Klar, dennoch ist es noch mal etwas anderes es aus dem Blickwinkel von jemanden zu betrachten, der das hört. Als AUßenstehender versteht man manche Dinge auch nicht. Beispielweise postet jemand einen Text oder liest ihn laut vor für sich und auf den ersten Blick wirkt es für die Person als wären es sinnlose Aneinanderreihungen von Wörtern oder man liest bewusst nur die "bösen" Wörter heraus aber jemand der damit aufwächst hat ja einen komplett anderen Bezug zu der Musik.
Nun gut, damit hättest Du einen Grund geliefert, warum diese Art von Musik NICHT im Radio laufen sollte. Ich hab' auch bei "meinen" (Internet-)Sendungen Material, das der Erklärung bedarf. Im Regelfall bedeutet das: Übersetzung oder ein kurzer Abriß über das Thema, von dem das Lied handelt, weil es aus einer völlig anderen Zeit oder einem anderen Kulturkreis stammt und ich nicht davon ausgehen kann, daß jeder Hörer die Tagespolitik der 60er Jahre oder so noch präsent hat oder sich mit indianischem Pow-Wow auskennt oder mit der wirtschaftlichen Situation auf Madagaskar oder was weiß ich. Ob die Hörer gut finden, was sie zu hören bekommen, kann ich nicht beeinflussen, aber ich kann zumindest Verständnis erzeugen oder ihre Aufmerksamkeit auf bestimmte Elemente richten, die sich ihren Hörgewohnheiten entziehen. Das kann ich aber nur von Lied zu Lied machen, weil ich nicht davon ausgehen kann, daß die Menschen, die beim nächsten Mal einschalten, zu 100 % mit denen identisch sind, die beim letzten Mal reingehört haben. Also - wenn ich beim nächsten Mal nochmal was spielen soll oder will, muß ich diese Erklärungen ein weiteres Mal liefern. Wenn nun Musik mit Texten laufen soll, die provokant sind und sein sollen, aber nicht so gemeint sind, dann hätte ich im Vorfeld gerne gewußt, WIE sie gemeint sind und wie ich das den Hörern klar machen kann, ich kann sie nicht unvorbereitet auf die Lieder loslassen, weil sie sich dann automatisch bei mir beschweren, was ich dafür 'ne Kacke laufen lasse. Es ist leicht gesagt, daß so jemand wie Kollegah bestimmt das mit dem Körper "definierter als Auschwitzinsassen" nur so dahergesagt hat, um zu provozieren. Nun ist Kollegah aber auch jemand, der auch abseits dieses Lieds sich nicht unbedingt freisprechen kann von Antisemitismus oder Verschwörungstheorien oder anderen provokanten Zeilen. Ich will wissen, wenn ich etwas über den Äther schicke, in dem etwas über die artgerechte Haltung von Frauen gefaselt wird, daß ich da nicht einem Frauenverachter Wasser auf die Mühlen gebe. Die Wellen schlagen schon hoch, wenn heutzutage ein Lied von Gary Glitter auf einem Soundtrack auftaucht, auch wenn er sich darin nicht über den Umgang mit Minderjährigen ausläßt. Das Risiko ist also bei einer Stilrichtung, die jeden saudummen Spruch mit "Hat er bestimmt nicht so gemeint" entschuldigt, enorm hoch, daß da auch Sachen gesendet werden, die 100%ig so gemeint waren.
Nicht jedes Wort was so ausgesprochen wird ist auch so gemeint. Ich höre die Musik nicht ausschließlich wegen den Wörtern. So wie in manchen Songs gerappt wird so rede ich auch nicht mit anderen Menschen - trotzdem fasziniert mich die Musik irgendwie und ich fühle mich mehr verstanden als bei so manchen Popsongs. Die Menschen, die es hören verstehen es und für sie ist es kein Problem. Das bedeutet natürlich nicht, dass man alles unkritisch und unreflektiert hinnimmt. Auf ihre Art und weise haben diese Rapper natürlich auch eine Vorbildsfunktion ob sie das auch immer sind darüber kann diskutiert werden. Wegen der Musik sind aber nicht mehr Leute drogenabhängig oder kriminell geworden. Ich konnte immer zwischen Kunst und Realität unterscheiden.
Da wär' ich vorsichtig. Für mich ist diese Gangsta-Rap-Geschichte vor allem irgendeine dumme Räuber-und-Gendarm-Geschichte, die vor Oberflächlichkeit und dummen Aussagen strotzt und Jugendliche damit anzieht. Ich will nicht sagen, daß die damit automatisch drogensüchtig oder kriminell werden. Aber sie bekommen dumme Ideen vorgesetzt, über die sie vielleicht anders denken, wenn sie nicht so sehr geerdet sind, und leider ist das in Zeiten von Eltern, die immer weniger für ihre Erzeugnisse Zeit haben, nicht mehr unbedingt der Standard.
In den USA z.B. hat Rap eine große Vergangenheit und dort auch viel mehr Einfluss auf die Kultur - allerdings kommt der Rap auch größtenteils von dort und dort gibt es ja auch die ersten Rapper, die schon über 50 sind und dementsprechend auch Fans, die älter sind und die Musik hat mehr Generationen geprägt als in Übersee.
Ja, aber in den USA hatte HipHop schon eine mindestens 15jährige Geschichte, als der Gangsta-/Battle-Rap in diesem Übermaß aufkam und sich langsam so weit zuspitzte, bis unter anderem Tupac oder Biggy Smalls ins Gras beißen mußten. In Deutschland fand man zunächst diese paradoxe Situation vor, wo jeder sagte "Das ist Underground, das darf nicht Kommerz werden" und deshalb die Fanta 4 für ihren Erfolg entsprechend Kritik einstecken mußten, obwohl in den USA schon längst die Charts mit HipHop vollgestopft waren. Als der Gangsta-Rap größere Wellen schlug, hat man das in Deutschland fast umgehend als den "wahren HipHop" adaptiert, obwohl das niemals der Fall war. Wohlgemerkt - OHNE die langjährige Geschichte im Hintergrund, aber MIT dieser Schere im Kopf, daß die kommerziell erfolgreicheren Gruppierungen nichts mit HipHop zu tun hätten. Das führte dazu, daß in den USA sich immer noch eine deutlich buntere Szene entwickelt hat als in Deutschland, weil die Leute viel freier und weniger mit Vorurteilen behaftet andere Stile adaptieren oder herumexperimentieren konnten als in Deutschland. Hierzuland sehe ich eine Entwicklung, wie sie in den USA seit Jahr und Tag stattfindet, praktisch erst im aktuellen Jahrzehnt, und der Gangsta-Rap ist immer noch ebenso stumpf wie populär. Das Publikum in Deutschland hat den HipHop niemals so goutiert, wie er sich in den USA entwickelt hat. Obwohl es da sehr gute Ansätze gab.
Es gibt allerdings auch Rap ja schon Künstler, die mindestens 10-15 jährige Karrieren auf dem Buckel haben und sich immer noch halten wie z.B. Bushido, Sido, B-Tight, Fler, Dendemann, Prinz Pi, RAF Camora, Summer Cem oder Moses Pelham. Das bedeutet ja schon mal, dass die Musik und manche Künstler schon eine Langlebigkeit haben und die Musik dieser Künstler von heute 30 Jährigen (damals noch Teenager) und auch von den jetzt jungen Menschen gehört werden. Diese Musik hat ja schon mehrere Jahre von Altergruppen geprägt.
Würde ich so nicht sagen wollen. Ich schreibe einen ähnlichen Effekt den Künstlern wie den Amigos oder den Klostertalern zu. Mir kann keiner erzählen, daß heutzutage die jungen Kiddies sich mit den älteren Jahrgängen um die Ergüsse der Amigos oder der Klostertaler kloppen. Die älteren Jahrgänge haben wahrscheinlich nur ein paar Euro mehr auf der hohen Kante, um in Zeiten, wo man relativ wenig finanziellen Erfolg braucht, um in die Charts oder in irgendwelche preisverdächtige Kreise zu geraten, einfach ein bißchen stärker das Pendel zum Ausschlagen zu bringen.
Gruß
Skywise