den Maximalpegel (Übersteuerungsgrenze) sowohl in der analogen Welt als auch in der digitalen Welt, ist aber für die empfundene Lautheit des gesamten Titels nicht relevant.
2.
Traute man sich anfangs (80er Jahre) tatsächlich kaum, CDs nahezu voll auszusteuern. Ich habe auch CDs hier, die bei -12 dB herumdümpeln. Dafür gibt es erst einmal keinen rationalen Grund, denn nahe (nicht ganz bei) Vollaussteuerung gibt es noch keinerlei Gründe, die gegen eine Ausnutzung dieses Pegelbereichs sprechen. Zumindest keine technischen Gründe. Die CD in sich als geschlossenes Werk betrachtet sollte freilich pegelmäßig konsistent sein, was andere CDs machen, ist ja erst einmal unerheblich.
Ein historisch übermittelter Denkansatz soll folgender gewesen sein: 0 dBFS auf CDs liefert meist ca. 2 Veff Ausgangspegel des CD-Players. Alle vorher bekannten Quellen (Tuner, Heimtonband) lagen wesentlich niedriger, bei vielleicht 300 - 500 mV. Das entspricht einem Unterschied von etwa 12 - 16 dB. Hat man also CDs so niedrig gepegelt, kamen sie im Verstärker genauso gepegelt an wie z.B. Radioprogramme. Sie wären dann bei dynamikreicher Musik leiser gewesen, da der Rundfunk eher niedrige (im Vergleich zu heute aber immer noch hohe!) Dynamik hatte.
Die "globale" Denkweise, nach der sich die Lautheit bitte über alle Veröffentlichungen hinweg ähnlich verhalten sollte, hätte freilich zur Folge haben müssen, daß dynamikarme, "laute" Produktionen (meist U-Musik) wesentlich niedrigere Spitzenpegel haben dürfen als z.B. sehr dynamikreicher Jazz oder nicht allzu "wuchtige" Klassik. Da geht man jetzt mit der Aussteuerungsrichtlinie R128 hin. Ob sie auf CDs ankommen wird, bezweifle ich.
3.
Sind CDs (zumindest U-Musik) heute maximal voll, also 0 dBFS oder -0.3 dBFS oder so in der Art. Das ist nicht nur extrem laut verglichen mit Jazz oder Klassik oder alten Pop-CDs, weil ausgerechnet diese Art von Musik auch noch stark komprimiert ist und ohnehin höheren Energiegehalt hat, es ist auch technisch zuviel: beim heute in jedem CD-Player stattfindenden Umrechnen der mit 44.1 kHz eintreffenden Daten (Upsampling) vor dem Wandler entstehen Zwischenwerte, die dann formal über den zur Verfügung stehenden Wertebereich hinausgehen können. Es wird also häufig zwangsweise geclippt (-> intersample overs). Wie einzelne Geräte damit umgehen (simples Abschneiden oder gar invertiertes "Einspiegeln" in den Amplitudenbereich), kann völlig unterschiedlich sein. Es gibt Arbeiten zu diesem Thema, z.B. von TC Electronic. Siehe weiter unten.
4.
Das heute übliche Konvertieren in datenreduzierte, verlustbehaftete Formate (MP3, MP2) hat zur Folge, daß sich die dabei enstehenden Artefakte dem Originalsignal überlagern und dabei auch eine Addition der Amplitudenwerte (Wellenberg des Nutzsignals trifft momentan Wellenberg der Artefakte) auftreten kann. Wie man z.B. bei 192er MP3s selbst durch Differenzbildung bestimmen kann, liegen die Artefakte bei voll ausgesteuertem Pop etwa 11 - 15 dB unter dem Nutzsignal, je nach Material und Codec. Das sind etwa 28% - 18% des Nutzsignals und käme momentan im Extremfall additiv auf selbiges drauf. Ergäbe insgesamt also Pegel von bis knapp 130% entsprechend 2.3 dB Übersteuerung. In nullter Näherung müßte man also sicherstellen, daß z.B. die Wave-Dateien für 192er MP3s maximal bis -2.3 dBFS gehen. Aus meiner Praxis: ein Spitzenpegel von -1.5 dBFS reicht vor dem MP3-Erstellen fast immer aus. Das MP3 geht dann oft wieder an einzelnen Stellen bis 0 dBFS, hat also deutlich Pegel gewonnen. Das betrifft aber nur den Peak Level, während der RMS-Level faktisch gleich bleibt. Die Artefakte ändern die Wellenform nur an wenigen Stellen - zu wenig, um in die RMS-Pegel oder die empfundene Lautheit einzugehen. Dafür fehlen nachweislich dann die Verzerrungen, die in MP3s sonst oft drin sind.
Siehe dazu auch
diese Abhandlung, die im Rahmen eines Treads in einem anderen Forum entstand.
5.
Wenn man MP3s macht, sollte man also vor der Erstellung die Wave-Dateien dimmen, so daß maximal -1.5 dBFS Spitzenpegel rauskommen. Sinnvollerweise dimmt man erst einmal mit einer globalen Einstellung für alle Tracks dieser CD, um gewollte Lautheitsunterschiede zwischen den Tracks zu behalten. Man orientiert sich also am Track mit dem höchsten Spitzenpegel und richtet alles danach aus, wenn dieser auf -1.5 dBFS Peak gebracht wird. Die Lautheitsunterschiede zwischen Tracks und CDs sind damit freilich nicht eliminiert.
Arbeitet man mit LAME in der Kommandozeilenversion, kann man dort "--scale 0.85" ergänzen. Das veranlaßt LAME, alle zu codierenden Wave-Dateien zuvor mit dem Faktor 0.85 zu multiplizieren, entsprechend ca. -1.4 dB. Ist natürlich nur sinnvoll, wenn man weiß, daß das Original nahe 0 dBFS operiert. Hat das Original bereits einen Spitzenpegel kleiner - 1 dBFS und vielleicht hohe Dynamik, erricht diesen Wert also nur selten, muß man nicht noch einmal Pegel ansenken und läßt das Kommando weg.
6.
Zum Eliminieren der Lautheitsunterschiede bei MP3s bietet sich
MP3Gain an. Das Programm scannt die MP3-Dateien, ermittelt einen weitgehend Lautheits-relevanten Wert (Replay-Gain-Algorithmus) und kann dann zwei Dinge: entweder diese ermittelten Werte in den Tag-Bereich schreiben (unsichtbar für die meisten Anwendungen), so daß darauf ausgelegte Player mit den dort hinterlegten Werten ihrerseits bei der Wiedergabe den Pegel für den jeweiligen Track oder das Album anpassen. Da es kaum Anwendungen gibt, die darauf Rücksicht nehmen, kann Replay Gain noch etwas anderes, sehr geniales: es kann in 1.5-dB-Schritten den Pegel der MP3s ohne Neucodierung anpassen. Dazu modifiziert es die Skalenfaktoren (global gain field) in den MP3-Frames. Eine Änderung um +/- 1 ändert den Wiedergabepegel um 1.5 dB - auf jedem Player. Läßt man die Änderung im Tag protkollieren, kann man das jederzeit rückgängig machen lassen und erhält nach Entfernen des Tags exakt wieder das Original-MP3.
Man kann also MP3Gain so einstellen, daß es rekursiv durch eine Verzeichnisstruktur geht, alle Tracks analysiert und entsprechend anpaßt. Der Bezugswert ist dabei wählbar (default ist "89 dB", wie auch immer ermitelt). Vorsicht: sehr dynamikreiche Titel müßten u.U. nicht abgesenkt, sondern verstärkt werden, bis sie an ihren Spitzenpegeln clippen. Dagegen hilft, einen niedrigen Bezugswert anzusetzen (damit wird alles aber niedriger gepegelt und entsprechend leise) oder den Clippingschutz zu aktivieren, der Titel, die bei Lautheits-konformer Anpassung clippen würden, nicht vollständig anpaßt.
MP3Gain ist fast immer ideal für unterwegs-Beschallung (Auto, MP3-Player) und verhindert brutale Lautheitssprünge zuverlässig. Es funktioniert leider nur bei MP3s, nicht jedoch bei MP2 und auch nicht bei Wave.
Spielt man aus MairList MP3s ab, könnte man versuchen, durch eine Wahl von z.B. "80 dB" als Bezugs-Lautheit ein Pegelverhältnis hinzubekommen, das nahezu dem im Rundfunk entspricht, also etwa -9 dBFS Spitzenpegel und dazu noch Lautheits-angepaßt. Also die brutalen Bretter deutlich unter -9 dBFS im Peak. Mit MP2 kann das MP3Gain leider nicht, mit Wave auch nicht.
7.
Was man bei Wave-Dateien bräuchte, wäre ein Replay-Gain-Algorithmus mit anschließender destruktiver (!) Behandlung der Wave-Dateien, also: entsprechende Pegelanpassung. So etwas soll es geben:
WaveGain nebst entsprechendem Frontend. Ich habe es nie getestet. Wenn es funktioniert, sollte es das gut tun, auch wenn es nicht die R128-Algorithmen beinhaltet. Dafür ist es kostenlos.
8.
Von einer ARD-Anstalt weiß ich, daß die von der "pornographischen Wirschaft" (siehe Radiopannen) angelieferten Titel (FLAC, 44.1 kHz) für die Sendeversion im Pegel angepaßt werden. Da steckt letztlich irgendsoein lautheits-sensitiver Algorithmus dahinter. Die Ergebnisse müssen jedoch immer von einem Mitarbeiter geprüft werden, da vor allem bei nicht-Standard-Mucke (alles, was nicht aktueller Rock/Pop ist) gerne mal grobe Fehler auftreten. Die Sendefassung ist dann MP2, 384 kBit/s mit 48 kHz. Das Original wandert als PCM in den Langzeitspeicher.
9.
Zur Aussteuerung nahe 0 dBFS nochmals dieser Aufsatz hier:
Das Thema Headroom bzw. Aussteuerungsreserve bei dBFS − ein häufiges Missverständnis. Auch, wenns da immer wieder Streit gibt, der offenbar einfach so stehenbleiben muß. Unten stehen die Quellen, in denen auch die Übersteuerungen von CD-Playern untersucht wurden.