Farin Urlaub: Formatradios haben das Medium Radio zerstört

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Unsere Radiolandschaft ist das tägliche Angebot einer Warmwasserdusche. Da kann man sich behaglich drunter stellen und sich stundenlang berießeln lassen. Keiner bestreitet, dass das angenehm ist. Deshalb ist es auch erfolgreich.

Dass das Dudelradio erfolgreich ist möchte ich entschieden bestreiten. Das bisschen Rendite reicht vielleicht mal gerade zum Überleben (wenn überhaupt) und außerhalb der um Präsenz und "Mehrgleisigkeit" bemühten Zeitungskonzerne findet sich kaum noch jemand, der waghalsig genug wäre in einen Ultrakurzwellensender zu investieren, der mit geringen Einnahmen, strengen Auflagen und einem hohen Maß an Fremdbestimmung einhergeht. Unter anderen Voraussetzungen könnte man mit terrestrischem Hörfunk heute sehr wohl noch einen guten Schnitt machen, aber leider sind die Rahmenbedingungen im FM-Band nicht gerade wettbewerbsfreundlich. Die Wertvolleren unter den öffentlich-rechtlichen Radioprogramme haben sehr wohl noch eine loyale Stammklientel, aber die wird von der Werbebranche üblicherweise mit schlechten Tarifen abgespeist.

Dass Dudelradio "behaglich" oder "angenehm" ist dürfte nicht dem Grundempfinden der überwiegenden Mehrheit entsprechen. Man hört es notgedrungen wenn man nichts besseres zur Hand hat, deswegen promoten die Sender ja auf Teufel komm raus. Die Verantwortlichen wissen genau, dass die Leute nur noch kurz reinhören und so muss man dafür sorgen, dass die Masse der Gelegenheitshörer auch bei seltenem Konsum die Singles aufschnappt, die sich verkaufen sollen.

Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass es viele Leute gibt, die nach Hause kommen, die Beine hochlegen und sich mit ein paar Takten Hitradio in Stimmung bringen; zuhause sieht man fern, hört seine eigene Musik oder verliert sich in den Weiten des Internets. Und wenn man Radio hört, dann wählt man gezielt qualitativ anspruchsvolle journalistische Einschaltsendungen oder hört musikalische Spezialformate.
 
Dass das Dudelradio erfolgreich ist möchte ich entschieden bestreiten. Das bisschen Rendite reicht vielleicht mal gerade zum Überleben (wenn überhaupt)

Man muss schon ziemlich gierig sein, um 10 - 30% Rendite als "bisschen" oder "reicht gerade zum Überleben" zu bezeichnen. Ich zitiere mal die BLM aus 2011 (siehe: http://www.blm.de/de/pub/aktuelles/...elease_ID=1696&eventPress=press.DisplayDetail):

Mit diesen Einnahmen haben die privaten Stationen einen Kostendeckungsgrad von 117 Prozent erreicht. Deutlich sind dabei die Unterschiede zwischen den landesweiten und den lokalen Anbietern. Während beim landesweiten Hörfunk der Kostendeckungsgrad bei 130 Prozent liegt, kommen die Lokalradios auf einen Wert von 110 Prozent.

Das sind natürlich nur Durchschnittswerte und diese beziehen sich ja auch nur auf Bayern, aber die Aussage vermittelt in finanzieller Hinsicht einen Einblick, wo der Hammer hängt.
 
Nun ja, Bayern ist nicht Deutschland. Und wie sich die Zahlen errechnen ist auch nur sehr schwer zu ergründen, sollte Antenne Bayern tatsächlich 30% Rendite machen ist das aller Ehren wert, inwiefern in diesem Ergebnis Steuern und Abgaben bereits berücksichtigt sind kann ein Außenstehender sowieso nicht beurteilen. Vielleicht verfügt da jemand über mehr Detailwissen.

Ich mache mir heute einen schlanken Fuß und kopiere einfach diesen überaus erhellenden Beitrag, den TS2010 am 12. März im MA-Thread erstellt hat:

Laut einer Studie der Landesmedienanstalten betrug der Kostendeckungsgrad beim privaten Hörfunk im Jahr 2010 113 Prozent, beim bundesweiten Hörfunk 93 Prozent, beim landesweiten Hörfunk 119 Prozent und beim lokalen Hörfunk 108 Prozent. Im Boomjahr 2000 lag der Kostendeckungsgrad bei 116 Prozent, im Krisenjahr 2003 bei 106 Prozent. Interessant finde ich auch, dass sich der private Hörfunk anscheinend allein aus den Erträgen der klassischen Spotwerbung nicht refinanzieren kann (bin mir allerdings nicht sicher, ob da Sponsoringeinnahmen miteinberechnet sind, die ~ 7 % des Umsatzes betragen): Die Werbeeträge wurden für das Jahr 2010 auf 560 Millionen Euro beziffert, der Aufwand auf 570 Millionen Euro.

Wenn die Werbeeinnahmen einen gewinnbringenden Betrieb nicht mehr zulassen, darf man fragen wie diese satten Renditen erwirtschaftet werden. Ich weiß nicht welchen Stellenwert Promotion, Sponsoring und Gewinnspiele (Mehrwertnummern, Aufkleber etc.) mittlerweile einnehmen, aber für 30% Rendite dürfte es nicht reichen...
 
Ich habe gerade mal nachgerechnet und die Sponsoringeinnahmen scheinen schon mit einkalkuliert zu sein in die Werbeerträge, wobei sich die Zahlen ohnehin alle nicht so ganz decken. Wer weiß, wie genau das Datenmaterial ist, das da von den Medienanstalten zusammengetragen wurde, aber anscheinend machen die Werbeerträge schon einen Batzen von 85-90 % des Umsatzes aus.

30 % Rendite sind bei landesweiten Hörfunksendern durchaus realistisch, das sieht man ja schon am Kostendeckungsgrad - nur sieht das halt nicht bei allen Radiosendern so rosig aus und die meisten Sender in Deutschland agieren eben doch nur auf der lokalen oder regionalen Ebene. Gerade beim lokalen Hörfunk kann das in Krisenzeiten dann ganz schnell mal ins Minus rutschen, wenn der Kostendeckungsgrad in "guten" Jahren (na ja, in der Werbung herrscht ja eigentlich immer irgendwie Krise) wie 2009 und 2010 auch nur 106 bzw. 108 % beträgt.

Hier nochmal eine genauere Aufschlüsselung:

Beim bundesweiten Hörfunk: 55,1 % Werbung/Sponsoring, 37,9 % Sonstige Umsätze, 1,3 % Auftragsproduktion, Programm- und Rechteverkäufe, 1,4 % Veranstaltungen, 2,0 % Call Media, 2,4 % Fördermaßnahmen

Beim landesweiten Hörfunk: 45,5 % überregionale Werbung, 36,7 % lokale/regionale Werbung, 7,1 % Sponsoring, 3,2 % Veranstaltungen, 1,7 % Call Media, 1,4 % Auftragsproduktion, Programm- und Rechteverkäufe, 0,9 % Online-Werbung, 3,2 % Sonstige Umsätze, 0,2 % Fördermaßnahmen, 0,1 % E-Commerce

Beim lokalen Hörfunk: 22,8 % überregionale Werbung, 58 % lokale/regionale Werbung, 6,6 % Sponsoring, 2,9 % Veranstaltungen, 1,6 % Auftragsproduktion, Programm- und Rechteverkäufe, 0,7 % Online-Werbung, 0,1 % Call Media, 0,6 % Fördermaßnahmen, 0,3 % E-Commerce
 
Respekt, da hast du in kürzester Zeit einen sehr aufschlussreichen und ergiebigen Beitrag aus dem Arm geschüttelt. Aber was verbucht man eigentlich alles unter "sonstige Umsätze"? Fällt das unters Betriebsgeheimnis?

Andererseits sollte man annehmen, dass der einzige landesweite Privatsender eigentlich eine Lizenz zum Gelddrucken haben müsste, Krise hin oder her...
 
Ansonsten wundert es mich ein wenig, dass dieser Thread nun inzwischen auf der dritten Seite angekommen ist. Farin Urlaub hat im Grunde nichts Neues gesagt und hier in den Beiträgen wird auch nur von der Linercard runtergebetet, wie sehr die deutsche Radiolandschaft verkommen ist. Ansonsten kann ich eigentlich nur das unterschreiben, was auch schon Radiokult geschrieben hat... Gerade die Ärzte produzieren doch nun mit ihrer als Spaßpunk für Vorpubertierende verkleideten Gesellschaftskritik einen Formatradio-Hit nach dem anderen und zwingen mich dadurch immer wieder, das Radio umzuschalten, wenn mal wieder "Lasse reden" oder ähnliches aus ihrem Repertoire läuft. Ich finde das extrem heuchlerisch und unehrlich, was der Herr Urlaub da von sich gibt.

Respekt, da hast du in kürzester Zeit einen sehr aufschlussreichen und ergiebigen Beitrag aus dem Arm geschüttelt. Aber was verbucht man eigentlich alles unter "sonstige Umsätze"?

Das würde ich auch gerne mal wissen... Gerade beim bundesweiten Hörfunk ist das ja nicht unerheblich.
 
Aber was verbucht man eigentlich alles unter "sonstige Umsätze"?

z.B. Zinseinnahmen. Kaum ein Unternehmen in der Größenordnung eines landesweiten Privatsenders (und vielleicht auch einige öffentlich-rechtliche Anstalten) wird auf (halbwegs) sichere Einnahmen aus der kurz- oder langfristigen Vermietung von verfügbarem Kapital verzichten. Nebenbedingung: Liquidität. Sowas setzt jedoch eine gewisse und auch seriöse Planung voraus.
 
Ich finde das extrem heuchlerisch und unehrlich, was der Herr Urlaub da von sich gibt.
Sollen sie dagegen protestieren, dass die Sender ihre Lieder spielen? Die Ärzte haben schon vor fünfundzwanzig Jahren "Radio brennt" gesungen, später gegen Antenne Bayern angestänkert, und jetzt halten sie ihre Linie durch. Was ist daran heuchlerisch? Heuchlerisch wäre es doch, wenn sie, da sie inzwischen vom System profitieren, dieses System nun verteidigen würden?

Die Richtigkeit der Kernaussage von Farin Urlaub wird mir jedesmal deutlich, wenn ich Jugendliche oder Studenten (die nicht aus Berlin-Brandenburg* oder Südbayern** kommen) frage, ob sie Radio hören, und ich als Antwort nur einen verstörten Blick oder Augenrollen bekomme. Der immergleiche Einheitsbrei von 87,6 bis 107,9 MHz hat dazu geführt, dass Radio als Medium überhaupt bei einer kompletten Generation verbrannt ist. Radio brennt.

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* Radio Eins
** FM4
 
Die Richtigkeit der Kernaussage von Farin Urlaub wird mir jedesmal deutlich, wenn ich Jugendliche oder Studenten (die nicht aus Berlin-Brandenburg* oder Südbayern** kommen) frage, ob sie Radio hören, und ich als Antwort nur einen verstörten Blick oder Augenrollen bekomme. Der immergleiche Einheitsbrei von 87,6 bis 107,9 MHz hat dazu geführt, dass Radio als Medium überhaupt bei einer kompletten Generation verbrannt ist. Radio brennt.
Wie kommt es dann, dass meine Neffen die aktuellen Hits, welche im Radio gespielt werden, kennen?
Vielleicht hast Du nur Jugendliche einer gehobenen Schicht gefragt.
Das Radio nicht brennt, beweisen täglich Millionen von Hörern.
 
Berry schrieb:
Wie kommt es dann, dass meine Neffen die aktuellen Hits, welche im Radio gespielt werden, kennen?
Vielleicht, weil sie andere Alternativen haben, um sich über aktuelle Chartmusik zu informieren? Schon mal von Youtube gehört oder davon, daß Musikdateien getauscht werden oder, oder, oder...?
 
Das Radio nicht brennt, beweisen täglich Millionen von Hörern.
Das muss ja nichts heißen! Viele von diesen Hörern haben doch gar keine Ahnung, was gutes Radio überhaupt ist, bzw. was öffentlich-rechtlicher Rundfunk bedeutet! Die hören morgens zum Aufstehen ihren Hitdudler mit Comedy und das wars!!!
 
Ich kenne auch die meisten Titel welche im Radio gespielt werden, und Berry fällt Dir etwas auf? Das war total wertfrei und sagt nichts darüber aus ob diese mit ge- oder mißfallen.
 
Wer in diesem Forum nicht als intellektueller Dauermeckerer auftritt wird beleidigt.

Gut erkannt. Allerdings haben die meisten der Meckerer hier wohl weniger ein Problem mit dem Radio als mit ihrem Leben. Da sucht man sich eben ein Ventil.

Konsumenten der Hitradios wertet man einfach als ahnungslose Volldeppen ab, die eh nicht wissen, wie Radio gefälligst zu sein hat, und wertet sich selbst durch solche Kommentare zum mündigen Bildungsbürger auf. Dass solcherlei Programme, wie sie von ca. 12 Leuten in diesem Forum ständig gefordert werden, keine nennenswerten Hörerzahlen (und damit Null wirtschaftlichen Erfolg) zu verbuchen hätten, wird dabei selbstverständlich erfolgreich ignoriert.
 
Ich möchte Farin Urlaub widersprechen:
Formatradio haben das Medium Radio nicht zerstört, sondern flaches Formatradio. Selbst DLF, WDR 5 und MDR Figaro sind zu einem großem Teil formatiert. Doch man merkt es bei den Inhalten nicht immer.

Sorgen mache ich mir jedoch um DKultur. Trotz großer Frequenzen, z.B. im Ruhrgebiet, sind die Reichweiten kaum messbar. WDR 5 beweist dagegen im gleichen Sendegebiet, das man eine interessierte "Zuhörerschaft" an sich binden kann.

Im Beruf erlebe ich häufig, das viele Radio nicht mehr wahrnehmen. Aber Hörbücher nutzen sie gerne. Den Hinweis auf Radiotatort, Podcastings verschiedener Sender und Hörspielprogrammzeitschriften in Verbindung mit dem DradioRecorder eröffnet meinen Kunden neue Welten. Da gibt es ein Angebot für eine interessierte Zielgruppe, doch die kennt nicht mal die Sender wo so etwas angeboten wird. Sogar formatiert zu immer der gleichen Uhrzeit eines Tages. Wäre doch mal eine positive Aufgabe für GEZ-Werbung...
 
Sorgen mache ich mir jedoch um DKultur. Trotz großer Frequenzen, z.B. im Ruhrgebiet, sind die Reichweiten kaum messbar. WDR 5 beweist dagegen im gleichen Sendegebiet, das man eine interessierte "Zuhörerschaft" an sich binden kann.
Richtig, für DKultur wäre ein neues Programmkonzept notwendig.
 
Früher war alles besser? Stimmt nicht. Deutsches Radio hat bis in die 70er Jahre allerhöchstens 10% gutes Qualitätsprogramm zustande gebracht: 90% waren oberlehrerhaft, stümperhaft, selbstbeweihräuchernd, musikalisch und politisch missionierend, Propaganda oder einfach nur langweilig.

Dagegen haben wir doch gewaltige Fortschritte gemacht: nur noch 85% Schrott!
In den verbliebenen 15% kann jeder was Passendes für sich finden - paradiesische Zustände...

(Allerdings müllt uns der Schrott immer mehr zu, weil sich die Zahl der Programme vervielfacht hat.)
 
Wenn jeder von uns einen Volksempfänger hätte, mit nur e i n e r voreingestellten Frequenz, die nur e i n e n Formatradio-Sender empfangen kann. Dann wäre ich auf der Seite aller Kritiker, die scheinbar eine grün-sozialistische Regelungswut in der Abschaffung des Formatradios zu packen scheint.
Wieso - wenn euch denn dieses Formatradio so derart ankotzt - schaltet ihr denn nicht einfach weg zu einem anderen Sender? Ich habs längst getan.
 
Berry schrieb:
Und warum hören sie dann Radio?

Weil Radio - richtig gemacht - mehr ist als nur eine Musikabspielstation.

Jingleberger schrieb:
Konsumenten der Hitradios wertet man einfach als ahnungslose Volldeppen ab

Das ist in der Tat eine Gefahr. Man sollte die Aufmerksamkeit vielleicht mehr auf die bedingungslosen Verteidiger der Hitradios richten und nicht so sehr auf die gedankenlosen Konsumenten.
 
Dürfen ist das Eine, Können das Zweite. Wenn ich das Radio einschalte fällt mir eins auf: Bei den POP Sendern läuft, egal zu welcher Zeit, immer das gleiche. Schaltet man auf Oldies, dann läuft genau die Musik die man schon vor 30 Jahren nicht leiden konnte. Geht man auf Info, dann bekommt man Diskussionen die zur gleichen Zeit in allen anderen Newssendungen diskutiert werden. Mir kommt es vor, als ob man im Deutschen Radio UND TV nur schaut was der Andere macht und kopiert dies einfach. Frei nach dem Motto: wenn es alle tun muß es gut sein. Der Tod der Medien würde ich deshalb nicht prophezeien, die verblödung jedoch sofort.
 
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