Erstmal: ich stehe als zwar ev. getaufter "Ossi" und als Naturwissenschaftler den Kirchen (und Religionen allgemein) eher etwas distanziert gegenüber. Ich brauche kein Bild eines an ein Holzkreuz genagelten jungen Mannes, um mich daran zu erinnern, irgendwie "tugendhaft" sein zu sollen. Ich hatte aber in den vergangenen Jahren die Gelegenheit, unabhängig von Religionen auf eine Ebene spirituellen Empfindens blicken zu können - und da sind plötzlich alle Religionen im Kern "eins": das Staunen über das Wunder des Lebens.
Die "Ausschmückungen", die kulturhistorisch um die einzelnen Religionen gewachsen sind, mögen diese Ursprünglichkeit verschleiern bis völlig unkenntlich machen oder sie im Extremfall sogar pervertieren, aber ich habe erlebt, wie Christen aller Konfessionen zusammen mit Muslimen, Juden und Buddhisten, Anhänger diverser kleiner "oberschräger" Glaubensrichtungen sowie ner Menge sich keiner Religion zugehörig fühlenden Menschen gemeinsam in einer sehr angenehmen Weise leben, arbeiten und feiern konnten und können. Wäre unsere Gesamtgesellschaft so drauf, hätten wir ein tatsächlich lebenswertes gesellschaftliches Klima. Basis kann hier keinesfalls ein spezieller "Glauben" gewesen sein - dazu war es viel zu divers. Basis war die Achtung des Lebens. So ist es mir am angenehmsten.
Mir stellt sich eher die Frage, ob es im öffentlich-rechtlichen Rundfunk fast täglich noch kirchliche „Worte zum Tage“ oder Ansprachen geben muss.
Aus meiner Sicht: sollte es geben. Zumindest regional gehören kirchliche Aktivitäten fest zur Alltagskultur und darüber hinaus gehören gewisse historische Ereignisse zur Kultur des ganzen Landes. Dies auch im gebührenfinanzierten Rundfunk abzubilden erachte ich als Pflicht. Genau wie andere Teile der Kultur auch, die aber weitgehend aus dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk verschwunden sind (im Thüringer Wald gibt es z.B. heute noch Chöre etc.).
Man werfe nur einmal einen Blick auf die
Astra-Radiosenderliste - ich sehe dort mehr als zehn deutschsprachige Religiöse: HCJB, Lebensquelle, Freundesdienst, HopeChannel, ERF und wie sie alle heißen.
Das ist teils auch eine auf modernere Verbreitungswege gewechselte einstige "Missionierungskultur" von den Kurz- und Mittelwellen. Gab es vor Jahrzehnten auch schon (zu See-Piratensender-Zeiten beispielsweise, wurde dann dort auch von einem DJ persifliert). Was da im Detail läuft, entzieht sich meiner Kenntnis, es wird aber nicht gesellschaftlich finanziert (stecken wohl des häufigeren Spenden dahinter) - sollen sie doch machen, solange es auf dem Boden des Grundgesetzes geschieht, solange es aus Deutschland stammt.
Ich persönlich nutze die Kirchenradiosender nicht. Wenn ich mir allerdings das Alter des durchschnittlichen Kirchgängers anschaue, würde ich mir tatsächlich, wie in anderen Ländern üblich, Kleinstsender an den Kirchen wünschen, die nur den Gottesdienst übertragen: Für die Leute eben, die es körperlich nicht mehr dorthin schaffen.
Ja, solche Kleinsender fände ich auch gut, müsste aber UKW sein (Radios vorhanden, Betroffene sind der Bedienung vertraut). Das Alter der durchschnittlichen Kirchgänger kann aber auch ganz anders aussehen. Erlebe ich hin und wieder im Osten: wenige, aber deutlich jünger. Da wächst nun eine neue Generation nach, nach Jahrzehnten der weitgehenden Unterbrechung. Da stehen dann Familien mit kleinen Kindern früh um 5 beim Osterfeuer vor der Kirche. Ich weiß es, weil ich da auch hingehe - als einziges kirchliches Event im Jahr. Und finde dann schon Teile des Ablaufs "schräg".
Gerade heute Abend sprach ein Kollege darüber, dass religiöse Gemeinschaften Rücksicht der Bevölkerung verlangen, und er stellte im Anschluss die Frage wie viel Rücksicht im Gegenzug auf diejenigen, die keiner Religionsgemeinschaft angehören, genommen wird (tagtägliches Glockenläuten, kirchliche Sendungen im Rundfunk,...).
Ja, ich weiß: "können die Nichtraucher bitte zum nicht Rauchen rausgehen?"
Und noch 2 Cent von mir: wir können nicht gleichzeitig Angst vor einer "Islamiiserung" des Landes haben und die in unserer eigenen Kultur nunmal verankerten Regligionen vernachlässigen. Ich nehme das ganz besonders in Ostdeutschland wahr: da hat die DDR äußerst "erfolgreich" die Kirchen an den Rand gedrängt und ihnen den Nachwuchs vorenthalten durch Repressalien und zwangsweises Anbieten/Verordnen einer Art "Staatsreligion" (Jugendweihe, SED-Führerkult, ...). Und gerade im Osten ist die Angst vor dem religiös Fremden am größten, ich kenne auch aus dem eigenen weiteren familiären Umfeld heftige Reaktionen von Panik oder Ekel (ja, "Ekel" passt am besten für die erlebten Reaktionen). Und die Kirchenleute, die in meiner Heimatregion wirklich aktiv sind, was tun die? Die bieten dann Hilfe für Flüchtlinge an, organisieren gemeinsame Events etc. Das passt wohl auch nur auf den ersten Blick nicht zusammen.