Bitte beachte, dass ich kein Profi bin. Ich könnte jetzt spontan 2 mir bekannte und hier aktive Profis aus dem Sende- bzw. Sendernetzbetrieb benennen, aber die sind mit anderen Beschäftigungen "dicht" und haben offenbar keine Zeit für solche Prosa. Sonst hätten sie schon geschrieben.
Auch ich habe beim Thema "R128" mehr als genug offene Fragen / unklare Punkte, befasse mich aber auch nicht näher damit. Als Hobby ist Hörfunk für mich nicht mehr befriedigend und als Job nicht anwendbar.
Ähnliches würde ich ja auch gerne hr1 anraten, denn deren Musikauswahl hat keinen loudness range (LRA) von dreikomma verdient.
Während "Lass knacken" mit Werner Reinke und Thomas Koschwitz war das "Getöse" bei hr1 auch schonmal (oder gar mehrmals?) deaktiviert worden. Werner Reinke hatte das auch entsprechend kommentiert, soweit ich mich erinnere. Nach Ende der Sendung schaltete man vor den Nachrichten wieder zu - sofort hatte man beinahe einen "Orkan" als Hintergrundgeräusch. Das wunderte mich damals dann doch, da ich nicht damit gerechnet hatte, dass man das Processing einfach so auf "nur das, was UKW braucht" reduzieren kann. Da ich aber niemals an Optimods oder Omnias gefummelt habe, kann ich dazu nichts sagen.
Auf der hr-Webseite gab es vor vielleicht 10-15 Jahren auch mal im "Technik"-Bereich eine entsprechende Seite, die erklärte, warum FFH und hr3 lauter als die anderen Programme sind. Da sich die hr-Webseiten offenbar nicht archivieren lassen und aus dem Webarchiv auf hr.de redirecten, kann, hier der Screenshot von 2014:
(verächtlich auch als "elektronische Wanzen" abqualifiziert)
Wieso verächtlich? Sind sie doch.
Mein Musikarchiv ist verdächtig oldielastig und könnte nicht immer mit -16 LUFS mithalten.
Das ist dann halt die Stelle, an der man die einsame Entscheidung treffen muss, beim Aufholen von -23 LUFS auf Distributionslautheit doch zu komprimieren - oder halt mit niedrigerer Distributionslautheit zufrieden zu sein.
Was bei mir noch als subjektiver Eindruck hinzukommt: nimm nen Sack Audiofiles aus mehreren Jahrzehnten mit der jeweils zu dieser Epoche gehörenden "Produktions-Ästhetik", setze sie alle auf jeweils gleiche R128-Lautheit, spiele sie im wilden Mix ab - und es wirkt nicht wirklich homogen. Da ist so viel mehr, da sind unterschiedliche "Bass-Lastigikeiten", unterschiedlich aggressiver oder dezenter Hochtonbereich, dass das auch bei gleicher Lautheit nicht ohne Brüche in der Anmutung vonstatten geht. U.a. auch dafür nutzt man ja das bekannte Multibandprocessing, damit am Ende alles irgendwie ähnlich klingt. Ist nicht im Sinne der "Werktreue", ich mag es nicht, aber ich kanns irgendwie auch verstehen, dass andere die einheitlichere Anmutung gegenüber der Originalqualität bevorzugen.
Außer einem Notbremslimiter™ für unkomprimierte Sprache kommt bei mir kein DSP zum Einsatz.
@Ralle_Köln hat hier im Forum soweit ich mich erinnere mehrmals Anmerkungen fallen lassen zur Sprachbearbeitung für bestimmte Zielstellungen, von Kulturwelle bis Popwelle. Das unterschied sich je nach Zweck dann in der Kompression.
Jetzt wurde aber angedeutet, dass die temporäre Ausnahme für "loudness in streaming" so lange gilt, bis smarte Geräte in der Lage sind, den als Metadatum mit übertragenen Zielpegel auszulesen und umzusetzen.
Das ist mir neu.
Das ist mir mangels eingehenderer Befassung damit auch bislang nicht bekannt gewesen.
Wird es eine Zukunft geben, in der die Sender / Streamer dem Empfangsgerät mitteilen, wie laut das Programm ursprünglich sein sollte oder man den gewünschten Zielwert erreicht? Das wäre zweifelsohne spannend.
Ich empfände es als chaotisch. Aber das gibt es ja schon.
Dolby AC-3 kennt z.B. einen "Dialnorm"-Wert, eine nach bestimmter Messvorschrift (die ich nicht kenne) ermittelte Lautheit, die sich auf die Filmdialoge bezieht. Man kann damit in 1-dB-Schritten den Pegel absenken mittels Metadaten. Bezug sind nach einer entsprechenden Vorschrift gemessene Werte, ein Metadatum von dn = -31 dB führt zu keiner Absenkung im Endgerät, dn-Werte größer -31 dB führen zu einer Absenkung mit enstprechendem Dämpfungswert, also dn = -30 dB führt zu 1 dB Absenkung, dn=-20 dB führt zu 11 dB Absenkung etc. Das sollte dann Programmelement für Programmelement angewendet werdne, um z.B. Werbespots und Filmdialoge in der Lautheit anzugleichen.
Schnelle Fundstellen:
en.wikipedia.org
und vor allem
Da geht also noch mehr, auch Eingriffe in die Dynamik statt nur statische Einstellung.
Dass bei R128 auch irgend sowas vorgesehen ist, überrascht mich (mangels eingehenderer Befassung), da ich das Konzept da bislang eben völlig anders verstanden hatte: gleiche Lautheit auf Anbieterseite schaffen, nicht auf Empfängerseite. Also anbieterseitig nach R128 aussteuern, dann muss man zu Hause nichts mehr regulieren.
Als die ARD ihren Hörfunk noch via Satellit im hoch kompatiblen MP2 anbot, gab es für einige Kulturwellen (BR Klassik, SWR 2, WDR 3, hr2, MDR Kultur, NDR Kultur) auch eine zusätzliche Tonspur mit 448 kBit/s AC-3. Die konnte auf 5.0 oder 5.1 konfiguriert werden für spezielle Multichannel-Sendungen. Teils liehen sich auch andere Wellen der jeweiligen Anstalt diese Spur aus, z.B. erinnere ich mich an eine Hörspielserie auf 1Live, die über die AC-3-Spur von eigentlich WDR 3 übertragen wurde, die dafür für eine Woche oder so PID-mäßig auf 1Live umgehängt wurde.
Nun wollte man aber über diese AC-3-Spuren den Originalpegel / die Original-Lautheit der jeweiligen Hörfunkwelle übertragen und vermeiden, dass in Endgeräten noch herumgeregelt wird. Also setzte man den dialnorm-Wert knallhart dauerhaft auf -31 dB, dann machen spezifikationskonforme AC-3-Decoder nichts und leiten pegelmäßig 1:1 durch. Hier das Parameterset von BR Klassik, wie damals aus einer Aufnahme extrahiert:
AC-3, CM, 2/0(2.0), bsid 8,
dn -31dB, notDS, 48000Hz, 448kbps
Inzwischen wird der ARD-Hörfunk mit Ausnahme von NDR Kultur (dort weiterhin AC-3, das einzige mit allen HDTV-Receivern kompatible und wirklich hochwertig übertragene Programm) ja via DVB in LC-AAC angeboten. AAC kennt in der DVB-Systemfamilie zwei Eingriffswege, über Metadaten Lautheit und Dynamik zu manipulieren. Einmal geht das über Daten innerhalb der DVB-Datenstruktur, andererseits geht das über Daten, die im AAC-Datenstrom (in den ancillary-data-Bereichen) übertragen werden. Siehe dazu
Kapitel 6.4.3 Seite 160/161
The IRD shall support the MPEG-4 AAC Dynamic Range Control (DRC).If a program reference level is not transmitted in the bitstream, it is strongly recommended that a program reference level of -23 dB is assumed.
It is strongly recommended that each IRD operates either at a target level of -23 dB or at a target level of -31 dB.
(IRD - Integrated Receiver-Decoder, also "Receiver")
und dann halt Kapitel C.5.4., Seite 223ff.
Als die ARD 2021 mit dem AAC-Gemurkse via DVB begann, gab es die verrücktesten Rückmeldungen Betroffener. Deren Geräte schwiegen entweder (damit hatte sich alles weitere sowieso erledigt und die offizielle Aussage der ARD, dass AAC meist unterstützt würde, war als Falschaussage enttarnt) oder sie spielten verglichen zum noch parallel laufenen Hörfunktransponder in 320 kBit/s MP2 zu leise, zu laut (bis in brutale Verzerrungen) oder regelten eigenmächtig an Pegel und Kompression (!) herum. Hier dazu Meldungen und feine Screenshots:
www.rundfunkforum.de
www.rundfunkforum.de
www.rundfunkforum.de
Die wilden Geschichten von permanentem Leise-/Lautregeln (!!!) von Empfangsgeräten stehen auch irgendwo. Hatte selbst entsprechende Rückmeldungen aus dem Bekanntenkreis, betroffen waren TechniSat (auch "Premium"-Geräte), weitere Receiver von billig bis teuer und auch Fernseher international bekannter Marken.
Irgendwann wurde klar, dass die ARD (zu diesem Zeitpunkt nur BR, MDR, rbb, NDR/RB, die AAC-Encoder von Qbit verwenden) spezifikationswidrig RDS-Daten in die Ancillary-Data-Bereiche des AAC-Datenstromes schreibt. Die wurden von manchen Geräten als DRC (Dynamic Range Control) Data fehlinterpretiert und entsprechend sinnfrei angewendet. Besonders heftig wohl beim MDR, der das umfangreichste RDS-Datenset (fast alle RDS-Features) überträgt.
Mitte Januar 2022 wurde dann das Thema dadurch entschärft, dass Qbit die RDS-Daten-Einbettung segmentierte, so dass bestimmte Hexcodes nicht mehr im Datenstrom vorkommen, Fehlsteuerungen sollen damit vermieden werden. Der Encoderhersteller Ferncast, mit dessen Encodern SWR/SR, WDR und hr laufen, zog dann entsprechend nach. Die RDS-Daten waren vorher bei den Anstalten mit Ferncast-Encodern aber sowieso nicht in die Ancillary Data eingebettet, sondern wurden auf separatem Datenstrom ("Private Data") übertragen, konnten auf diesem Wege also nicht stören.
Ich konnte aber 2022 noch beim WDR (der zu diesem Zeitpunkt das RDS noch mittels eines Ferncast-Encoders auf Private PID übertrug und nicht in die Ancillary Data einbettete, also von dieser Seite keine Fehlsteuerungen verursachen konnte) eine deutliche Dynamikkompression an einem TechniSat-Receiver (DIGIT ISIO STC+, ein UHD-Twin-Tuner-Premiumgerät) feststellen. 50 Minuten WDR 3:
Decoding des Transportstromes via FFmpeg
-20,3 LUFS / peak: 0,0 dBTP / range: 18,9 LU
Decoding mit dem Receiver, Ausgabe am S/PDIF
-20,6 LUFS / peak: -2,7 dBTP / range: 18,9 LU
Es erfolgt eine Dynamikkompression, die den Bereich -3 dBFS … 0 dBFS auf ca. -3 dBFS … -2,7 dBFS zusammenpresst. Sieht man auch schön in den Wellenformen, hier aber mit MDR Sachsen-Anhalt gezeigt, die als Unterhaltungswelle deutlich "dichteres" Signal hatten, da konnte man es besser zeigen:
Das ist also in etwa das, was man erwarten kann, wenn Endgeräte Dinge tun, die man besser der Anbieterseite überlassen sollte. MP2-Decoding war mit diesem Gerät übrigens ohne Manipulationen an Pegel und Dynamik.
Da man mit AAC Multichannel machen kann, es aber keine AAC-Multichannel-Decoder auf dem Consumer-Markt gibt (auch so eine irre Story), müssen die Multichannel-Angebote von BR Klassik, SWR 2, WDR 3 oder MDR Kultur (hr2 hat sowieso mit Multichannel aufgehört im Zuge der Umstellung auf das AAC-Gemurkse) in den Receivern / Fernsehern erst decodiert und dann nach AC-3 transcodiert (!!!) werden, damit man sie in zivilisiertem Standard der Weiterverwendung zuführen kann. Dafür bietet Dolby Softwarebibliotheken an, die Receiverhersteller kaufen und verwenden können:
Auch da wird lustig Metadaten-Übersetzung von AAC nach AC-3 gemacht.
Mir wird schlecht bei sowas. Da weiß man am Ende nicht mehr, woher absurdes Dynamikverhalten kommt. Für das ARD-Radio via DVB eignen sich also am besten "dumme" Empfangsgeräte, die die DRC-Funktionalität nicht unterstützen, also eigentlich nicht vollständig spezifikationskonform sind. Ich vermute sowas für die Vistron-Kabelradios und die bitgenau identisch decodierenden inzwischen 15 Jahre alten HDTV-Receiver des gleichen Herstellers (LaSAT/Bemondis), denn die liefern 1:1 den Originalpegel und die Originaldynamik, genau wie es FFmpeg macht.
(...) recommends:
(...)
f) that Loudness Metadata should be used, correctly indicating the actual Programme Loudness.
Damit möchte man künftig vielleicht folgende Späße vermeiden:
In den 1980er Jahren wollten Jugendliche, die auch nur ansatzweise verstanden hatten, was da passiert, zur Konfirmation einen Recorder mit manueller Aussteuerung geschenkt haben. Heute plättet es uns alles automatisch. Ich bevorzuge deshalb oft "unkomfortable" Lösungen, bei denen ich aber nachgewiesenermaßen weiß, was passiert.
Selbst dabei muss man aber aufpassen: wer AC-3 mittels FFmpeg auf der Kommandozeile nach PCM decodiert, bekommt eine Dynamikbearbeitung kredenzt. In den Default-Aufrufen! Man muss tatsächlich bewusst
drc_scale == 0 setzen, um das Originalaudio zu erhalten. Muss man auch erstal rausfinden.
www.ffmpeg.org